Philon: Fragen und Auflösungen zur Genesis

Die unten stehende Übersetzung aus dem Armenischen und – soweit vorhanden – dem Griechischen ist noch vorläufig und erscheint hier ohne Fußnoten und kritischen Apparat. Schriftzitate sind direkt aus der Septuaginta übersetzt (kursiv markiert).

(c) Institutum Judaicum Delitzschianum Münster

47. Warum verflucht er (Gott) die Schlange zuerst, danach die Frau und als drittes den Mann? (vgl. Gen 3,14-17)

Der Reihe der Übertretungen folgte auch die Ordnung der Verfluchungen. Als erste täuschte die Schlange. Als zweite sündigte ihr gemäß die Frau; sie gab der Täuschung Raum. Als dritter (sündigte) der Mann: Er gab dem Willen der Frau Raum, mehr als dem göttlichen Gebot.

Doch eignet sich diese Ordnung auch gut zur Allegorie. Denn die Schlange ist Symbol der Begierde, wie gezeigt wird, und die Frau (Symbol) der Wahrnehmung und der Mann (Symbol) des Verstandes. So wird Urheber der Sünde die Begierde und diese erst täuscht die Wahrnehmung, die Wahrnehmung jedoch nimmt den Verstand gefangen.

48. Warum (gilt) der Schlange dieser Fluch, auf Brust und Bauch zu gehen und Erde zu fressen und Feindschaft zu haben mit der Frau (Gen 3,14f)?

Der Wortlaut ist klar; er hat zum Beweis, das was wir sehen. Aber im (übertragenen) Sinn, wird er folgendermaßen allegorisiert: Da die Schlange Symbol der Begierde ist, bildet sie Lustmenschen ab: Sie nämlich kriecht auf Brust und Bauch; sie ist angefüllt mit Essen und Trinken in der unersättliche Begierde eines Tauchvogels, ungezügelt und rückhaltlos beim Fleischfressen. Und was immer mit Nahrung zu tun hat, ist durchwegs etwas Erdiges. Darum heißt es, sie „frisst Erde“.

Eine natürliche Feindschaft aber hat die Begierde gegen die Wahrnehmung, welche (die Schrift) symbolisch Frau nannte. Und während die Begierden angeblich kritisch zur Wahrnehmung stehen, sind sie doch in Wahrheit Schmeichler und intrigieren wie Feinde. Es ist ja die Gewohnheit von Feinden, dass sie durch das, was sie schenken, eben dadurch einen großen Schaden bewirken – die Augen (bringen sie) zur Kurzsichtigkeit, die Ohren zur Schwerhörigkeit und die anderen (Sinne) zur Stumpfheit. Sie bewirken in Gemeinschaft mit dem Körper Auflösung und Lähmung, jegliche Gesundheit fernhaltend und viele und üble und grundlose Krankheiten zu Stande bringend.

49. Warum (geht) der Fluch über die Frau auf Zunahme von Schmerzen und Seufzen und Gebären mit Schmerzen und Hinwendung auf den Mann (Gen 3,16) und auf Beherrschtwerden durch ihn?

So ergeht es einer jeden Frau, die Lebensgefährtin eines Mannes ist – nicht wie ein Fluch, sondern wie eine Notwendigkeit.

Symbolisch jedoch haben die Sinne eines Menschen schwere Mühen und Schmerzen, verletzt und gequält von hausgemachten Leiden. Abkömmlinge der Wahrnehmung aber sind diese: für die Augen das Sehen, für die Ohren das Hören, für die Nase das Riechen, für den Geschmacksinn das Schmecken, für den Tastsinn das Berühren. Da das Leben des Nichtswürdigen und Bösen auch traurig und dürftig ist, dass, was auch immer auf die Wahrnehmung wirkt, mit Furcht und Schmerzen gemischt ist.

Aber dem (übertragenen) Sinn nach geschieht eine Hinwendung der Wahrnehmung auf den Mann, nicht als Helfer, denn sie ist unterlegen, weil sie Nichtswürdig ist, jedoch wie zu einem Herrn, da sie die Gewalt mehr achtet als die Gerechtigkeit.

50. Warum verflucht er die Schlange und die Frau, indem er sich auf sie bezieht, aber nicht so beim Mann, wo er die Erde nimmt und sagt: Verflucht (sei) die Erde deinetwegen, in Schmerzen wirst du sie essen; Dornen und Disteln wird sie dir sprießen lassen, und du wirst Gras des Feldes essen; im Schweiß deines Angesichts wirst du dein Brot essen (Gen 3,17-19)?

Da der Verstand ein göttlicher Anhauch ist (vgl. Gen 2,7), erachtet er (Gott) es nicht als richtig, ihn zu verfluchen; doch wendete er den Fluch gegen die Erde und ihre Bearbeitung. Die Erde aber ist von dergleichen Natur wie der Körper des Menschen, dessen Bearbeiter der Verstand ist. Wo der Landarbeiter tüchtig und fleißig ist, trägt auch der Körper seine Früchte: Gesundheit, Sinnesschärfe, Kraft, Schönheit. Aber, wo er grausam ist, wird das Gegenteil bewirkt; denn verflucht wird der Körper, der als Arbeiter einen undisziplinierten und uneinsichtigen Verstand erhält. Seine Frucht ist überhaupt nichts Nützliches sondern Dornen und Disteln, Furcht und Schmerzen und noch anderen Krankheiten, da die Gedanken den Verstand bewerfen und beschießen. Und Nahrung ist Gras symbolischerweise, da er (der Mensch) sich verwandelte aus einem Vernunftwesen in ein verstandloses (Tier), da er die göttliche Nahrung übersah: Diese ist das, was durch Wort und freiwillige Gesetze durch die Philosophie geschenkt wird.

51. Was heißt: Bis zu deiner Rückkehr in die Erde, aus der du genommen bist? (Gen 3,19) Denn nicht aus Erde allein wurde der Mensch geschaffen sondern auch aus göttlicher Seele.

Erstens ist offensichtlich, dass der Erdgeborene aus Erde und Himmel gemischt ist. Und da er ja nicht unverdorben blieb, sondern die Anweisung Gottes missachtete, floh er vom besseren Teil (der Welt) auf die Erde; er gab sich ganz der Erde zum Anteil, dem dichteren und schwereren Element.

