Erinnerung und Dank an Prof. em. DDr. Dr. h. c. mult. Johann Baptist Metz

Persönlich habe ich Baptist erst als den emeritierten Kollegen näher kennengelernt, auf dessen Lehrstuhl ich berufen wurde. Für mich war er nicht nur der große Theologe, dessen Texte ich kannte, sondern - wie soll ich sagen - als Theologe ein großer Gefühlsmensch. Und vielleicht machte gerade das seine Theologie authentisch. Er konnte von Compassion sprechen, ohne dass es zur Floskel wurde; vom Leidens-Gedächtnis und der Solidarität mit den Armen, ohne dass man es als Anmaßung hörte. Er konnte Menschen aufbrausend und freundschaftlich nahekommen, sie am rechten Punkt unterbrechen, irritieren und mitnehmen. In vielen Gesprächen, gemeinsamen Lehrveranstaltungen und der Arbeit an gemeinsamen Projekten habe ich das erleben dürfen. So habe ich seine freundschaftliche Zuwendung auch noch erleben dürfen, als seine Kräfte nachließen. Danke.

(Jürgen Werbick)


Nach der Antrittsvorlesung von J.B. Metz verließ sein Lehrer Karl Rahner kopfschüttelnd den Hörsaal und brummte vor sich hin: "Ich hab nix verstanden."

(Hermann Steinkamp)


Trotz Zeitdruck will ich meine Reise unterbrechen, um dem Wunsch des Dekans gerecht zu werden, kurz und bündig Leben und Werk unseres Kollegen Johannes Baptist Metz zu würdigen.
Er gehört zu den Theologen, welche die nachkonziliare Entwicklung der Kirche ganz entscheidend geprägt haben. Wir verdanken sicher auch ihm, dass es Rom nach der ersten Instruktion zur Befreiungstheologie nicht gewagt hat, die Theologie der Befreiung mit ihrer klaren Option für die Armen unter Häresieverdacht zu stellen. Während Rom lange den Unterschied zwischen einer Theologie der Revolution und Theologie der Befreiung nicht begriffen hat, war es Johannes Baptist Metz, der gemeinsam mit seinem Freund Gustavo Guttierez die Arbeit von Christinnen und Christen in den Basisgemeinden gegen den Marxismusverdacht verteidigt hat.

Mit vielen anderen Theologinnen und Theologen hat er in kritischer Zeit damit die theologischen Grundlagen gesichert, auf die Papst Franziskus bei seinem Dienstantritt zurückgreifen konnte, um letztendlich auch die pastorale Praxis von Bischof Romero posthum zu würdigen und ihn als Märtyrer der Kirche heilig zu sprechen. Danke Baptist!

(Udo Friedrich Schmälzle ofm)


Für mich als ehem. DDR-Bürger, in Marxismus geschult, war im Studium die in Münster gelehrte Dogmatik und Fundamentaltheologie schwer nachzuvollziehen. Als 1963 der junge Professor Metz kam, eröffnete sich mir eine völlig neue Dimension, die letztlich auch meinen Glauben gestärkt hat. An zwei Episoden erinnere ich mich gern zurück: Ich durfte ihn erstmals in die DDR führen und in meiner Heimatstadt Leipzig bei vielen Gesprächen begleiten. Ich habe Metz auch die erste Begegnung mit dem kommunistischen Prager Philosophen Milan Machovec ermöglicht, übrigens in seinem Haus hier in Münster. Und gern denke ich auch daran zurück, dass er sich 1984 für meine Berufung auf den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft in Münster eingesetzt hat, so dass ich als Laie noch vor einem durchaus qualifizierten Priester auf dem ersten Platz landete. Dankbar bin ich Baptist, dass ich ihm auch über seine Emeritierung 1993 und über meine eigene Pensionierung 2005 hinaus freundschaftlich verbunden bleiben durfte. Nun habe ich mit ihm einen weiteren Freund im Himmel, wo sich inzwischen altersbedingt mehr Freunde von mir aufhalten als auf Erden.

(Klemens Richter)


Johann Baptists Vermächtnis an die Fakultät: "Eine Theologie, die das Christentum im Rücken von Geschichte und Gesellschaft verortet, bringt es um seinen Kern."

