Philon: Fragen und Auflösungen zur Genesis

Die unten stehende Übersetzung aus dem Armenischen und – soweit vorhanden – dem Griechischen ist noch vorläufig und erscheint hier ohne Fußnoten und kritischen Apparat. Schriftzitate sind direkt aus der Septuaginta übersetzt (kursiv markiert).

(c) Institutum Judaicum Delitzschianum Münster

Philon: Fragen und Auflösungen zur Genesis

1. Buch

1. Woher sagt (Mose) beim Nachdenken über die Entstehung der Welt: Dies ist das Buch der Entstehung des Himmels und der Erde, als sie geschah (Gen 2,4)?

Der Ausdruck als sie geschah scheint eine Erzählzeit anzuzeigen; dies ist ein Beweis zu Ungunsten jener, die eine Zahl von Jahren zusammenrechnen, seit die Welt entstanden sein dürfte. Aber der Ausdruck dies ist das Buch der Entstehung ist entweder Hinweis auf ein zugrunde liegendes Buch, das die Welterschaffung enthält, oder die Beziehung des über die Welterschaffung Gesagten auf das in Wahrheit Gewordene.

2. Was heißt: Und Gott machte alles Grün des Feldes, bevor es entstand auf der Erde, und jedes Gras, bevor es emporwuchs (Gen 2,5)?

Damit spielt er auf die unkörperlichen Ideen an; denn bevor sie entstand weist auf die Vollkommenheit von allem Grün und Gras, Pflanzen und Bäumen, hin. Und bevor sie auf der Erde wuchsen, machte er, sagt (die Schrift), Pflanzen, Gras und das Übrige. Es ist offensichtlich, dass er die unkörperliche und exemplarische Idee schuf, gemäß der intelligiblen Natur; von ihnen sollten diejenigen (Dinge), die auf der Erde sind, insgesamt wahrnehmbare Abbilder werden.

3. Was heißt: Eine Quelle ging aus der Erde hervor und bewässerte das gesamte Angesicht der Erde (Gen 2,6)?

Doch wie ist es möglich, von einer Quelle aus die gesamte Erde zu bewässern - nicht nur wegen ihr Größe, sondern auch wegen der Unebenheit der Berge und Ebenen? Wird vielleicht, wie ”Pferd” gesagt wird zu einer jeden berittenen Streitmacht eines Königs, so auch ”Quelle” zu jeder Ader der Erde, die Trinkwasser hervorsprudelt oder quellen lässt? Gut ist, dass (die Schrift) sagt: Nicht die ganze Erde, sondern ihr Angesicht werde bewässert - wie (man) bei Lebewesen den Kopfteil den Beherrschenden (nennt). Denn der beste, fruchtbare und ”führende” Teil der Erde ist jener, der Früchte tragen kann; dieser bedarf der Hilfe von den Quellen.

4. Wer ist der geformte Mensch (Gen 2,7)? Und wie unterscheidet er sich von dem, „nach dem Urbild“?

Der geformte Mensch ist der wahrnehmbare Mensch und ein Abbild des intelligiblen Exemplars. Aber der „nach der Idee (Gottes)“ ist intelligibel und unkörperlich und ein Abbild des Archetyps, soweit dieser sichtbar ist. Und er ist ein Abbild (vgl. Gen 1,26f) des originalen Siegels. Und das ist der Logos Gottes, das erste Prinzip, die archetypische Idee, der Oberabmesser aller Dinge. Deshalb wurde der Mensch, der geformt wurde wie von einem Töpfer, aus Staub und Erde geformt hinsichtlich des Körpers. Und er erhielt einen Geist, als Gott das Leben in sein Gesicht hauchte. Und die Mischung seiner Natur war gemischt aus Verderblichem und Unverderblichem. Das jedoch, was „nach dem Abbild“ ist, ist unverderblich und unvermischt und aus einer unsichtbaren Natur, einer einfachen und lichten.

5. Warum wird gesagt, dass (Gott) ins Gesicht das Leben hauchte (Gen 2,7)?

Zuallererst, weil es (das Gesicht) der erste Teil des Körper ist; denn das Übrige wurde gleichsam als Sockel gemacht, aber dieses (das Gesicht) wurde wie ein Portrait darauf befestigt. Und für das Seelenartige ist Quelle die Wahrnehmung, die Wahrnehmung aber ist im Gesicht.

Zweitens hat der Mensch nicht nur an einer Seele sondern auch an einem vernünftigen Atem Anteil erhalten; und der Kopf ist der Tempel des Verstandes, wie manche gesagt haben.

6. Warum wird gesagt, Gott habe ein Paradies gepflanzt, und für wen? Und was heißt Paradies (Gen 2,8)?

„Paradies“ – was das heißen soll bedarf keiner Auflösung: Es ist ein bewachsener Ort voll von allen Arten von Bäumen. Symbolisch jedoch ist es Weisheit, „Kenntnis des Göttlichen und Menschlichen und über deren Ursachen“. Denn es war konsequent, nach der Entstehung der Welt, das kontemplative Leben einzurichten, damit durch das Anschauen der Welt und dessen, was in ihr ist, auch das Lob des Vaters (entstehe). Denn es war nicht möglich, dass die Natur sieht, noch ist es möglich, den Schöpfer aller Dinge zu loben ohne Weisheit. Und seine (des Kosmos) Ideen pflanzte der Schöpfer wie Bäume in das souveräne Erste, in das Bewusstsein, welches die Geister erschafft. Aber bezogen auf den Baum des Lebens in der Mitte ist es das Wissen nicht nur über das Gewordene sondern auch von der ältesten und höchsten Ursache aller Dinge. Denn wenn irgendjemand in der Lage ist, von ihr eine klare Vorstellung zu erhalten, wird er glücklich und gesegnet und in Wahrheit unsterblich sein.

Aber erst nach jener Welt entstand die Weisheit; denn erst nach der Erschaffung der Welt (wurde) das Paradies. In genau dieser Weise beschreiben die Dichter den Chor der Musen: Sie sollen den Schöpfer und das Werk loben. So sagt auch Platon: Der Schöpfer ist die größte und beste der Ursachen, die Welt jedoch das schönste von (allem) Gewordenen.

7. Warum wird gesagt, er (der Schöpfer) habe in Adin gegen Osten das Paradies gepflanzt (Gen 2,8)?

Zuerst, weil die Bewegung der Welt von Osten nach Westen verläuft; und da, wo die Bewegung beginnt, ist das Erste.

