Dekan Prof. Leonhard, Privatdozent De Candia und Prof. Müller
© Julian Beck

Der doppelte Auftakt des Gottesgedankens in der Moderne.
Das Spiel von Endlich und Unendlich bei Descartes und Pascal

Antrittsvorlesung von PD Dr. Gianluca De Candia am 17. Mai 2018

Zu Beginn würdigte Dekan Prof. Dr. Leonhard in humorvoll-geistreicher Weise das geo- und biographische Itinerarium und den geistigen Denkweg des aus Bari stammenden Privatdozenten. Dem so angeschlagenen Grundton entsprach der Vortrag über die Barockzeit, deren Wendungen und Brechungen nicht nur das Thema, sondern auch dessen Perspektive, Gang und Methode bestimmten. Man wurde Ohren- und Augenzeuge einer Bilder- und Theoriewelt, die die Neuzeit bleibend in Atem hält und womöglich auch der postmodernen Mentalität in aller Fremdheit etwas zu sagen hat.
Dabei wurden in einem doppelten Dreh die Selbsterkundungen der Vernunft bei Descartes und Pascal gegen den Strich gelesen, gleichsam gegen sich selbst und ihren scheinbaren Grundstil gewendet und deren komplementäre Begrenzung, Fruchtbarkeit und Unverzichtbarkeit aufgezeigt. In solchen Stellproben im Denk- und Lebenstheater wollte man den unendlich reichen und abgründigen Perspektiven endlicher Vernunft und Erfahrung gerecht werden und sie neu zu gründen suchen.

Der als Rationalist verbuchte Descartes erschien auf dieser Bühne als vom Zweifel bleibend angegangener Denker, in dessen scheinbar völlig logischer Argumentation sich eine Kippstelle verberge, ein Sprung von der erfahrungsbegleitenden Meditation zur metaphysischen Gründung, die die menschliche Erfahrung im Gedanken des unendlichen und unendlich vollkommenen Seins sichern solle. Dieser Gedanke übersteige seinerseits die Möglichkeit der Realisierung eines endlichen Wesens, müsse also im Unendlichen verankert und garantiert sein. Freilich, bei Descartes erweise sich dieses Ansinnen nur als funktionale Leiter, als Durchgang, die man dann hinter sich lassen könne und solle, um sich dem Endlichen und seiner Vielfältigkeit zuzuwenden, dem man ohnehin nicht entkomme, weshalb in der letzten Meditation der unheimliche Zweifel an allem Erkennen und Erfahren auf der Lebensbühne wieder mächtig wird und das Schlusswort zu haben scheint. Ist das so erschlossene Unendliche nun leitende Idee, wirklichkeitsgesättigte Garantie, Chimäre, zu vernachlässigender Horizont?

An dieser Stelle führt De Candia die Wette Pascals ein, für den die bleibende Scheinhaftigkeit und Ungesichertheit von Leben und Denken, Herz und Vernunft bedrückend selbstverständlich sei. Er verstrickt den zweifelnden Menschen in ein vernünftiges Existenz- und Vernunftexperiment, in welchem das Unendliche einerseits als infinitesimaler Grenzgedanke und zugleich als Glückserfüllung aufscheine, nach welcher der Mensch schon immer strebe. Darauf zu wetten und sein Leben in riskanter Praxis danach auszurichten, sei vernünftig. Und der Gott, der sich hier zeigt, verliere sich nicht in fiktiver Unendlichkeit, sondern erweise sich darin als unendlich groß, dass er das unendlich Kleine, Unbedeutende in sich aufnehmen und annehmen kann. Dies sei nun der letzte Theatercoup, der der christlichen Offenbarung entspreche, wie sie in der Liedern, Denk- und Stilformen wie den Theatern des Barock aufgeführt werde, in nie versiegender Freude am Extremen, an Polarität und Paradox, in der gerade die schwindelerregende Selbstbestreitung der Vernunft - vernünftig sei.

Und so dürfen wir, schließt und öffnet De Candia seinen Vortrag zugleich, immer neu anfangen mit den unabgeschlossenen Erfahrungen und Denkwelten wie ihrer Erschlossenheit zum unendlichen Gott, und die vielen Wege, Perspektiven und Wendungen des Barock am Anfang der Moderne seien womöglich gar nicht so weit entfernt von dem, was uns am Ende dieser Epoche zu leben und zu denken aufgegeben und ermöglicht sei.

[Prof. Elmar Salmann]

Fotos

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