(Karl Gabriel)


Ich möchte ihn selbst zu Wort kommen lassen mit einem Auszug aus seiner Adventspredigt, die er in einem Dreierzyklus zusammen mit Adolf Exeler und Karl Rahner 1970 im Paulus-Dom gehalten hat:
"Hier ließe sich im Zusammenhang unserer Lebenswelt erläutern, was dies heißt: christlicher Glaube als memoria Jesu Christi. Hier könnte sich dieser Glaube ausdrücken als gefährliche Erinnerung, die uns aufschreckt aus der vorschnellen Versöhnung mit den "Tatsachen" unserer eindimensionalen Gegenwart. Sie könnte sich ausweisen als befreiende Erinnerung gegenüber den Zwängen und Ideologien unserer Leistungswelt, denn "keine Ideologie zu haben", wie wir heute gerne meinen, kann eine der gefährlichsten ideologischen Haltungen sein. Demgegenüber könnte christlicher Glaube sich als eine befreiende Erinnerung ausdrücken. Als eine Erinnerung, die uns frei macht, am Leiden anderer zu leiden, obwohl die Negativität des Leids in unserer Gesellschaft immer unzumutbarer und geradezu unziemlich erscheint. Als eine Erinnerung, die uns frei macht, alt zu werden, obwohl unsere Öffentlichkeit von der Verleugnung des Alters bestimmt zu sein scheint und es geradezu als "geheime Schande" empfindet, alt zu werden. Als eine Erinnerung, die uns frei macht zur Kontemplation, obwohl wir bis in unsere letzten Bewußtseinräume unter der Hypnose von Arbeit, Leistung und Planung zu stehen scheinen. Als eine Erinnerung, die uns schließlich frei macht, uns unsere eigene Endlichkeit und Fragwürdigkeit vorzurechnen, obwohl unsere Öffentlichkeit unter der Suggestion eines immer fortschrittlicheren "harmonischeren" Lebens steht. Hier könnte christlicher Glaube sich ausdrücken als eine Erinnerung, die uns frei macht, auf die Leiden und Hoffnungen der Vergangenheit zu achten und uns der Herausforderung der Toten zu stellen. Als eine Erinnerung, die uns frei macht gegenüber dem allseits herrschenden Gesetz: Vae victis!, indem wir uns dem Zwange entziehen, uns nur mit den Erfolgreichen in der Geschichte zu identifizieren und uns bereitfinden, uns mit jenen zu solidarisieren, die auf der Verliererstraße der Geschichte und des Fortschritts lebten, die rechts und links liegen blieben, vergessen, unbeachtet neben den Durchgekommenen und neben den Erfolgreichen, nach denen wir üblicherweise den "Fortschritt" in unserer Geschichte definieren." (Theologische Meditationen Bd. 27, Einsiedeln 1971, S.34f.) Seine Predigt hat auch nach 49 Jahren nichts von ihrer Authentizität verloren.

(Heribert Woestmann)


Mit der Betonung des Primates der Leidenden als Leitmotiv seiner Neuen Politischen Theologie hat Johann Baptist Metz nicht nur die Hermeneutik des theologischen Denkens grundsätzlich geprägt und bereichert, sondern auch die Wege für das vorbereitet, was in der Lehre Papst Franziskus den echten Daseinsstil der Kirche in der Welt ausmacht.

(Antonio Autiero)


Karl Rahner hat der Praktischen Theologie die Deutung der "Gegenwartssituation" ins Stammbuch geschrieben. Johann Baptist Metz spitzte diese Aufgabe in seiner Neuen Politischen Theologie nochmals an, indem er fragte: "Wer treibt – wann und wo – für wen und in welcher Absicht Theologie?"