Zweitens, weil, was in der Region des Ostens ist, als die rechte Seite der Welt bezeichnet wird, hingegen, was in der des Westen (liegt), als die linke. (Dies) bezeugt auch der Dichter, indem er die Vögel in der Region des Ostens mit „rechts“ bezeichnet und jene, die in der Region des Westens sind, „linksseitig“, wenn er sagt: „Wenn sie zur rechten Seite gehen, ist es zum Tag und zur Sonne, wenn aber nach links, zum Abend und zur Dunkelheit.“ Aber der Name Adin ist, wenn er übersetzt wird, überhaupt ein Hinweis auf Schwelgen, Freude und Heiterkeit. Denn alle guten Dinge und Wohltaten haben ihren Ursprung an diesem heiligen Ort.

Drittens, weil es (das Wort Adin) auch ‘Weisheit’, ‘Strahlen’ und ‘Licht’ (bezeichnet).

8. Warum stellt er den geformten Menschen in das Paradies, aber nicht den, nach dem Urbild (Gen 2,8)?

Manche, die glauben, das Paradies sei ein Garten, haben gesagt, dass, da der Geformte wahrnehmbar ist, folglich mit Recht er in einen wahrnehmbaren Ort kommt. Der „nach dem Urbild“ jedoch ist intelligibel und unsichtbar und nimmt die Ordnung dessen an, was unkörperliche Spezies sind.

Jedoch würde ich sagen, das Paradies sei als Symbol aufzufassen für die Weisheit. Denn der Geformte ist eine Mischung, zusammengesetzt aus Seele und Leib, und er bedarf der Belehrung und des Unterrichts, danach verlangend, nach dem Gesetz der Philosophie, glücklich zu sein. Aber der nach dem Urbild ist bedürfnislos, Selbsthörer, Selbstlehrer und sein eigener Meister geworden durch seine eigene Natur.

9. Warum sagt (die Schrift), dass im Paradies, jeder Baum schön für das Ansehen war und gut zur Nahrung (Gen 2,9)?

Weil es zwei Baum-Tugenden gibt, stark verzweigt zu sein und fruchtbar, wovon die eine zur Ergötzung des Gesichtssinnes dient und die andere zum Genuss des Geschmackssinnes. Aber nicht ungefähr ist gesagt schön, denn es dürfte sich gehören, dass die Pflanzen immer blühen und immer grün sind, da sie ja dem göttlichen Paradies angehören, einem ewigen, und so niemals durch Abwerfen laublos werden.

Aber sie sagt nicht, dass auch die Frucht schön war sondern gut, (sehr) philosophisch, damit nicht nur zum Vergnügen die Menschen Nahrung gebrauchen sondern auch zum Nutzen; der Nutzen aber ist Ausfluss des Guten.

10. Was heißt Baum des Lebens und warum: mitten im Paradies (Gen 2,9)?

Manche glaubten, dass, weil die Pflanzen körperlich und todbringend sind, so auch (Träger) von Leben und Unsterblichkeit. Darum sagt man, Leben und Tod sind einander entgegengesetzt. Nun sind einige der Pflanzen Verderben bringend; doch notwendiger Weise wird es Rettung geben. Aber dass dieser Zustand gesund ist, wissen sie nicht. Denn das Werden – so ein Wort der Weisen – ist der Anfang des Vergehens.

Doch könnte es nicht sein, dass dies allegorisch gesagt ist? Manche sagen nämlich, der Baum des Lebens sei die Erde, denn sie bringt alles hervor zum Leben sowohl der Menschheit als auch alles anderen. Daher teilte auch er dieser Pflanze einen zentralen Ort zu. Das Zentrum von allem aber ist die Erde.

Manche jedoch sagen, es heiße von den sieben Sphären am Himmel die mittlere Baum des Lebens. Und manche sagen, er sei die Sonne, denn sie ist in gewisser Weise der Mittlere der Planeten und die Ursache der Jahreszeiten, durch welche alles erzeugt wird.

Manche jedoch haben gesagt, der Baum des Lebens sei die Leitung der Seele. Denn sie versorgt und stärkt die Wahrnehmung durch die Richtung ihrer Energien auf das, was für sie geeignet ist, und zur Beteiligung der Körperteile. Denn das Zentrum ist in symbolischer Weise das Erste und der Beginn, so wie der Anführer eines Chores. Aber werte und ausgezeichnete Männer sagen, der Baum des Lebens sei die beste der Tugenden im Menschen, die Frömmigkeit, durch die am ehesten der Verstand unsterblich wird.

11. Was heißt: Der Baum des Wissens, (des) Erkennbaren von Gut und Böse (Gen 2,9)?

Diese (Formulierung) stellt nur allzu deutlich das, was sich dem Wortsinn entzieht, als Allegorie vor Augen. Und zwar ist das, was (der Text) andeutet, Klugheit, diese ist Einsicht des Wissens, durch welche die guten und schönen, die schlechten und hässlichen Dinge erkennbar werden, und alles, was es überhaupt an Gegensätzen gibt. Davon ist manches von überlegenem und manches von minderem Rang. Nun ist die Weisheit, die in dieser Welt ist, nicht Gott, wohl aber ein Werk Gottes; sie betrachtet die Natur und erforscht sie. Aber die Weisheit, die im Menschen ist, sieht mit trüben Augen, die eine Sache mit einer anderen verwechselnd, denn sie ist schwach im reinen, einfachen, klaren Betrachten und Verstehen jeder für sich allein genommenen Sache. Deshalb ist mit des Menschen Weisheit eine Art von Täuschung vermischt, wie den Augen bestimmte Schatten oftmals ein Hindernis sind, die Sicht auf das unvermischte und reine Lichts zu erlangen. Denn, was das Auge im Körper ist, sind der Verstand und die Weisheit in der Seele.

12. Was heißt: Der Fluss, der von Adin kommt, durch welchen das Paradies bewässert wird (vgl. Gen 2,10), und die vier getrennten Flüsse, der Pison, Gehon, Tigris und Euphrat (vgl. Gen 2,11-14)?

Von den Quellen des Dkl+at’ und des Aracani wird gesagt, sie entsprängen in den Bergen Armeniens. Doch ist dort kein Paradies und es gibt auch nicht die anderen beiden Flussquellen.