Zweitens, sofern jemand ein Liebhaber der Tugend wurde, die die Seele unsterblich macht, hat er auf jeden Fall das himmlische Los erhalten. Da er (Adam) aber einer Freude nacheiferte, durch welche der seelische Tod eintritt, kehrt er zur Erde wieder zurück. Daher sagt die Schrift: Erde bist du; dementsprechend wirst du in die Erde zurückkehren (Gen 3,19). Deswegen ist die Erde sowohl Anfang als auch Ende des Bösen und Schlechten, der Himmel aber der des Besten.

52. Warum nennt der Erdgeborene seine Frau Leben und spricht: Denn sie ist Mutter aller Lebenden (Gen 3,20)?

Erstens gab er den sehr vertrauten Namen Leben der erst-geschaffenen Frau, denn sie war Quelle des Werdens, das nach ihnen kommen sollte, für alle Generationen.

Zweitens, weil sie die Tatsache ihres Daseins nicht aus der Erde nahm sondern aus einem Lebenden, aus einem Teil des Mannes, aus einer Rippe geformt zur Frau. Leben wurde sie, weil sie von einem Lebenden zuerst wurde und dem gemäß, dass die ersten vernünftigen Wesen aus ihr geboren werden sollten.

Jedoch gibt es einen Anlass, es eher übertragen zu hören. Denn die Wahrnehmung, die symbolisch die Frau ist, wird sie nicht mit Recht Leben genannt? Denn das Lebende ist vom etwas Nicht-Lebenden am meisten durch Wahrnehmung verschieden, durch welche die Eindrücke und Impulse geschehen; denn die Wahrnehmung ist beider Ursache. Und in Wahrheit ist die Mutter alles Lebendigen die Wahrnehmung; wie ohne eine Mutter keinerlei Geburt geschieht, so gibt es auch ohne Wahrnehmung kein Lebendiges.

53. Warum macht Gott Fellgewänder für Adam und die Frau und kleidet sie (Gen 3,21)?

Es könnte jemand dieses Wort verspotten im Hinblick auf die Schlichtheit der Verfertigung der Gewänder, als wären sie nicht würdig einen derartigen Verfertiger zu haben. Aber ein Mann, der von Weisheit und Tugend gekostet hat, wird sehr wohl das Werk für Gott geziemend halten, als Ermahnung zur Weisheit für diejenigen, die sich vergeblich mühen, die, etwas Geringes verachtend, weil es (nur) nützlich ist, und nach elendem Ruhm verrückt, sich der Bequemlichkeit hingegeben haben, die Weisheit und Tugend verachtend; ein glanzvolles Leben und eine handwerkliche, das Gute verachtende, Weisheit haben sie liebgewonnen. Und die Elenden haben nicht erkannt, dass die nichts-brauchende Bedürfnislosigkeit sozusagen Verwandter und Nachbar wird, der Luxus jedoch ein Feind, der irgendwohin vertrieben (weg)bleibt. Die Fellgewänder sind also recht beurteilt für einen wertvolleren Besitz zu achten als ein blumengeschmücktes farbiges Purpurgewand. Soweit der Wortsinn.

Aber im (übertragenen) Sinn sind die Fellgewänder symbolisch die natürliche Haut des Körpers. Denn als Gott den ersten Verstand formte, nannte er ihn Adam; dann formte er die Wahrnehmung, welche er das „Leben“ nannte; an dritter Stelle macht er notwendigerweise auch einen Körper; den nannte er symbolisch Fellgewänder. Denn es war nötig, dass Verstand und Wahrnehmung wie mit einem Hautgewand den Körper bekleideten, damit das Geschaffene der göttlichen Kraft noch würdiger erscheine. Denn wer hätte wohl eher die Fähigkeit, den menschlichen Körper zu bilden oder gar schöner zu machen, als allein Gott? Deshalb, nachdem er (den Körper) gemacht hatte, bekleidete er (den Körper) sogleich. Denn menschliche Kleidung verfertigen andere, als die, die sie (sich damit) bekleiden. Aber das natürliche Gewand, das heißt der Körper, war dessen Arbeit, der es auch gemacht hatte, und, nachdem er es gemacht hatte, (den Körper) bekleidet hatte.

54. Zu wem sagt er: Sieh, Adam ist geworden wie einer von uns im Erkennen von Gut und Böse (Gen 3,22)?

Einer von uns zeigt eine Mehrzahl an. Könnte es etwa sein, dass er mit seinen Kräften spricht, mit welchem, wie mit Instrumenten, er die ganze Welt schuf. Doch das Wort wie deutet eine Analogie und einen Vergleich an, es ist nicht Zeichen einer Identität. Denn auf andere Art wird bei den Göttern durch Intelligibles und Wahrnehmbares das Gute und sein Gegenteil erkannt als bei den Menschen. Denn in dem Maße wie die Naturen jener, die erkennen und erfassen, verschieden sind, und zwar in Wahrheit begreifen und erfassen, so ist (auch) diese selbe erfassende Kraft (verschieden).

Und all dies passt auf den Menschen als Analogien, Gestalten und Bilder, jedoch auf Götter als Archetypen und Paradigmen und Beispiele, sehr klare für Dunkles. Sich selbst aber vermischt der ungezeugte und ungewordene Vater mit gar nichts. Er betrachtet unausgesetzt die Herrlichkeit seiner Kräfte.

55. Was heißt: Damit er nicht etwa seine Hand ausstreckt und vom Baum des Lebens nimmt und isst und für immer lebt (Gen 3,22)? Denn es gibt weder Zweifel noch Neid in Gott.

Es ist wahr, dass die Gottheit weder zweifelt noch neidet. (Die Schrift) gebraucht jedoch oft Ausdrücke des Zweifels und des Nachdenkens, im Rückbezug auf den Grundsatz wie ein Mensch. Zweierlei oberste Grundsätze gibt es nämlich, wie ich oft gesagt habe, der eine: Nicht wie ein Mensch ist Gott (Num 23,19), der andere: wie ein Mensch seinen Sohn erzieht, so wird der HERR, Gott, dich erziehen (Dtn 8,5). Der erste (Grundsatz) entspricht der Vollmacht, der zweite der Pädagogik damit auch die Freiwilligkeit hereinkommt. Dass damit nicht etwa ist kein Schwanken Gottes, sondern Anpassung an den Menschen, den Schwankenden von Natur, und an Zeigung dessen, wie es ihm ergeht. Wenn jedoch die Erscheinung von etwas hinzukommt, stellen sich sofort drei Dinge ein: Der Anstoß von der Erscheinung her, der Antrieb zum Erschienen hin, und als drittes das Schwanken des Zweifels, wenn die Seele hin- und hergezogen ist, ob es erstrebenswert sei oder nicht. Auf dieses dritte bezieht sich offenbar das damit nicht etwa.