(Reinhard Feiter)


Mit der Entwicklung der Neuen Politischen Theologie ist es Johann Baptist Metz gelungen, die belastete "Politische Theologie" der Zwischenkriegszeit zu überwinden und das Politische auf eine Weise für die Theologie fruchtbar zu machen, dass sie den Anspruch, in "der Welt" zu wirken, effektiv angehen konnte. Das ist ein Verdienst, das auch ökumenische Bedeutung hat, sowohl für das globale Christentum, vor allem in der südlichen Hemisphäre, als inzwischen auch für die orthodoxe Theologie, wo man eine politische Theologie neu entdeckt und Metz ein wichtiger Impulsgeber werden kann und sollte.

(Thomas Bremer)


Mit der Reflexion der 'mystisch-politischen Doppelstruktur des Glaubens' hat Johann Baptist Metz die Frage nach der Rationalität der Theologie neu gestellt. Vor allem aber hat er die Möglichkeit des Redens von Gott 'angesichts der Leidensgeschichte der Welt' als Kernproblem einer 'Theologie nach Auschwitz' identifiziert – und damit kräftig Sand ins Getriebe moderner katholischer Theologie gestreut. Gegen diese 'Betriebsstörung' hat sich die Christliche Sozialethik – nicht zuletzt in Münster – lange Zeit gewehrt. Es hat gedauert, bis sie die Neue Politische Theologie als "Schwester" erkannt hat, von der sie vieles lernen kann (vgl. Furger/Heimbach-Steins/Lienkamp 1993). Die wichtigste Lektion für mich persönlich: Die"Autorität der Leidenden" als Fluchtpunkt einer geschichtsbewussten politischen Ethik. Sie verbindet sich mit der Anerkennung der Verletzbarkeit als Grundkategorie von Sozialanthropologie und Sozialethik und mit dem Anspruch, von dem/der Anderen her zu denken, sich von ihm/ihr berühren und belehren zu lassen – auch im globalen Maßstab eines sozialethischen Kosmopolitismus. Die Denkanstöße von Johann Baptist Metz haben ihren festen Platz in der Münsteraner Sozialethik gefunden – wir lassen uns von ihnen provozieren und bewahren gerade darin Johann Baptist Metz ein lebendiges Gedenken.

(Marianne Heimbach-Steins, Josef M. Becker)


Mit seiner Neuen Politischen Theologie hat Johann Baptist Metz auch feministischen Theologinnen Impulse gegeben, wie umgekehrt feministische Theologinnen, allen voran Christine Schaumberger und Elisabeth Schüssler Fiorenza, über Jahrzehnte mit ihm im Gespräch waren über mehr Geschlechtersensibilität in der Neuen Politischen Theologie. Erinnern möchte ich zudem daran, das J. B. Metz 1965 Mitbegründer von "Concilium" war und diese Zeitschrift bis heute dem Grundansatz einer kritisch-politischen Theologie verpflichtet ist. Für mich selbst war und ist das Apriori der Leidenden als Kriterium jeder Theologie wohl das wichtigste Vermächtnis.

(Marie-Theres Wacker)


Ich bin dem Kollegen Metz nie persönlich begegnet. Und doch hat sein Denken mich zu Beginn meiner Freisemester in Innsbruck tief beeindruckt.
Ich schau in meine Bücherregale und finde "Glaube in Geschichte und Gesellschaft". Viele handschriftliche Anmerkungen und am Ende die Angabe, das ich am 17.1.85 das Buch ausgelesen habe. Da war es bitterkalt in Innsbruck, aber mein Herz und mein Verstand entflammt von den theologischen Ausführungen des verstorbenen Kollegen. Ein Satz ist dick unterstrichen: " Durch den Erweis von Autorität als Ausdruck einer heiligen, göttlichen Ordnung soll vielmehr eine ganz bestimmte politische Autoritätsvorstellung, eben die monarchische, wiederbelebt, gesichert und unangreifbar gemacht werden." (S. 20). Dieses monarchische System wird in den beiden Gesetzbüchern der Kirche rechtlich zementiert und abgesichert. Es bleibt der Auftrag und das Vermächtnis, diese Strukturen theologisch zu überwinden."