Doch ist vielleicht das Paradies irgendwo ferne unserer bewohnten Welt und hat einen Fluss, der unter der Erde fließt, der viele große Adern versorgt, so dass deren Aufsteigen (Wasser) sendet in andere empfangende Adern und er so sich ausbreitet? Und diese, gepresst vom Wogen der Fluten, münden mit der in ihnen liegenden Gewalt an die Oberfläche sowohl in den armenischen Bergen als auch anderswo. Und das sind die vermuteten Quellen, oder vielmehr die Ausflüsse des Flusses, oder richtigerweise die geglaubten Quellen, da die göttliche Schrift, in der die Angelegenheit der vier Flüsse erwähnt ist, gänzlich irrtumslos ist. Denn der Ursprung ist ein Fluss und nicht eine Quelle.

Doch könnte es nicht sein, dass an dieser Stelle die Dinge allegorisiert werden? Dann sind die vier Flüsse ein Zeichen der vier Tugenden:

für die Klugheit Pison, so genannt entsprechend der ”Sparsamkeit”;

für die Mäßigung Gehon, denn sie müht sich gegen das Essen und Trinken und die verschiedenen Freuden und das, was im Bauch ist und was unterhalb des Bauches Wolllust erzeugt, und diese ist irdisch;

für den Mut Tigris, denn er beherrscht die uns wildmachende Emotion des Zorns;

für die Gerechtigkeit Euphrat, denn über nichts werden die Gedanken des Menschen fröhlicher als über Gerechtigkeit.

13. Warum lokalisiert sie allein den Euphrats nicht, vom Pison (sagt sie) dass er das ganze Land Evilat umkreist (Gen 2,11) und vom Gehon, dass er das ganze Land Äthiopiens (Gen 2,13) (umkreist) und vom Tigris, dass er dahingeht gegenüber Assyriens (Gen 2,14)?

Der Tigris ist der wildeste und zerstörerischste der Flüsse, wie die Babylonier bezeugen und die Magier, die festgestellt haben, dass seine Natur irgendwie verschieden von Wassers ist. Aber es ist wahrscheinlich, dass (die Schrift) noch einen anderen Grund für ihr Schweigen hat. Der Euphrat hingegen ist sehr sanft, lebensspendend und Nahrung gebend, weshalb die Weisen der Hebräer und Assyrer ihn „zunehmen lassen“ und „wachsen lassen“ nennen. Dafür, nicht für etwas anderes, wie die übrigen drei, sondern durch sich selbst ist er bekannt. Mir scheint, (dies) ist symbolisch und gleichnishaft (gesagt). Denn die Klugheit ist eine Tugend des Verständigen, worin Bosheit ist, und Mut (eine Tugend) des Jähzornigen und Mäßigung (eine Tugend) des Lüsternen; Jähzorn und Lüsternheit aber sind bestialisch. Die drei Flüsse erklärt sie (die Schrift) nach den Gegenden, durch welche sie gehen, den Euphrat jedoch, weil er Symbol der Gerechtigkeit ist, nicht, da nicht ein Teil von ihm der Seele zugeteilt wird, sondern er jedenfalls durch eine Übereinstimmung und Harmonie der drei Seelenteile erworben wird und der gleichzahligen Tugenden.

14. Warum stellt (Gott) den Menschen für zweierlei in das Paradies, ihn zu bearbeiten und zu bewachen (Gen 2,15)? Das Paradies bedurfte doch keinerlei Arbeit, denn alles war fertiggestellt als von Gott gepflanzt, und keines Wächters, denn was gab es, das hätte geschädigt werden können?

Zwei Dinge sind es, die der Landarbeiter im Sinn haben muss: die Bearbeitung des Feldes und das Bewachen dessen, was auf ihm ist, denn es kann entweder durch Untätigkeit oder durch Übergriff ruiniert werden. Aber das Paradies, obwohl er davon nicht einmal eines benötigte, brauchte doch einen, welcher seine Aufsicht und Fürsorge übernahm, (nämlich) den ersten Menschen, der sozusagen ein Vorbild der Landwirte werden sollte dafür, wie man jede Sache ausführen soll. So war es richtig – da (das Paradies) von allen Dingen voll war – dem Landarbeiter seine Betreuung und Bearbeitung zu überlassen, so zum Beispiel, ihn zu harken, zu umfrieden, zu umsorgen, zu pflegen, umzupflügen, einen Graben zu ziehen und ihn mit Wasser zu begießen.

Und die Bewachung (war notwendig), auch wenn es keinen anderen Menschen gab, dann wenigstens vor Wildtieren, am meisten aber vor Luft und Wasser; denn sobald eine Dürre eintritt, (muss ihn jemand) reichlich bewässern, bei Regen jedoch das überflüssige (Wasser) einfassen, damit es einen anderen Lauf nimmt.

15. Warum sagt (Gott), als er (Adam) von jedem Baum, der im Paradies ist, gestattet zu essen, iss in der Einzahl, aber, als er zu essen verbietet vom Baum der Kenntnis von Gut und Böse, in der Mehrzahl esst nicht; denn an welchem Tag ihr von ihm esst, werdet ihr des Todes sterben (Gen 2,16f)?

Erstens, weil ein aus vielem (entstandenes) Eines gut ist, nicht minderwertig, (...) denn der, der den Nutzen (des Paradieses) gab, ist einer, und der den Nutzen erhielt ebenso. „Einen“ nenne ich diesen nicht nach der Zahl, welche der Nummer zwei vorangeht, sondern (nach) der vereinigenden Kraft, entsprechend der die viele Dinge harmonisiert und zusammengeführt werden und die durch ihre Übereinstimmung dem Einen gleichen, so wie eine Herde, ein Rudel, eine Schar, ein Reigen, eine Truppe, eine Nation, ein Stamm, eine Nachkommenschaft, eine Stadt. Denn all diese sind aus Vielen Eines, eine Gemeinschaft und Zuneigung.

Aber die Unvermischten und Unvereinten fallen in Stücke gemäß der Zweiheit und der Vielheit. Denn Anfang des Streites ist die Zweiheit. Die Zwei (die wie einer) nach derselben Philosophie leben, leben in unverfälschter und reinerer Tugend, welche keinen Anteil an Bosheit hat; wo jedoch das Gute und Böses sich mischten, nehmen sie den Anfang einer Todesmischung.