Die Gottheit aber hat nicht Teil an irgendeiner schlechten Eigenschaft; weder um das Gut der Unsterblichkeit noch um sonst irgendeines trägt sie Neid. Ein sicheres Zeichen ist: Nicht auf irgendjemandes Bitten, hat er (der Schöpfer) die Welt gemacht; er hat die widerstrebende, ungeordnete, ungezähmte und unselbstständige Substanz zu etwas Sanftem und Angenehmen als versöhnender Wohltäter gemacht, in großer harmonischer Ordnung der Güter. Und es pflanzte den Baum des Lebens der wahrhaft Seiende durch seine klare Einsicht. Wiederum bediente es sich Niemandes als Fürsprecher und Ermahner bei der Anteilgabe an der Unzerstörbarkeit.

Solange nun der Verstand (des Menschen) rein war und keine Vorstellung einer bösen Tat oder eines bösen Wortes gefasst hatte, hatte er ungehinderten Genuss dessen, was ihn zur Gottesverehrung führte, die die untrügliche und wahrhaftige Unsterblichkeit ist. Seit er begann sich hinabzustürzen zum Schlechten, sterbliches Leben begehrend, verfehlte er die Unsterblichkeit; denn die Schlechtigkeit unsterblich zu machen, wäre ungehörig und nutzlos für den, dem es zufällt. Denn je langlebiger der Schlechte und Gemeine ist, umso elenderer ist er – sowohl für sich selbst, wie auch für andere ein großer Schaden.

56. Warum nennt er jetzt das Paradies Schwelgen, wo er den Menschen aus ihm hinausschickt, die Erde zu bearbeiten, aus der er genommen wurde (Gen 3,23)?

Der Unterschied in der Kultivierung ist klar: Solange er die Weisheit, die im Paradies war, kultivierte, beschäftigte er sich mit Planzungen der Weisheit gleichwie von Bäumen, von deren unsterblichen, nutzbringenden Früchten er sich ernährte, durch welche er unsterblich wurde. Jedoch hinausgeschickt aus dem Ort der Weisheit, wird er die entgegengesetzten Werke der Unwissenheit betreiben, durch welche der Leib beschmutzt und der Verstand geblendet wird; und durch seine eigenen Nahrung verhungernd, erschlafft er zu einem elenden Tod.

Deswegen nennt er auch jetzt zum Tadel des Unverständigen das Paradies Schwelgen, im Gegensatz zu einem schmerzhaften und schrecklichen Lebens. Denn wahrhaftig ist ein Leben in Weisheit ein Schwelgen großzügigen Wohlbefindens und ein der vernünftigen Seele höchst vertrauter Genuss. Doch eines ohne Weisheit ist karg und schrecklich. Denn sosehr es auch von Genüssen getäuscht wird, denen es nachgeht, (sind doch) Schmerzen am Anfang wie am Ende.

57. Warum siedelt er gegenüber dem Paradies die Cherubim an und das (...) Schwert, welches sich wendet, den Weg zum Baum des Leben zu bewachen (Gen 3,24)?

Die Cherubim sind Symbol der beiden ersten Kräfte, die bei der Gottheit sind, der schöpferischen und der herrscherlichen, deren Eine Gott genannt worden ist und deren andere, die herrscherliche, HERR. Und die Gestalt der schöpferischen ist eine wohlwollende und eine freundliche und eine wohltätige Kraft, die der herrscherlichen jedoch ist eine gesetzgebende und strafende. Aber Feuerschwert benennt symbolisch den Himmel, denn der Äther ist flammenartig und dreht sich im Kreis um den Äon. Und, nachdem all diese das Beschützen des Paradieses übernommen haben, ist klar, dass sie Aufseher der Weisheit sind, wie ein Spiegel – denn in gewisse Weise ist die Weisheit ein Spiegel der Welt – der Kräfte Gottes, demgemäss sie (die Welt) vollkommen wurde und dieses All dirigiert und verwaltet wird. Jedoch der Weg zur Weisheit wird Philosophie genannt; denn weisheitsliebend ist (die) schöpferische Kraft, weisheitsliebend ist auch die herrscherliche, weisheitsliebend ist auch die Welt.

Doch gibt es einige, die sagen, das (...) Schwert sei die Sonne, weil sie bei ihrem unsteten Umlauf die Jahreszeiten zum Vorschein bringt, wie sie Bewahrer des Lebens ist und all dessen, was immer zum Leben gelangt.

58. Ist richtig über Kain gesagt: Ich habe einen Menschen durch Gott erworben (Gen 4,1)?

Verschieden ist von etwas zu werden und aus etwas und durch etwas. Von etwas – wie von Materie, was etwas – wie aus einer Ursache und durch etwas – wie durch ein Werkzeug. Doch der Vater und Schöpfer des Alls ist kein Werkzeug sondern eine Ursache. Darum irrt ab vom gesunden Denken wer sagt, nicht von Gott sondern durch Gott geschehe das Werden.

59. Warum beschreibt er (Mose) das Werk des Jüngeren, Abel, wenn er sagt: Er wurde eine Schafhirt, Kain aber bearbeitete die Erde (Gen 4,2)?

Denn obwohl der Zeit nach früher als der Schlechte der Gerechte war, war er an Kraft doch der Ältere. Weshalb jetzt, wo ihre Arbeiten beurteilt werden, er an die erste Stelle kommt. Denn einer von ihnen arbeitet und kümmert sich um Lebendige, obwohl sie unvernünftig sind, und übernimmt gerne die Hirtenarbeit, was auf Anführerschaft und Königtum Vorübung ist. Aber der andere macht sich Arbeit mit Erdigem und Unbelebtem.

60. Warum bringt Kain nach (einigen) Tagen Erstlinge dar (Gen 4,3), Abel jedoch von Erstgeburten und von Fett (Gen 4,4) nicht nach (einigen) Tagen?

Das benennt den Unterschied zwischen einem sich selbst Liebenden und einen Gott Liebenden. Der eine, der für sich selbst die Erstlingsfrüchte nahm, würdigt damit Gott respektlos (nur) der zweiten. Denn die Worte nach (einigen) Tagen und nicht: sofort, und von den Früchten (Gen 4,3) aber nicht: von den ersten Früchten, zeigt eine Art von Gesetzesverletzung an. Aber der andere bot die erstgeborenen und älteren (Tiere) ohne jede Verzögerung, (dies ist) das dem Vater Angenehme.

