Die Geschichte des Instituts für Erziehungswissenschaft
Vorgeschichte: Anfänge vor mehr als 200 Jahren
Die Gründung der Universität Münster im Jahr 1773 erfolgte ohne die Einrichtung einer eigenen Professur oder eines Lehrstuhls für Pädagogik. Franz von Fürstenberg (1729–1810), der als fürstbischöflicher Minister die Errichtung einer Universität für das Fürstbistum Münster maßgeblich vorantrieb, orientierte sich bei seiner Konzeption nicht an preußischen Vorbildern, sondern an der kurhannoverschen Universität Göttingen, wo die Pädagogik als Subdisziplin der empirischen Psychologie verstanden wurde. Auch in den höheren Schulen des Fürstbistums Münsters sollten die Schüler – wie Fürstenberg in der Schulordnung von 1776 darlegte – in einem Unterrichtsfach Psychologie in den Grundlagen menschlichen Erkennens, Erfahrens und Empfindens unterwiesen werden. Bildung verstand Fürstenberg als Herzensbildung – und ein solides Wissen über die Seele galt als wichtiger Erziehungsauftrag. Der Studienbetrieb an der Universität konnte bereits im Jahr der Universitätsgründung aufgenommen werden, indem die philosophischen und theologischen Klassen des jesuitischen Paulinischen Gymnasiums in die Universität überführt und Räumlichkeiten des Jesuitenkollegs (Abb. 1, rot markiert) von der Universität genutzt wurden.
Die Gründung des Philologisch-pädagogischen Seminars im 19. Jahrhundert
Erst als Münster ab 1815 preußisch wurde, fand die Pädagogik einen festen Platz: Die Gründung eines Philologisch-pädagogischen Seminars im Jahr 1824, das der theoretischen und praktischen Vorbildung von Studenten des höheren Lehramtes diente, war auf eine Verbesserung der Lehrkräfteausbildung ausgerichtet. Neben philologischen Studien, die jedoch nicht „bis zur Gelehrsamkeit“ getrieben werden müssten, fanden die Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts sowie die Geschichte der Pädagogik einen festen Platz im Lehrplan dieses Seminars. Auch wurden einige Wochenstunden für praktische Übungen im Unterrichten vorgesehen. Vor allem der Philosophieprofessor Wilhelm Esser (1798–1854) setzte sich ab den 1840er Jahren für eine Stärkung und Erweiterung der pädagogischen Studienanteile ein. Die ersten ordentlichen Statuten wurden daraufhin 1845 genehmigt und veröffentlicht. 1854 besiegelte dann eine Revision der Seminarstatuten und des Lehrplans die Umwandlung der Einrichtung zu einem reinen Philologischen Seminar. Dahinter stand die Ausrichtung der Lehrkräfteausbildung auf den altsprachlichen Unterricht und auf die Praxis des lehrenden Gesprächs als vorherrschende Lehrart an höheren Schulen. 1855/56 findet sich letztmalig die Bezeichnung Philologisch-pädagogisches Seminar im amtlichen Schriftverkehr des Seminars mit dem preußischen Kultusministerium in Berlin, das sich seit der Seminargründung immer wieder dafür ausgesprochen hat, „das Institut auf einen ursprünglichen Zweck zu beschränken“ und „die philosophischen [d.h. auch pädagogischen] Übungen als integrierenden Teil des Seminars auszuschließen.“
Nach der Umgestaltung zu einem Philologischen Seminar, die mit der Revision der Statuten einherging, fand die Pädagogik erst mit dem aus Eichstätt zum Professor der Philosophie nach Münster berufenen katholischen Geistlichen und Philosophen Albert Stöckl (1823–1895) einen Vertreter, der sich für die Begründung einer katholischen Pädagogik als Wissenschaft einsetzte. Stöckl erwies sich in seinen Schriften als scharfer Verteidiger neuscholastischer Positionen, der im Gegensatz zur rationalistischen Philosophie und Wissenschaft die Autorität der Kirche anerkannte und sich strikt gegen den aufkommenden Liberalismus wendete. Die Inhalte seiner Vorlesungen, die von zahlreichen Studenten besucht wurden, veröffentlichte Stöckl in zwei umfangreichen Lehrbüchern zur Pädagogik. Schon 1871 folgte er einem Ruf zurück nach Eichstätt, doch der Versuch, die Entwicklung einer wissenschaftlichen Pädagogik mit dem Bekenntnis zum Katholizismus systematisch zu vereinen, blieb für den Hochschulstandort Münster bis zur Jahrhundertwende prägend.
Erst mit Willy Kabitz (1876–1942), der von 1915 bis 1941 die erste Professur für Philosophie und Pädagogik innehatte, erfolgte der schrittweise Ausbau und die Institutionalisierung der Pädagogik an der Universität Münster, und zwar durch die Abteilung für Pädagogik innerhalb des Philosophischen Seminars. Kabitz, der in Berlin bei Wilhelm Dilthey (1833–1911) und Friedrich Paulsen (1846–1908) studiert hatte und Protestant war, trat für eine Reform der Volksschullehrer- und Lehrerbildung ein. In diesem Kontext beklagte er – in einem Brief an Herman Nohl (1879–1960) – seinen „äußerst schweren Stand gegenüber den Katholiken vom Zentrum“. Später galt seine Aufmerksamkeit voll und ganz der Edition der philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Einen nachhaltigen Einfluss auf eine institutionelle Stärkung der Pädagogik hat Kabitz hierdurch allerdings nicht erreichen können.