16. Was heißt: Ihr werdet des Todes sterben (Gen 2,17)?

Der Tod der Würdigen ist Anfang eines anderen Lebens. Denn es gibt zwei Leben: eines zusammen mit dem Leib, verderblich, und eines ohne den Leib, unverderblich. Folglich stirbt nur der Böse des Todes, auch solange er die Seele hat, noch nicht begraben, als einer, der überhaupt keinen Funken wahren Lebens in sich bewahrte; dieses aber ist der edle Charakter. Aber der wahrhaft Würdige stirbt nicht des Todes, sondern endet von einem langen Leben in die Ewigkeit, das heißt, er wird in ewiges Leben getragen.

17. Warum sagt sie: Es ist nicht gut, dass der Menschen allein ist. Lasst uns ihm einen Helfer machen, ihm gleich (Gen 2,18)?

Sie deutet damit die Gemeinschaft an, jedoch nicht mit allen, sondern mit denen, welche helfen und gegenseitigen Nutzen schaffen wollen, auch wenn sie es nicht können. Denn Liebe besteht nicht so sehr im Nützlichen als in Vermischung und beständigstem Zusammenklang der Verhaltensweisen, so dass diejenigen, die zusammenkommen zur Gemeinschaft der Liebe das pythagoreische Wort dazu sagen können: „ein Liebender ist folglich ein anderes ich“.

18. Warum – nachdem er gesagt hat: Lasst uns einen Helfer machen für den Menschen – formt (Gott) Wildtiere und Nutztiere (Gen 2,19)?

Weil Zügellose und Unersättliche in ihrem Bauche sagen würden, dass Wildtiere und Vögel als notwendige Nahrung dem Menschen eine Hilfe sind. Denn Mitarbeiter des Bauches ist das Fleischessen zur Gesundheit und körperlichen Stärkung. Ich aber glaube, dass jetzt der Mensch, weil in ihm das Böse liegt, Feind und Bekämpfer geworden ist für Erdtiere und Vögel. Aber dem Ersten, der in jeder Hinsicht mit Tugend geschmückt war, waren sie eher Kampfgefährte und ein vertrauter Freund von Natur, bereit, sich anfassen zu lassen, und mit diesem allein vertraut, wie es zu sein pflegt zwischen Dienern und Herren.

19. Warum werden die Wildtiere und Vögel jetzt wieder geformt? Es wurde doch ihre Entstehung gemeldet vorher schon im 6-Tage-Werk (Gen 2,19).

Könnte es vielleicht sein, dass die Geschöpfe (aus dem 6-Tage-Werk) unkörperlich sind und Ideen eines Zeige-Vorbilds von Arten der Wildtiere und Vögel. Nun aber sind ihre Abbilder in der Tat vollendet – wahrnehmbare von unsichtbaren.

20. Warum bringt (Gott) alle Lebewesen zum Menschen, auf dass er ihnen Namen gebe (Gen 2,19)?

Die große Verlegenheit derer aus der Philosophie erklärt es, indem sie mitteilt, dass durch Setzung die Namen bestehen und nicht von Natur. Denn ganz passend wird ein Jegliches naturgemäß angepasst benannt durch Intuition eines weisen Mannes, der mit Wissen begünstigt ist. Und sehr vertraut (mit der Natur) ist der Verstand des Weisen allein, aber auch die Namenssetzung des ersten Erdgeborenen. Denn es war angebracht, dass der Herrscher der Menschheit und der König aller Erdgeborenen auch diese große Ehre erhalten sollte. Denn so wie er als Erster die Lebewesen sah, so war er der erste, der es wert war, über alles Herrscher zu werden und der erste Verkünder und Erfinder der Namenssetzungen. Denn es wäre nutzlos und vergeblich gewesen, sie namenlos zu lassen oder von irgendeinem Jüngeren Namen zu nehmen zur Beleidigung und Minderung der Ehre und Herrlichkeit des Älteren. Wir müssen jedoch ferner annehmen, dass die Setzung der Namens so abgewogen war, dass, sobald er den Namen gab und das Lebewesen ihn hörte, es frappiert war, wie von seinem Eigenen und Angestammten beim Hören der Kundmachung des Namens.

21. Warum sagt sie: Es führte Gott die Lebewesen zu Adam, um zu sehen, wie er sie rufen würde (Gen 2,19): Gott zweifelt doch nicht etwa?

Fremd ist tatsächlich der göttlichen Kraft das Zweifeln. Doch es scheint, dass er nicht zweifelte, sondern, da er ja dem Menschen den Verstand gab, besonders dem ersten und herrscherlichen Erdgeborenen und dem Vortrefflichen, soweit er erkenntnisbegabt ist, die Gabe des Denkens eignet, bewegt er (Gott) wie ein Verursacher einen Vertrauten zu der ihm eigenen Angabe und sieht auf die besten Hervorbringungen seiner Seele.

Offenkundig prägt er auch hierdurch wiederum all das, was bei uns freiwillig und spontan ist, womit er diejenigen beschämt, die sagen, alles geschehe aus Notwendigkeit.

Oder: Da ja die Menschen (die Tiere) gebrauchen sollten, befahl er, dass der Mensch sie (die Namen) setzte.

22. Was heißt: Und jede Benennung, die Adam dem Belebten gab, sie war ihm Name. (Gen 2,19)?

Es ist nötig anzunehmen, dass er nicht nur den Tieren sondern auch den Pflanzen und allen anderen unbelebten Dingen Namen gab, beginnend mit der höchsten Gattung: und die höchste ist das Tier. Doch begnügte sich (die Schrift) mit dem besten Teil, ohne vollständig die Setzung aller (Namen) den Unkundigen zu zeigen. Denn die Benennung der Unbelebten (Dinge) war leicht (zu geben), welche nicht den Ort wechseln konnten und keine Emotionen der Seele mit sich führten. Es war schwieriger mit den Tieren wegen der Bewegungen des Körpers und der vielfältigen Äußerungen von Impulsen gemäß den Wahrnehmungen und Emotionen, woraus die Erzeugung von Handlungen kommt. Der Verstand vermochte (jedoch) das Schwerere und Ermüdendere, die Benennung der Spezies von Tieren. Deswegen war er (Adam) der Richtige, um (die Namen) zu sagen, als ob er Leichtes und Vorhandenes benenne.