61. Warum erwähnt sie, nachdem sie zunächst Kain als Ersten erwähnt hatte, ihn (nun) an zweiter Stelle? Sie sagt nämlich: Es blickte Gott auf Abel und seine Gaben, auf Kain jedoch und seine Opfer achtete er nicht (Gen 4,4f).

Zunächst: Nicht ist jemand der Erste, der (als solcher) wahrnehmbar ist, sondern, der nach seiner Zeit und moralischen Qualität, d.h. auch der Natur nach, Erster ist.

Zweitens, da es zwei sind, ein Guter und ein Böser, wandte er sich dem Guten zu, auf ihn blickend, weil er ein Liebhaber des Guten und der Tugend ist. Ihn zuerst anblickend, neigt er sich zu jener Seite, nach natürlicher Ordnung; er tadelt (damit) den Bösen und wendet sich von ihm ab. So sagt (die Schrift) sehr treffend, dass Gott nicht das Angebotene, sondern diejenigen, die die Gaben darbrachten, früher als das Dargebrachte ansah, denn Menschen schauen auf die Menge der Geschenke und bewerten sie, Gott jedoch auf die Wahrheit der Seele, sich abwendend von Geltungssucht und Schmeichelei.

62. Worin unterscheidet sich ein Geschenk von einem Opfer (Gen 4,4f)?

Wer opfert teilt dabei auf: Das Blut gießt er gegen den Altar, das Fleisch aber nimmt er nach Hause. Wer aber eine Geschenk bringt, lässt erwarten, dass er das Ganze dem Empfänger überlässt. So ist der sich Liebende ein Teiler wie Kain, der Gott Liebende ein Schenker wie Abel.

63. Woher wusste Kain, dass seine Gabe nicht wohlgefällig war? (Gen 4,5)

Vielleicht löst den Zweifel der oben(drein) gesagte Grund: es betrübte ihn und seine Gesichtszüge fielen ein (Gen 4,5b). Er empfing jedoch die Trauer als Anzeichen dafür, dass er auf nicht wohlgefällige Weise Gott opferte. Denn Freude pflegt sich bei dem einzustellen, der rein und tadellos geopfert hat.

64. Was heißt: Wenn du richtig opferst, aber nicht richtig teilst, (hast du da nicht) gesündigt (Gen 4,7)?

Zunächst: Richtige Teilung oder nicht ist nichts anderes als (eine Frage der) Reihenfolge. In einer Folge ist die gesamte Welt und sind ihre Teile geschaffen worden. Denn auch der Weltschöpfer, als er die widerspenstige und ungeordnete und inaktive Substanz begann zu ordnen, bediente er sich der Schnitte und Teilungen. Denn die schweren und die natürlich nach unten drückenden, Erde und Wasser, stellte er in die Mitte des Ganzen, Luft und Feuer jedoch nach oben, die wegen ihrer Leichtigkeit emporstreben. Jedoch die reine Natur, den Himmel, trennte er ab und legte ihn rings um das All, damit sie für alle unsichtbar sei, (und doch) in sich alles umfassend enthalte. Aber die Lebensentstehung von Tieren und Pflanzen aus feuchtem und trockenen Samen – was ist sie anderes als Schnitt und Trennung der Abgrenzung? Folglich ist es notwendig, dass die Abläufe diese Ordnung in allen Dingen des Lebens nachahmen, besonders bei der Abstattung von Dank für jenes, wofür ein Zurückgeben einer zeichenhaften Gegengabe an den Geber verlangt wird

Zweitens, Gott zu danken, ist in sich selbst richtig, wenn es jedoch weder dem Ersten (Gott) noch aus dem Ersten als Erstling gebracht wird, ist es tadelnswert. Denn es gehört sich nicht, dass als Ehrengaben die Schöpfung ihr selbst, zweitrangige Gaben jedoch dem Ungeschaffenen zugeteilt werden. Diese ist die tadelnswerte Trennung, die Unordnung in die Ordnung einbringt.

65. Was heißt, Du hast gesündigt, sei still (Gen 4,7)?

Das Orakel spricht etwas sehr Nützliches aus. Denn überhaupt nicht zu sündigen, ist das größte Gut; dass einer, der gesündigt hat, sich schämt, ist jenem verwandt, als Jüngeres, wie man wohl sagen könnte, im Vergleich zu Älterem. Es gibt ja (Leute), die sich über ihre sündigen Handlungen wie über Erfolge freuen; sie haben eine schwer zu heilende, ja vielmehr unheilbare Krankheit.

66. Warum scheint er, den Guten in die Hand des Bösen zu geben, wenn er sagt: Auf dich ist seine Hinwendung (Gen 4,7)?

Nicht gibt er in seine Hand, sondern eines (muss) für ein anderes gehört werden. Denn er spricht nicht vom dem Frommen, sondern von der bewirkten Tat. Und zwar sagt er ihm: „Die Hinwendung und Rückwirkung deines Frevels auf dich. So mach keine Notwendigkeit verantwortlich, sondern deinen eigenen Charakter“ – damit er auch die Freiwilligkeit erweise.

Aber: Du sollst herrschen über ihn (Gen 4,7) lenken wieder das Augenmerk auf die Tat. Als Erster begann er zu freveln; (der Text) erweist aber, dass wie auf einer Grundlage diesem Frevel auch die übrigen Vergehen folgen, so dass erster Anfang und Beginn aller freiwilligen Gesetzesverletzung dieser ist.

67. Warum tötet er den Bruder auf der Ebene (Gen 4,8)?

Damit, bei erneutem Säen oder Pflanzen, Unfruchtbarkeit bzw. völliger Missertrag eintrete, welcher den Gräuel der Tötung in Erinnerung ruft. Denn nicht war dieser bestimmt, Boden zu werden, und gezwungen, zu trinken von menschlichem Blut wider die Natur und Nahrung sprossen zu lassen für jenen, der ihn verkrustet hatte mit Gräuelblut.