(Thomas Schüller)


Als Katholisch-Theologische Fakultät unserer Universität in Münster waren wir stolz und werden wir weiterhin stolz darauf sein, das Johann Baptist Metz unser Kollege war. Die meisten unserer Kolleginnen und Kollegen, wie ja auch ich selbst, haben Johann Baptist Metz nur bei wenigen feierlichen Anlässen der Fakultät gleichsam aus der Ferne in den Kreisen seiner Freunde vorüberziehen gesehen. Wir haben uns irgendwann kurz vorgestellt, alles Gute zum Geburtstag gewünscht.

In unseren Studien der Theologie waren die Errungenschaften seines Denkens bereits in markanten Begriffen zusammengefasst und in Büchern kondensiert, die man mit Abkürzungen bezeichnete: Hast Du schon das GGG für die Prüfung gelesen? Ob wir es wissen oder nicht, das Denken von Johann Baptist Metz ist in das Erbgut unseres Fachs eingeschrieben.

Johann Baptist Metz ist letzte Woche in einem sehr traurigen Sinn in die Geschichte eingegangen. Uns bleibt die Erinnerung. Dabei, so muss ich hier ehrlicherweise zugeben, werden wir nicht nur darauf Wert legen, dass Johann Baptist Metz ein Stück gefährlicher Erinnerung sein soll.

Ja, es stimmt. Er hat sich dafür eingesetzt, dass man schreckliche Erinnerungen nicht beschönigt. Ja, das soll so bleiben. Das wollen wir von ihm gelernt haben. Es könnte ohnehin Gruppen in unserem Fach und in der Welt geben, denen wird mehr Erfahrung der Gefährlichkeit dieses Erinnerns empfehlen.

Ich will aber für uns, seine Kolleginnen und Kollegen das Privileg beanspruchen, ihn nicht nur gefährlich zu erinnern. Ältere Kolleginnen und Kollegen helfen mir dabei, Erzählungen über Johann Baptist Metz als Mensch, als Universitätslehrer, als Freund, als Forscher zu hören und zu wissen. Hast Du Johann Baptist Metz gut gekannt? Was hat ihm Freude gemacht? Wie hat sich eine Vorlesung bei ihm angefühlt? Welche Musik hat er gehört? Es gibt eine Menge schöner Erinnerungen an ihn. Ich glaube, wir dürfen auch diese weitergeben. Daher ein konkreter Aufruf: Sie, die Sie ihn viel besser gekannt haben als wir, erzählen Sie bitte bei Gelegenheit von ihm!

Wir wollen ihn darüber hinaus als einen ernst nehmen, der uns etwas hinterlassen hat, was uns heute und morgen angeht. Sollen wir nun möglichst viele Johann-Baptist-Metz-Begriffe verwenden? Vielleicht ist das anders zu erfassen. Johann Baptist Metz war Brillenträger. Er reflektiert selbst darüber, dass er durch traumatische Erfahrungen so sehen gelernt hat, wie er es später den Menschen, die ein Stück ihres Weges mit ihm gingen, gelehrt hat. Seine Schriften, Vorträge und Predigten zeigen, dass er eine sehr scharfe Brille hatte. Er hat uns diese Brille hinterlassen. Wir dürfen sie aufsetzen. Wir werden dann einiges schärfer sehen als ohne sie. Mit dem, was wir sehen, müssen wir dann natürlich auch richtig umgehen.

Das alles hat einen anstrengenden Aspekt. Vielleicht gelingt es uns sogar, an der einen oder anderen Stelle weiterzudenken. Mit einem anderen Bild veranschaulicht: Die Ägypter haben beim Bauen der Pyramiden riesige Steine durch die Wüste geschoben. Wenn wir Steine entdecken, die Johann Baptist Metz nicht bis direkt zum Bauwerk der Theologie hinbringen konnte, sollten wir es versuchen. Wenn uns da ein paar Meter gelingen, soll es ihm für all die Vorarbeiten, die er geleistet hat, zur Ehre gereichen. Die großen Steine weiterschieben ist Auftrag und Dank zugleich.

Lassen Sie mich nach der Nennung seines Namens sagen, wie es im Hebräischen üblich ist: Zichorono livracha: (möge das Erinnern, das Johann Baptist Metz uns gelehrt hat und) die Erinnerung an Johann Baptist Metz allen zum Segen sein!
(Clemens Leonhard)