23. Was heißt: Für Adam wurde kein Helfer gefunden, ihm gleich (Gen 2,20)?

Alles half und arbeitete zusammen mit dem Stammeshaupt der Menschheit, so wie die Erde und die Flüsse und das Meer und die Luft und das Licht und der Himmel. Es arbeiteten (mit ihm) zusammen auch alle Spezies von Früchten und Pflanzen und Herden von Rindern und Wildtieren, die in ihm (dem Paradies noch) nicht verwildert waren. Doch war aus diesen überhaupt keines ein Helfer, ihm gleich, da sie nicht Mensch waren. Doch entscheidet (die Schrift), dem Menschen einen Menschen als Unterstützer und Mitarbeiter zuzuweisen und erweist (dessen) vollkommene Gleichheit nach Leib und Seele.

24. Was heißt: Und er warf eine Ekstase auf Adam und ließ ihn schlafen (Gen 2,21)?

Wie Schlaf entsteht, haben Philosophen, in Aporie geraten, sich gefragt. Doch der Prophet (Mose) hat die Frage klar beantwortet. Denn der Schlaf ist nach ihm eigentlich eine Ekstase, nicht die im Wahnsinn sondern die durch das Entspannen der Sinne und den Rückzug des Denkvermögens. Dann nämlich entziehen sich die Sinne dem sinnlich Wahrnehmbarem, der Verstand aber den Sinnen. Ohne sie zu inervieren und ihnen Bewegung auszulösen, ruht er; jene aber abgeschnitten von ihren Energien durch ihre Trennung vom Wahrnehmbaren, liegen aufgelöst in Unbeweglichkeit und Untätigkeit.

25. Was ist die Flanke (Gen 2,21-22), die er von dem Erdgeborenen nahm, und warum wird die Flanke zu einer Frau geschaffen?

Der Wortsinn ist klar. Denn es wird mit einer gewissen symbolischen Flanke eine Hälfte des Ganzen benannt, nämlich von jeglichem Ding das Männliche und das Weibliche, Gegensätze der Natur, um gleich zu werden zur Zusammenfügung eines Geschlechtes, welches genannt wird ‚Mensch’. Denn im übertragenen Sinn ist der Mann symbolisch der Verstand und dessen eine Flanke ‚Stärke der Wahrnehmung’. Und die Wahrnehmung eines sehr wechselnden Wunsches wäre die Frau.

Manche aber nennen die Stärke und Vitalität Flanke, weshalb sie einen Athleten, einen Kämpfer von straffen Flanken, einen ‚Starken’ nennen.

Wenn nun der Gesetzgeber sagt, dass aus einer Flanke des Mannes die Frau wird, deutet er an, dass die Hälfte des Körpers eines Mannes die Frau ist. Das bezeugt auch die Beschaffenheit des Körpers, Gemeinsamkeiten, Bewegungen, Fähigkeiten, seelische Kräfte und Vorzüge. Denn alles wird gewissermaßen in doppelter Hinsicht betrachtet. Weil nämlich die Formung des Mannes vollkommener und doppelter ist, als die der Frau, braucht sie nur halb soviel Zeit, vierzig Tage; die der unvollkommeneren Frau, die gewissermaßen ein entzweigeschnittener Mann ist, doppelt soviel Tage, achtzig, bis die verdoppelte Zeit die Natur des Mannes zu der Besonderheit der Frau umwandelt. Denn dessen Natur, Körpers und Seele, ich meine die des Mannes, ist von doppelter Proportion, die (Zeit der) Prägung und Formung (aber) von halber Proportion (im Vergleich zur Frau). Jedoch deren körperliche Natur und Beschaffenheit – die der Frau – ist von halber Proportion, deren Formung und Prägung von doppelter (Proportion).

26. Warum nennt die Schrift die Gestalt der Frau ein „Gebäude“ (vgl. Gen 2,22)?

Die Zusammenfügung und Erfüllung aus Mann und Frau ist zeichenhaft ein Haus, und gänzlich unvollkommen und unbehaust ist alles, was ohne Frau ist. Denn dem Mann obliegen die gemeinsamen Angelegenheiten der Stadt, jedoch der Frau die ihres eigenen Hauses. Deren Versagen bedeutet Ruin, aber ihr Nahesein Hauswirtschaft.

27. Warum wurde nicht, wie die anderen Tiere und der Mann, so auch die Frau aus Erde geschaffen, sondern aus einer Flanke des Mannes (vgl. Gen 2,21)?

Erstens, damit nicht die Frau an Ehre dem Mann an Ehre gleich werde.

Zweitens, damit sie nicht an Alter gleich sei, sondern jünger. Deshalb sind die, die sehr alte Frauen nehmen, tadelnswert, als solche, die die Gesetze der Natur aufheben.

Drittens will er (Mose), dass der Mann für die Frau sorgt, als für seinen sehr notwendigen Teil, die Frau jedoch hinwiederum (ihm) dient als Teil eines Ganzen.

Viertens trägt er dem Mann bildlich auf, für die Frau zu sorgen, wie für eine Tochter, und der Frau, den Mann zu ehren, wie einen Vater. Und zu Recht, denn die Frau wechselt ihren Wohnort von ihren Eltern zu ihrem Mann. Deshalb gehört es sich, dass der, der etwas erhalten hat, den Gebern hierfür wohlgesonnen ist, und dass die, die umgezogen ist, diejenige Ehre, die sie ihren Erzeugern erwies, dem sie Nehmenden gibt. Denn als Depositum erhält ein Mann eine Frau von ihren Eltern, eine Frau jedoch den Mann von dem Gesetz.

28. Warum sagt Adam, als er die Formung der Frau erblickt, zusätzlich: Das ist jetzt Knochen von meinen Knochen und Fleisch von meinem Fleisch; sie soll Frau genannt werden, denn sie wurde von ihrem Mann genommen (Gen 2,23)?

Er hätte ungläubig sagen können, erstaunt von der Erscheinung: „Wie könnte dieser so wunderbare und liebliche Anblick aus Knochen entstehen, aus einem ungeformten Leib ohne Eigenschaften – dieses wohlgeformte und überaus liebreizende Lebewesen! Es ist unglaublich, dass es dergleichen gibt, und (doch) glaublich, denn Gott war der Verfertigter und Bildner.“ Er hätte vertrauensvoll sagen können, „Wahrhaftig, dies ist ein Lebewesen von meinem Knochen und meinem Fleisch, denn sie wurde von dem Meinen abgesondert und zustande gebracht.“

Doch nennt (der Text) Knochen und Fleisch ganz natürlicherweise, denn die menschliche Hülle ist aus Knochen und Fleisch, Arterien und Venen und Nerven und Sehnen und Luft- und Blutgefäßen.