68. Warum fragt, der alles weiß, den Brudermörder: Wo ist Abel, dein Bruder (Gen 4,9)?

Er will, dass der Mensch selbst, aufgrund seines eigenen Willens, gesteht, damit er nicht vorgebe, es scheine alles aus Notwendigkeit zu geschehen. Denn, wer aus Notwendigkeit tötete, würde unfreiwillig handeln, zu gestehen; denn, was nicht an uns ist, lässt sich nicht vorwerfen. Wer nämlich jedoch aus freiem Willen (handelte), leugnet es. Denn zur Reue sind die Sünder verpflichtet. In allen Teilen der Gesetzgebung webt nämlich (Mose ein), dass keine Ursache von Bösem die Gottheit ist.

69. Warum gibt er (Kain) Antwort wie an einen Menschen, wenn er sagt: Ich weiß es nicht. Bin ich etwa Hüter meines Bruders (Gen 4,9)?

Es ist eine gottloser Meinung, nicht zu meinen, dass das göttliche Auge in alles eindringt und alles beaufsichtigt, nicht nur, was zutage liegt, sondern auch was in Nischen, Tiefen und Abgründen ist. „Woher weißt du nicht,“ könnte jemand sagen „wo dein Bruder ist?“ „Und wie hast du das nicht erfahren, der vierte Mensch in der Welt, zusammen nur mit deinen beiden Eltern und deinem einzigen Bruder?“ Aber auch: „Nicht bin ich Hüter des Bruders“ – eine schöne Verteidigung! Doch wessen sonst, als deines Bruders Aufpasser und Beschützer solltest du sein? Um Gewalt, Rechtlosigkeit, Nachstellung und Mord, was großer Gräuel und Schandtat ist, hast du Sorge getragen, die Sicherheit des Bruders jedoch hast du wie eine Nebensache verachtet!?

70. Was heißt: Die Stimme deines Bruders schreit zu mir aus der Erde (Gen 4,10)?

Das ist das höchst lehrreich: Die Gottheit nämlich hört die Reinen, auch wenn sie gestorben sind, voraussetzend, dass sie das körperlose Leben leben; aber von Gebeten Böser wendet sie sich ab, auch wenn sie sich wohl befinden, in der Meinung, dass sie dem wahren Leben gestorben sind und den Körper umhertragen wie ein Grabmahl, in welchem sie ihre elende Seele begraben haben.

71. Warum wird er (Kain) verflucht auf der Erde (Gen 4,11)?

Zu den letzten Teilen der Welt (gehört die) Erde. Hat er nun diese verflucht, so ist anzunehmen, dass entsprechende Flüche auch die anderen Elemente ihr entgegenhalten: Quellen, Flüsse, Meer, Luft, Winde, Feuer, Licht, Sonne, Mond, Sterne, der ganze Himmel zugleich. Denn wenn sich unbelebte und irdische Natur auflehnt gegen die Rechtlosigkeit, um wie viel mehr (werden das) nicht die reineren Naturen (tun)? Doch mit wem die Teile der Welt Krieg führen – welche Hoffnung auf Rettung hätte dann er noch? Ich kenne keinen.

72. Was heißt: Seufzend und zitternd sollst du auf der Erde sein (Gen 4,12)?

Auch das ist ein sehr verbreitetes Wort. Denn jedem Übeltäter ist von den (verdienten) Übeln manches gegenwärtig, anderes hingegen zukünftig; die zukünftigen bewirken Ängste, die gegenwärtigen Trauer.

73. Was heißt: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich entlassen werden könnte (Gen 4,13)?

Wahrhaftig ist kein Unglück größer, als entlassen und verlassen zu werden. Denn grausam und schmerzlich ist die Anarchie der Toren. Jedoch übersehen zu werden vom großen König und verworfen zu werden von der Herrschaft der Vorrangigkeit, ist ein unsägliches Unglück.

74. Warum (sagt die Schrift): Jeder, der mich findet, wird mich töten, wo es doch keinen anderen Menschen gab als seine Eltern (Gen 4,14)?

Erstens passte es, dass er von den Teilen der Welt Schaden erlitte, die zum Nutzen und zum Anteil an Gütern entstanden, nichtsdestoweniger fordern sie Rache von (den) Bösen.

Zweitens, weil er die Nachstellung von Seiten der Wildtiere und Kriechtiere fürchtete, welche die Natur zur Rache der Rechtlosen hervorbrachte.

Drittens deutet das auch die, von den Eltern (kommende), Bestrafung an, durch welche als neues und erstes Leiden (Gott) das Vergehen verhängt hat, ihnen, die noch nicht kannten, was der Tod ist.

75. Warum soll jeder, der Kain tötet, sieben Strafvollzüge bezahlen (Gen 4,15)?

Da aus acht Teilen unsere Seele besteht, aus dem Vernünftigen, das keine Unterteilung zulässt, und dem Unvernünftigen, das sich in sieben Teile aufteilt lässt, in die fünf Sinne, in das Sprechorgan und in das Fortpflanzungsorgan, sind diese sieben Teile Ursachen zum Übel und stehen vor Gericht. Der Tod des Führungsorgans ist jedoch eigentlich die ihn ihm befindliche Bosheit. Wer immer also den Verstand tötet, indem er den Unverstand mit der Wahrnehmung mischt, der wird eine Auflösung auch der sieben unvernünftigen Teile bewirken. Denn wie sich das Führungsorgan zur Tugend verhält, so fügt sich auch das ein, was an Teilen ihm untergeordnet ist.

76. Warum wird dem Brudermörder ein Zeichen gegeben, dass ihn nicht jeder töte, der ihn fände (Gen 4,15), wo es angebracht war, das Umgekehrte zu tun: ihm dem Verderben zu überlassen?

Zuerst ist Veränderung der Lebensweise eine (Art von) Tod. Die (Lebensweisen) aber, die keinen Anteil an Freude haben – unablässige Betrübungen und unbeherrschte Ängste, von guter Hoffnung unberührt, ziehen viele schwere und verschiedenartige Tode auf sich, gemeinsam mit der Wahrnehmung.

Zweitens, gleich zu Beginn will (die Schrift) über die Unvergänglichkeit der Seele das Gesetz aussprechen und jene, die glauben, nur das Leben mit dem Leibe sei glücklich, als irregeleitet widerlegen. Denn klar ist einer der beiden schuldig der obersten Bosheiten, der Gottlosigkeit und des Brudermordes, (und doch) ist er am leben, zeugt Kinder und baut Städte. Der jedoch, der Frömmigkeit bewies, wird treulos umgebracht – wobei das göttliche Wort nicht nur klar verkündet, dass nicht das wahrnehmbare Leben gut und nicht der Tod übel ist, sondern dass sogar jenes Leben, das mit dem Leib (stattfindet) kein Leben ist, sondern ein nicht alterndes und eher unsterbliches anderes, welches die körperlosen Seelen zum Anteil erhielten. Denn das, was bei dem Dichter über Skylla gesagt wird: Sie aber ist nicht sterblich, sondern ein unsterbliches Übel. – Über denjenigen, welcher in Übel lebt und über viele Lebensjahre hin, würde dies passender gesagt.