„Frau“ aber heißt Fähigkeit, Nachkommen hervorzubringen – zu Recht: entweder deswegen, weil sie nach dem Empfangen des Samens schwanger wird und gebiert, oder, wie der Prophet (Mose) sagt, weil sie aus dem Mann entstammt, nicht aus dem Staub wie dieser, auch nicht aus Samen wie die späteren; sondern (sie kommt aus) einer Zwischennatur, wie das Abnehmen eines Weinrebzweiges zum Erzeugen einer weiteren Weinrebe.

29. Warum sagt sie: Darum wird ein Mensch den Vater und die Mutter verlassen und einer Frau anhaften, und es werden die zwei zu einem Fleisch werden (Gen 2,24)?

(Das meint) in unmöglicher Übertreibung ein Verhalten des Mannes zur Frau in Gemeinschaft, weswegen er (Mose) auch gebietet, die Eltern geduldig fahren zu lassen – nicht als ob das schicklich wäre, sondern als ob sie keine Ursachen der Zuneigung zur Frau sein würden. Hierbei sagt er in ebenso hervorhangender wie vorsichtiger Weise nicht, dass eine Frau die Eltern lassen soll, um an ihren Mann zu hängen, denn kühner als die der Frau ist die Natur (des Mannes und sein) Selbstvertrauen, sondern damit um einer Frau willen dem Mann dies möglich sei. Deswegen wird er mit um so bereitwilligeren Antrieb zur Übereinstimmung der Erkenntnis geführt. Berauscht und verliebt beherrscht und konzentriert er seine Begierden, sie wie ein Zaumzeug anpassend an die eine Gattin. Und besonders weil er, in der Autorität eines Herrn, (der) Arroganz verdächtigt ist; die Frau jedoch, die den Rang einer Dienerin einnimmt, erweist sich als folgsam gegenüber dem Lebensgefährten.

Er sagte jedoch die zwei zu einem Fleisch (im Hinblick auf) das äußerst Handgreifliche und Spürbare, worin auch der Schmerz und die Freude im Begehren liegen, damit sie (Mann und Frau) dasselbe sowohl begehren wie erleiden wie verspüren, sehr viel mehr auch denken.

30. Warum werden die zwei der Erdgeborenen und die Frau nackt genannt, und sie schämten sich nicht (Gen 3,1)?

Erstens, weil sie verwandt waren mit der Welt, und deren Teile sind nackt, indem sie alle ihre jeweiligen Eigenschaften offenbaren, sich jeweils ihrer jeweiligen Bedeckung bedienend.

Zweitens wegen der Einfachheit und Reinheit ihrer Sitten und wegen eines natürlichen Mangels an Überheblichkeit; denn noch war die Vermessenheit nicht geschaffen.

Drittens, weil das angenehme Klima des Ortes auch eine ganz ausreichende Bedeckung für sie war, so dass sie sich weder von Kälte noch von Hitze fernhalten (mussten).

Viertens, wegen ihrer Verwandtschaft mit der Welt, in welcher sie von keinem seiner Teile, als den allervertrautesten, Schaden erlitten.

31. Warum stellt sie die Schlange als klüger als alle Tiere vor (Gen 3,1)?

Es gebührt sich, die Wahrheit zu sagen, dass die Schlange wirklich klüger war als alle Tiere. Mir scheint jedoch, auch wegen (ihrer) Neigung zur Leidenschaft, deren Symbol sie ist. Als „Leidenschaft“ aber wird sinnliches Begehren bezeichnet, denn schlauer sind die Begehrlichen und kundiger in Künsten und Mitteln; groß im Erfinden dessen, was die Begierde befriedigt und dessen, was zum Genuss (in) irgendeiner Weise beiträgt. Mir aber scheint, dass, weil jenes Lebewesen, das an Wissen überlegen ist, dazu geeignet war, Betrüger des Menschen zu werden, (dies) Anklagegrund wird für den Klügeren – nicht für die ganze Gattung, sondern für ihn allein –, wegen des Gesagten.

32. Hat die Schlange in Menschenweise gesprochen? (Vgl. Gen 3,1)

Erstens ist wahrscheinlich, dass zu Beginn der Entstehung der Welt auch die anderen Lebewesen nicht ohne Anteil waren an der Vernünftigkeit, sondern der Mensch hatte den Vorteil einer Stimme, die viel klarer und deutlicher war.

Zweitens, sobald Gott etwas Wunderbares zu tun sich anschickt, verwandelt er die nieder gestellten Naturen.

Drittens, weil unsere Seelen mit sehr vielen Sünden gefüllt sind, ist er taub gegenüber jeder Rede außerhalb einer Zunge oder der anderen, nämlich der gewohnten. Jedoch die (Seelen) der ersten (Menschen), da sie vom Bösem rein und unvermischt waren, waren überhaupt begierig zur Vertrautheit mit jeder Stimme. Denn nicht einmal (ihre) Sinne (versagten) – wo wir nur schwache besitzen, wie auch eine ärmliche Körperbeschaffenheit –; sie jedoch hatten einen ganz großartigen Körper und die Größe eines Riesen erhalten; mithin besaßen sie auch genauere Sinne und ein vergleichsweise philosophischeres Sehen und Hören. Denn nicht von ungefähr vermuten manche, dass sie Augen erhalten hatten, womit sie auch sehen konnten, was es an Naturen im Himmel gibt und an Wesen und Vorgängen, und mit Ohren alle Arten von Geräusch vernehmen und deuten.

33. Warum spricht die Schlange zur Frau, aber nicht zum Mann? (Vgl. Gen 3,1)

Vielleicht, damit sie sterblich sein würden, setzt sie einen Betrug ins Werk. Die Frau aber pflegt leichter als der Mann getäuscht zu werden. Denn dessen Denken, wie auch sein Körper, ist männlich und in der Lage, die Absicht des Betrugs aufzulösen; aber das der Frau ist weiblicher, und wegen ihrer Sanftheit gibt es leicht nach und wird gefangen durch glaubhafte Lügen, die der Wahrheit ähneln. Jedoch, weil die Schlange beim Altern die Haut abstreift von der Spitze des Kopfes bis zum Schwanz, tadelt sie mit ihrem Nacktwerden den Menschen, weil er den Tod gegen (seine frühere) Unsterblichkeit eingetauscht hat. Von ihrer Tier-Natur wird sie erneuert und macht sich (von Zeit zu Zeit) gleich. Dieses sehend wurde (die Frau) getäuscht, die als ein Beispiel hätte schauen sollen auf diejenige, die die Absicht eines Betruges verfolgte – um nicht alterndes und unverwelkliches Leben zu erhalten.

34. Warum lügt die Schlange, wenn sie sagt: Gott hat gesagt: Esst nicht von jedem (=von gar keinem) Baum des Paradieses (Gen 3,1)? Denn im Gegenteil, er sagte: Von jedem Baum im Paradies zu essen, außer von einem. (Vgl. Gen 2,16f)

Die Gewohnheit von Kämpfenden ist, verstellt zu reden, damit sie unerkannt bleiben. Das ist in dem Moment geschehen. Denn es war befohlen worden, alles in Gebrauch zu nehmen außer einem. Jedoch, wer böse Gedanken dachte, kommt dazwischen und sagt: „Ein Gebot ist gegeben, von allem nicht zu essen.“ Als (etwas) Glitschiges und Suggestives bringt sie (die Schlange) eine Zweideutigkeit vor. Denn „nicht von allem essen“ bedeutet nicht: „nicht einmal von einem“ –, was falsch ist. Und wiederum: „nicht von allem“, hört man als „nicht von irgendwelchen“ –, was wahr ist. So sprach sie also ganz klar eine Unwahrheit.

35. Warum – wenn der Befehl gegeben war, nicht zu essen von einer einzigen Pflanze – machte die Frau noch einen Zusatz: Er sagte: Esst nicht von ihm und berührt ihn nicht (Gen 3,3)?

Erstens, weil der Geschmack, und überhaupt jede Wahrnehmung, in einer Berührung von etwas besteht.

Zweitens im Hinblick auf die Bestrafung (derer), die (es) begingen. Denn, wenn (tatsächlich) das bloße Annähern verboten war, wie würden da diejenigen, die zusätzlich zum Berühren auch aßen und genossen (und) ein großes Unrecht zum kleinen hinzufügten, nicht Richter ihrer selbst werden und Bestrafer?

36. Was heißt: Ihr werdet wie Götter sein, die Gut und Böse erkennen (Gen 3,5)?

Woher kannte die Schlange dieses plurale Substantiv Götter? Einer ist doch der wahre Gott, (und) jetzt nannte sie ihn zum ersten Mal. Könnte es denn sein, dass es eine vorherwissende Fähigkeit gab (bezüglich des) bevorstehenden polytheistischen Glaubens bei den Menschen – wovon die Urgeschichte zeugt, dass er nicht durch etwas Vernünftiges auch nicht einmal durch die besseren Tiere entstand, sondern von dem giftigsten und wertlosesten sowohl der wildesten Tiere wie auch der Reptilien herkommt. Denn diese lauern im Boden, und ihre Nester sind in Höhlen und in Vertiefungen der Erde. Denn einem Vernünftigen ist es doch wohl eigen, allein das Sein wahrhaft für Gott zu halten, für ein Wildtier aber, ein verstandloses, viele Götter zu fingieren, was in Wahrheit nicht ist.

Und wiederum versteht sie (die Schlange) sich auf Raffinesse; denn in der Göttlichkeit ist nicht nur Wissen von Gut und Böse, sondern auch Teilhabe und Gefallen am Guten und Verschiedenheit und Abstandsnahme vom Bösen. Diese jedoch hat sie nicht offenbart, weil sie nützlich sind; sie gab nur ein Scheinwissen der beiden Gegensätze; (die Worte) Gut und Böse stellte sie hin.

Zweitens, wie Götter ist hier nicht von ungefähr gesagt, sondern weil es in sich die (Unterscheidung?) des Guten und des Bösen enthält, und diese (Worte) sind ambivalent. So durften nun die partikularen Götter eine Kenntnis der Gegensätzen haben; aber die ältere Ursache ist erhabener.

37. Warum berührte die Frau zuerst den Baum und isst von der Frucht, und danach auch der Mann, von ihr nehmend (vgl. Gen 3,6)?

Der Text sagt mit Nachdruck (sie sei) auch die Erste. Denn es gehörte sich, dass mit der Unsterblichkeit und allem Guten der Mann anfing, jedoch mit dem Tod und allem Schlechten die Frau. Sinngemäß jedoch ist die Frau symbolisch die Wahrnehmung und der Mann der Verstand. Nun trifft Wahrnehmung notwendig auf das Wahrnehmbare; aber beim Teilhaben an der Wahrnehmung gehen (die Wahrnehmungen) hindurch in den Verstand; denn die Wahrnehmung wird vom Objekt in Gang gesetzt, jedoch der Verstand von der Wahrnehmung.

38. Was heißt: Und sie gab ihrem Mann bei ihr (Gen 3,6)?

Das nunmehr Gesagte erzählt, dass es fast dieselbe Zeit ist, wo zugleich die Wahrnehmung eines Objektes geschieht und der Verstand von der Wahrnehmung geprägt wird.

39. Was heißt: Geöffnet wurden die Augen der beiden (Gen 3,7)?

Dass sie nicht blind erschaffen waren, ist schon daraus klar, dass auch alle anderen (Wesen) vollkommen erschaffen waren, sowohl Tiere als auch Pflanzen; und sollte nicht der Mensch ausgestattet sein mit den überlegenen Teilen, wie den Augen?

Aber (auch daraus, dass) er etwas vorher allen Lebewesen erfahrungsgemäße Namen setzt; daher ist klar, dass er sie erst gesehen hat.

Kann es vielleicht sein, dass Augen symbolisch das Sehen der Seele andeutet, durch welche allein die Wahrnehmungen guter und schlechter, edler und schändlicher Dinge und aller Gegensätze geschehen.

Wenn jedoch das Auge eine eigenständige Intelligenz ist, die „der Berater des Einsicht“ genannt wird, ist das nicht denkende Auge etwas eigenes, das Schein genannt wird.

40. Was heißt: Und sie erkannten, dass sie nackt waren (Gen 3,7)?

Von dieser ihrer Nacktheit erhielten sie zuerst Kenntnis, als sie aßen von der verbotenen Frucht. Dies aber ist Schein und Anfang des Bösen, nicht mehr verhüllt zu gehen, denn die Teile des Alls sind unsterblich und unverderblich, aber sie brauchten etwas Handgemachtes und Vergängliches.