Drittens, weil als erste Großtat Kain einen Brudermord beging, verschafft er sich Amnestie, indem er über das erste (Delikt) allen Richtern ein mildes Gesetz auferlegte, nicht dass sie die Bösen nicht töten sollen, sondern dass sie durch zeitweises Zögern und Großmütig-Sein Erbarmen mehr als Grausamkeit pflegen. Er aber verordnete sehr weise einen Maßstab von Sanftheit und Angemessenheit am Beispiel des ersten Sünders, um den Mörder nicht zu töten, sondern ihn auf andere Weise preiszugeben. Denn er ließ es nicht zu, ihn zum väterlichen Geschlecht zu zählen, sondern erweist ihn als verbannt, nicht nur von seinen Eltern, sondern auch vom ganzen Menschengeschlecht, indem er ihn getrennt von der vernünftigen Art als ein verbanntes und flüchtiges Geschlecht zählt, eines, das in die Natur von Wildtieren übergewechselt hat.

77. Warum verurteilt sich Lamech nach Generationen wegen des Brudermordes seines Vorfahren Kain? Denn er sprach – heißt es – zu seinen Frauen Ada und Zillah: Einen Mann habe ich getötet mir zu Wunde und einen Jüngling mir zur Strieme. Denn siebenmal ist Strafe gefordert worden von Kain, jedoch von Lamech siebzig(und)sieben(mal) (Gen 4,23).

Unter den Zahlen sind die Einer vor der Zehnern, sowohl der Ordnung wie der Wirkung nach, denn sie sind Anfänge und Elemente und Maße, und die Zehner sind jünger und gemessen und der Ordnung wie der Wirkung nach zweite. Folglich sind auch die Siebener ursprünglicher als die Siebziger und älter, die Siebziger jedoch sind jünger als die Siebener und haben den Rang des Ursprungs. Wenn das feststeht, dann wird der erste, der sündigte, als einer, der nichts Wahres wusste, nach der ersten und unbestimmten Zahl, ich meiner der Eins, einfacher bestraft. Der Zweite jedoch, als einer, der den Ersten als Beispiel hat, ist ohne Entschuldigung einer freiwilligen Sünde schuldig. Und <im> Nicht-Empfangen von ehrbarer Weisheit durch die erste, einfachere Strafe wird er auch jene tragen und wird auch die zweite auf sich nehmen, welche im Zehner ist. Denn wie bei den Pferderennen es derselbe Pferdezüchter ist, der (doch) den ersten Preis erhält und den zweiten, welchen es (sein Pferd) eintrug, so tragen einige von den Bösen, die sich auf den Sieg der Ungerechtigkeiten stürzen, einen erbärmlichen Sieg davon, und folglich werden sie mit doppelter Strafe gestraft, sowohl mit den ersten, die im Einer, wie auch mit den zweiten, die im Zehner sind.

Darum bezahlt zwar Kain, der Anfang des Mordens geworden war, nachdem er das Ausmaß der Befleckung nicht kannte, denn er war niemals auf den Tod gestoßen, einfachere Bestrafungen, die Sieben unter den Einern. Sein Nachahmer jedoch, der nicht in der Lage ist, sich in dieselbe Entschuldigung der Unkenntnis zu flüchten, erleidet passender Weise doppelte Strafen – die zu ihm passende und auch die andere, die Sieben unter den Zehnern, denn nach den Regeln der Sieben geschieht das Gericht:

  • Einmal anhand der Augen, denn sie sahen, was nicht gerecht war;

  • zweitens anhand der Ohren, denn sie hörten, was nicht in Ordnung war;

  • drittens anhand Nase, die von Rauch und Dampf verführt wurde;

  • viertens anhand des Geschmacks, der ein Sklave des Begehrens des Bauches wurde;

  • fünftens anhand des Gefühls, wodurch durch das Zusammenwirken der vorherigen Sinne im Zurückdrängen der Seele auch die anderen (Untaten) einzeln herbeigeführt werden: Städteeroberungen, Versklavungen, Schleifungen von Stadtmauern, worin das Denkvermögen wohnt;

  • sechstens anhand der Zunge und des Sprechorgans, die über zu Sagendes stumm bleiben, jedoch über zu Verschweigendes reden.

  • siebtens anhand des Unterleibs, der durch gesetzlose Wollust die Begierden in Flammen setzt.

So wird gesagt: Siebenmal ist Strafe gefordert worden von Kain, jedoch von Lamech siebzig(und)sieben(mal) aus dem erwähnten Gründen, nach welchem der zweite, der sündigte und nicht Vernunft annahm, durch die Bestrafung dessen, der vorher Unrecht tat, die (Bestrafung) jenes gänzlich übernimmt, die eine einfachere ist, wie unter den Zahlen die Einer sind, und eine vielfältigere, die unter den Zahlen den Zehnern gleichkommt.

78. Warum sagt Adam, als er Seth gezeugt hat, zusätzlich: Gott gab mir einen anderen Samen an Stelle von Abel, den Kain getötet hat (Gen 4,25)?

Tatsächlich ist Seth ein anderer Same und der Anfang eines anderen Geschlechts nach einer natürlichen Bedeutung des Wortes „Abel“, denn „Abel“ ist gleich dem von oben herab Kommenden, weswegen er auch Schaden erleidet, jedoch Seth von unten nach oben, weswegen er auch wächst. Zur Bestätigung dessen wird „Abel“ übersetzt „emporgeschickt zu Gott“. Doch alles nach oben zu schicken, hätte nicht gepasst, sondern nur das Gute; denn (Gott) ist nicht Ursache vom Bösem. Deshalb erhält das Ununterschiedene und Unerklärte und Undeutliche, wie es sich gebührt, verwischt und verworren und vermischt, Lob und Tadel – Lob, weil es die Ursache verehrt, und Tadel, weil es, je nachdem wie gerade die Lage ist, sich aufs Geradewohl verhält und nicht aufgrund von getätigter Überlegung und Dank. Deswegen trennte die Natur auch den Zwilling, der von ihm (kam), und machte den Guten würdig der Unsterblichkeit, wobei Gott sich zu einer Fürsprache entschloss (?); den Bösen jedoch übergab er dem Verderben. „Seth“ aber wird übersetzt „Trank“ nach der Verwandlung, welche in Pflanzen stattfindet, die durch Bewässern wachsen und sprossen und Frucht tragen. Und diese sind Symbol der Seele. Nicht länger kann man sagen, dass die Gottheit von allem die Ursache ist, von Gutem und Schlechten, sondern nur von Gutem, welches allein, lebendig zu pflanzen, recht ist.

79. Warum hoffte der Sohn Seths, Enosch, anzurufen den Namen des HERRN Gottes (Gen 4,26)?

„Enosch“ wird übersetzt „Mensch“. Und das wird jetzt genommen nicht als Vermischtes, sondern als vernünftiger Teil der Seele, als Verstand, zu dem es besonders passt zu hoffen, denn die unvernünftigen Tiere sind der Hoffnung nicht teilhaftig. Hoffnung ist ein Vorausempfinden, vor der Freude und Erwartung von Gutem.

80. Warum sagt sie nach dem „Hoffen“: Das ist das Buch der Entstehung von Menschen (Gen 5,1)?

Das Vorhergesagte macht sie hierdurch vertrauenswürdig. Was ist ein Mensch? Ein Mensch ist, wer an Hoffnung mehr als die anderen Arten von Lebewesen, einen reichlichen erstaunlichen Anteil, erhalten hat. Und das wird wie etwas Naturgegebenes herumverkündet, denn von gleicher Natur wie die Hoffnung ist der menschliche Verstand.

81. Warum hat sie in der Genealogie Adams Kain nicht weiter erwähnt, sondern Seth, von welchem sie sagt, nach seinem Aussehen und nach seinem Bilde (Gen 5,3) sei er geworden? – weswegen sie, die von ihm (stammenden) Generationen aufzuzählen beginnt.

Die schmutzige und mordende Bestie (Kain) hat (die Schrift) weder in eine vernünftige noch zahlenmäßige Ordnung eingefügt, denn dass er „mehr als Kot wegzuwerfen“ sei, wie jemand gesagt hat, dafür hält sie ihn. Daher weist (die Schrift) ihn weder als Nachfolger eines irdischen Vaters aus noch als Anfang von Völkern nach ihm, sondern den in beider Hinsicht unschuldigen Seth breitet sie aus, welcher „Trinken“ ist, denn bewässert vom Vater zeugt er auch im Wachstum und Mehrwerden Hoffnung. Deswegen sagt (die Schrift) nicht von ungefähr und umsonst, dass er nach seines Vaters Aussehen und Bilde geworden ist, zum Tadel des Älteren, <welcher> nichts vom Vaters – wegen des schmutzigen Mordes – an sich trägt, weder dem Körper noch der Seele nach. Deshalb trennte ihn (die Schrift) von seiner Verwandtschaft, diesen aber übertrug sie den Adel des Ältersein.

82. Was heißt: Henoch gefiel Gott, nachdem er Methusalem gezeugt hatte, zweihundert Jahre (Gen 5,22)?

Die Quelle aller Güter setzt das Gesetz am Anfang der Genesis. Es ist ungefähr diese, welche ich (jetzt) sage: Erbarmen und Verzeihung definierte es etwas weiter oben. Dieses Mal jedoch definiert es Reue, indem es weder Spott noch Drohung hat für all diejenigen, die gesündigt zu haben scheinen. Zugleich hat sie einen Eingang der Seele aus der Bosheit in die Tugend gewährt, als eine Umkehr derer, die aus einer Falle geflohen sind. Denn siehe, zum Mann geworden und zum Vater, machte er (Henoch) mit dem Zeugen zugleich einen Anfang der Rechtschaffenheit, es heißt, er habe Gott gefallen. Denn, wenn er auch nicht in der Frömmigkeit verblieb, ist ihm nichts desto weniger jene Zeit angerechnet worden zur Ordnung des Preiswürdigen, denn er gefiel (Gott) so viele Jahre.

Doch ist die Symbolik des Gesagten so viel, dass vielleicht nicht er es war, sondern es möglich ist, dass ein anderer gemeint ist. Aber (das Gesetz) zeigt die Reihenfolge der Dinge. Denn nicht viel nach der Verzeihung für Kain nennt es die (Zeit), die Henoch bereute, um bekannt zu geben, dass Verzeihung geeignet ist, Reue hervorzubringen.

83. Warum wird von Henoch, der bereute, vor seiner Buße gesagt, er habe einhundertfünfundsechzig Jahre gelebt, jedoch nach der Buße zweihundert (Gen 5,21-23)?

Jene (Zahl) hundertfünfundsechzig kommt zustande aus den (deren) zehn, eine nach der anderen addiert – 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, die fünfundfünfzig ergeben, und anderen aus den Einheiten, verdoppelt zusammengezählt – 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, die einhundertzehn ergeben; deren Verbindung erzeugt einhundertfünfundsechzig. Und unter diesen ergeben die geraden Zahlen das Doppelte der ungeraden Zahlen, (denn) das Weibliche ist gewaltiger als das Männliche nach einer gewissen Verkehrung, wie wenn der Gottlose den Guten beherrscht, die Wahrnehmung den Verstand, der Körper die Wahrnehmung, die Materie die Ursache.

Aber die Zweihundert, in welchem die Reue (war), kommt zustande aus zweimal hundert, von denen die ersten hundert eine Reinigung von den Rechtsverletzungen andeuten, die anderen jedoch Erfüllung, die Tugend des Vollendeten. Denn auch von einem erkrankten Körper muss erst der erkrankte Teil abgetrennt werden, und danach die Gesundheit einkehren: Jene kommt zuerst, aber diese entsteht als zweite.

Die Zahl zweihundert kommt aus vieren, denn sie kommt zustande wie aus einem Samen aus vier Dreieckszahlen und vier Viereckszahlen und vier Fünfeckszahlen und vier Sechseckszahlen und vier Siebeneckszahlen, und sie besteht auf eine gewisse Art in der Sieben. Dreieckszahlen aber sind diese vier: 1, 3, 6, 10, die zwanzig ergeben; Viereckszahlen diese vier: 1, 4, 9, 16; sie ergeben dreißig; Fünfeckszahlen diese vier: 1, 5, 12, 22; sie ergeben vierzig; Sechseckszahlen diese vier: 1, 6, 15, 28; sie ergeben fünfzig; Siebeneckeszahlen diese vier: 1, 7, 18, 34; sie ergeben sechzig. Diese zusammen gezählt erzeugen zweihundert.