Und dieses Wissen liegt im Nacktsein, sie aber (die Teile des Alls?) sind nicht die Ursache der Verschiedenheit an sich, sondern eine Andersheit hat die Seele erdacht gegenüber der ganzen Welt.

41. Warum nähen sie Feigenblätter zusammen und Schurze (Gen 3,7)?

Erstens, weil die Frucht des Feigenbaumes ziemlich süß ist und angenehm zu kosten. Darum verweist sie (die Schrift) symbolisch auf diejenigen, die süße Begierden zusammennähen und zusammenweben, viele untereinander. Deswegen umgürten sie den Ort der Zeugungsorgane, der Werkzeug sehr großer Dinge ist.

Zweitens, weil die Frucht des Feigenbaumes, wie ich gesagt habe, süßer als die anderer (Bäume) ist, und seine Blätter rauer sind. Daher möchte (die Schrift) symbolisch klarstellen, dass, obwohl die Bewegung der Freude irgendwie schlüpfrig und glatt zu sein scheint, sie sich dennoch in Wahrheit als rau erweist; und es ist unmöglich, Vergnügen oder Lust zu empfinden, ohne zuvor Schmerz zu fühlen und wiederum zusätzlichen Schmerz.

Denn stets ist das Schmerzempfinden zwischen zwei Schmerzen traurig – zwischen einem der beginnt und einem anderen der darauf folgt.

42. Was ist die Stimme des Umhergehens Gottes, welche er hörte? (Gen 3,8) Ist es vielleicht ein Geräusch von Worten eher als von Füßen? Geht Gott umher?

Was immer es am Himmel gibt, geht im Kreis, alles „wahrnehmbare Götter“, die in Kreisbahnen voranschreiten. Aber die höchste und älteste Ursache ist „stabil und unerschütterlich“, wie ein Wort der Alten will. Denn sie (die Schrift) bringt einen Hinweis und eine gewisse Andeutung, als ob sie den Eindruck erwecken wolle, sie (die Ursache) bewege sich; und weil die Propheten nicht durch das Aussenden einer Stimme hören, (sondern) durch ein gewisse Kraft einer göttlicheren Stimme, die das Gesagte ihnen tönt. Wie sie nun also gehört wird, ohne dass jemand spricht, so gibt sie den Eindruck des Gehens, ohne dass jemand geht; vielmehr bewegt sich in Wirklichkeit gar nichts. Du sieht aber, dass, bevor es überhaupt irgendein Kosten von der Bosheit gegeben hatte, (die Menschen) stabil, beständig, unerschütterlich, friedlich und ewig (sind); ebenso und gemäß dem, was sie glauben, dass die Gottheit sei, wie sie ja in Wahrheit ist. Aber dadurch, dass sie danach Anteil erhielten an der Raffinesse, bewegen sie sich von sich aus und verlieren die Unerschütterlichkeit, indem sie glauben, dass Veränderung und ein Wechsel in ihm sei.

43. Warum wird, als sie sich vor dem Angesicht Gottes verstecken, nicht zuerst die Frau genannt, wo sie doch zuerst von der verbotenen Frucht aß, sondern zuerst steht da der Mann; denn es heißt: Und es verbargen sich Adam und seine Frau (Gen 3,8)?

Den Anfang von Übertretung und Ungesetzlichkeit macht wohl das Unvollständige und Geringere, das Weibliche; (den Anfang) von Reue und Scham und von allem Besseren das Männliche als das Bessere und das Vollkommenere.

44. Warum verstecken sie sich nicht woanders, sondern in der Mitte des Waldes des Paradieses (Gen 3,8)?

Nicht alles wird von Sündern mit Überlegung und Weisheit getan; sondern manchmal sitzen auf dem Diebesgut die Diebe, nicht sehend die Folge, dass das Nahe, was vor den Füssen liegt, bei einer Suche zuerst aufgespürt wird. Etwas Derartiges musste auch jetzt geschehen. Während es nötig gewesen wäre, weit von dem Baum zu fliehen, von welchem (=von dessen Frucht) die Übertretung geschehen war, wurde er (Adam) sogar in der Mitte des Ortes ergriffen, zur Bezeugung des Gesetzesbruchs; deutlicher und klarer ist, was immer ohne Flucht geschieht.

Doch deutet (die Schrift) symbolisch auch dies an: Jeder Schlechte nimmt als Zufluchtsort die Schlechtigkeit und jeder Begierige sucht als Zuflucht die Begierde.

45. Warum fragt der, der alles weiß, Adam: Wo bist Du? (Gen 3,9), und warum nicht auch die Frau?

Nicht als Frage erscheint das Gesagte, sondern als eine Art Drohung und Schelte: Von welchem Guten, oh Mensch, bist du geflohen! Unsterblichkeit und ewiges Leben zurücklassend, bist du zum Tod geflohen und zum Elend, worin du begraben bist.

Aber die Frau zu fragen, hielt er nicht für angebracht, welche ja der Anfang des Bösen und erstes Übel in seinem Leben geworden war.

Jedoch bietet sich an dieser Stelle auch eine nahe liegende Allegorie an: Das Herrschende und Erste aber, das die Funktion des Männlichen hat, lässt, sobald es etwas hört, das Üble und das Weibliche ein, das ist die Wahrnehmung.

46. Warum sagt der Mann: Die Frau gab mir vom Baum und ich aß, während die Frau sagt: Die Schlange hat – nicht gegeben, sondern – mich getäuscht, und ich aß? (Gen 3,12f)?

Der Wortsinn entspricht in gewisser Weise der verbreiteten Meinung, dass eine Frau von Natur sich (eher) täuschen lässt, als dass sie etwas groß bedenkt, der Mann jedoch im Gegenteil. Sinngemäß jedoch: Die Wahrnehmungen eines jeden Unvollkommenen täuscht und verführt, was für ihn wahrnehmbar ist. Die Wahrnehmung aber, die vom Objekt krank geworden ist, bringt die Krankheit hinein in das herrschenden und führende (Organ). In Folge dessen empfängt der Verstand von der Wahrnehmung das Gegebene, das er (er)trägt. Die Wahrnehmung jedoch wird von dem wahrnehmbaren Objekt getäuscht und verführt. Jedoch die Wahrnehmungen des Weisen sind ohne Täuschung wie auch die Gedanken des Verstandes.