84. Warum wird von dem (Henoch), der Buße tat, gesagt, er habe dreihundertfünfundsechzig Jahre (Gen 5,23) gelebt?

Erstens hat das Jahr dreihundertfünfundsechzig Tage. Das Leben dieses Büßers erweist sie (die Schrift) also als Zeichen der Sonnenumläufe.

Zweitens, so wie die Sonne die Ursache von Tag und Nacht ist, indem sie bei Tag über die Hemisphäre der Erde dreht und unter der Erde bei Nacht, so besteht auch das Leben des Büßers aus Dunkelheit und Licht – aus Dunkelheit durch die Wirkung der Leidenschaften und Rechtsverletzungen, und aus Licht, sobald das Licht der Tugend aufscheint, und ihr Glanz ist überaus rein.

Drittens, eine volle Zahl teilte (die Schrift) ihm zu, mit der die Sonne, der Herr der himmlischen Sternen, geschmückt ist; wobei in die Zahl fällt auch die Zeit vor der Buße, zur Amnestie der Sünden, die er früher begangen hatte. Denn da Gott gut ist, schenkt er reichlich große Gnadenerweise; und zugleich tilgt er denjenigen, die nach Tugenden streben, alte Strafdrohungen.

85. Warum sagt sie nach Henochs Ende zusätzlich: Er gefiel Gott (Gen 5,22; 5,24)?

Erstens, weil sie klarmacht, dass die Seelen unsterblich sind, denn, wenn sie körperlos werden, gefallen sie (Gott) wieder.

Zweitens lobt sie den Bereuenden, denn er blieb in derselben moralischen Verfassung und änderte sich nicht mehr bis zum Ende des Lebens. Denn manche, kaum dass sie flüchtig gekostet haben von der Anständigkeit und sich Hoffnung auf Gesundung machen, kehren in dieselbe Krankheit zurück.

86. Was heißt: Und er wurde nicht gefunden, denn Gott hatte ihn entrückt (Gen 5,24)?

Ersten ist das Ende von Gerechten und Heiligen nicht der Tod, sondern der Übergang und Zugang an einen anderen Ort.

Zweitens fand etwas ganz Wunderbares statt. Denn er schien entführt und unsichtbar zu werden. Denn damals wurde er nicht gefunden. Und zwar ist das Suchen ein Hinweis darauf, dass er unsichtbar wurde und nicht nur aus ihrem Anblick entführt wurde.

Denn die Entrückung an einen anderen Ort ist nichts als ein (Ver)stellen; es wird aber angezeigt (ein Verstellen) aus dem wahrnehmbaren und sichtbaren Raum zur unköperlichen und intelligiblen Idee. Diese Gabe erhielt auch der Protoprophet, denn niemand erfuhr sein Begräbnis (Dtn 34,6).

Und ein anderer wieder, Elija, ist ihm aus dem Irdischen in den Himmel hinaufgefolgt, damals beim Aufscheinen der göttlichen Erscheinung, oder, um es im eigentlichen Sinne zu sagen, erhoben worden.

87. Wieso sagt sofort bei der Geburt Noes sein Vater: Dieser wird uns Ruhe geben von unseren Arbeiten und von den Betrübnissen unserer Hände und von der Erde, die Gott, der HERR, verflucht hat (Gen 5,29)?

Nicht von ungefähr haben (die) Väter der Heiligen prophezeit, und wenn auch nicht jederzeit und nicht wegen jeder Sache, sondern wenigstens einmal und wegen einer Sache, die sie erkannten – (sie), die würdig sind des prophetischen Ranges. Auch nicht von ungefähr ist dies ein symbolischer Hinweis, denn „Noe“ ist eine Art Beiname der Gerechtigkeit. Der an dieser teilhabende Verstand gibt uns Ruhe von der Mühe des Arbeitens und wird Ruhe geben von Betrübnissen und Ängsten, indem er uns furchtlos und schmerzlos macht. Und er gibt uns Ruhe auch von der irdischen Natur, der verfluchten, welche der leidende Körper (durch den Fall) erhielt; das bewirken diejenigen, die ihr Leben quälen zu den Begierden. Aber nach dem (Wort)Sinn des Gesagten hat die Prophetie etwas Falsches gesagt, denn was diesen Mann selbst betrifft, geschieht nichts wie ein Ausruhen von Übeln, sondern ein Erstarken von Gewalttätigkeiten und von außen kommenden Katastrophen und neugeschaffene (Leiden) wegen der großen Flut. Und beachte sorgfältig, dass Noe der zehnte seit dem Erdgeborenen ist.

88. Wer sind die drei Söhne Noes – Shem, Ham und Japheth (Gen 5,32; 6,1)?

Diese Namen sind Symbole für drei verschieden geschaffene Dinge: das Gute, das Üble und das Unbestimmte. Es wird unterschieden Shem für das Gute, Ham für das Üble und Japheth für das Unbestimmte.

89. Warum wird gesagt, dass die große Flut geschah, nachdem das Menschengeschlecht großen Zuwachs nahm. (Vgl. 6,1)

Stets gehen die Gnadenerweise Gottes dem Gericht voraus, denn sein vorrangiges Werk ist das Wohltun, das Strafen aber das folgende. Es pflegt aber, sobald große Übel sich zu bilden beginnen, vorher an großen und vielen Gütern Fülle aufzukommen. In derselben Weise war auch Ägypten, als die siebenjährige Unfruchtbarkeit bevorstand, wie der Prophet gesagt hatte, für ebenso viele Jahre nacheinander fruchtbar durch die wohltätige und rettende Kraft des Universum. Wodurch sie Gutes tut, indem sie lehrt beiseite zu bleiben und selbst (als Mensch) fernzubleiben von Sünden, damit das Gute nicht zum Gegenteil umschlägt. Deswegen sind auch jetzt die Städte zur Sittsamkeit gewachsen aus Ungebundenheit der Sitten, so dass, wenn nachher Verderbnis eintritt, sie ihre eigenen unermesslichen und unheilbaren Rechtsbrüche verurteilen, ohne die Gottheit verantwortlich machen, welche keine Ursache von Übel und üblen Dingen ist; denn allein Gutes zu schenken ist ihr vorrangiges Werk.