Während der NS-Diktatur war die Pädagogik an der Universität Münster nur schwach institutionell verankert: Das Studienangebot bestand aus dem Abschluss zum Dr. phil. und der Philosophieprüfung für das höhere Lehramt. Die politische Orientierung der wenigen Lehrenden des Fachs war nach 1933 Deutschnational und Zentrum; danach wurden nur NSDAP-Mitglieder eingestellt. Die zentralen Instanzen des NS-Bewegung bevorzugten ab 1942 die reichsweite Einführung eines akademischen Psychologie-Studiengangs bei gleichzeitiger Verschiebung der pädagogischen Inhalte der Lehrausbildung aus der Universität in die Referendarzeit. 1944/45 brach der Studienbetrieb zusammen.
Nach der Wiedereröffnung der Universität wurden ab 1947 wieder pädagogische Lehrveranstaltungen angeboten; 1950 erfolgte aufgrund des gestiegenen Bedarfs an Gymnasiallehrkräften die Einrichtung eines Pädagogischen Seminars innerhalb der Philosophischen Fakultät. Dass mit Wolfgang Metzger (1899–1979) und Heinrich Döpp-Vorwald (1902–1977) noch bis Ende der 1960er Jahre zwei ehemalige NSDAP-Parteigenossen lehren konnten, erwies sich als eine Belastung für die Entwicklung der Pädagogik und Erziehungswissenschaft an der Universität, zumal das Kollegium seit 1947 unter anderem mit dem ehemaligen Widerstandskämpfer, Pazifisten und Emigranten Friedrich Siegmund-Schultze (1885–1969) als Professor für Sozialpädagogik und Sozialethik sowie ab 1955 mit dem Bildungstheoretiker Ernst Lichtenstein (1900–1971) ergänzt wurde. Lichtenstein war aufgrund jüdischer Vorfahren von den Nationalsozialisten verfolgt worden und hatte daher einige Jahre an der Deutschen Schule in Athen gelehrt. Er war Nachfolger von Alfred Petzelt (1886–1967), mit dem in Münster zwischen 1951 und 1955 noch einmal ein Vertreter einer katholisch geprägten Erziehungsphilosophie gewirkt hatte.
Expansion, Umwandlung und die lange Phase der Integration
Während die Institutionalisierung und Etablierung der wissenschaftlichen Pädagogik nach 1945 vor allem dadurch geschah, dass an frühere Entwicklungen und Gegebenheiten angeknüpft und Lehrpersonal verstetigt wurde, deutete sich ab 1965 die Notwendigkeit eines stärkeren Ausbaus der Pädagogik an, vor allem aufgrund hoher Studierendenzahlen in der Gymnasial- und (dazukommend) Realschullehrerbildung. Die Etablierung des Diplomstudiengangs in Erziehungswissenschaft führte zu einer weiteren massiven Verschärfung der Lehrsituation zu Beginn der 1970er Jahre. Mit den Emeritierungen von Döpp-Vorwald und Lichtenstein erfolgte ein Generationenwechsel: Im Zuge der Neubesetzung der vakanten Lehrstühle durch Herwig Blankertz (1927–1983) und Dietrich Benner (*1941) wurde 1969 bzw. 1973 eine zusätzliche Erweiterung der Professuren und des wissenschaftlichen Personals in den Bereichen Sozialpädagogik, Bildungsökonomie und Bildungsplanung, Vorschul- und Schulerziehung, statistische Methodenlehre sowie Curriculumtheorie und Unterrichtsforschung vorangetrieben. Mit der Umwandlung des Pädagogischen Seminars zu einem Institut für Erziehungswissenschaft im Jahr 1973 wurde dem allgemeinen Trend zu einer stärkeren Wissenschaftsorientierung und zur Integration empirischer Forschung entsprochen.
In dieser Zeit, zu Beginn der 1970er Jahre, bezog das Institut die Gebäude zwischen Bispinghof, Aa und Georgskommende. Dort befand sich im Mittelalter der Bischopinkshof, eine in sich geschlossene Ministerialsiedlung des Bischofs von Münster. Im Süden des Bezirks befand sich seit 1247 das Ordenshaus und die Kirche des Deutschherrenordens St. Georg (Abb. 1, blau markiert). Nach ihrer Auflösung im Jahr 1809 diente die Georgskommende als Proviantamt und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die letzten Ruinen wurden 1953 abgetragen. Am nordöstlich gelegenen Bispinghof, wo sich zuvor das Herrenhaus der Freiherren Kerckerinck zur Borg befand, wurden 1893–1910 die Gebäude der Landesversicherungsanstalt Westfalen errichtet. 1973 erfolgte der Standortwechsel zur Gartenstraße und der Einzug des Instituts für Erziehungswissenschaft und weiterer universitärer Einrichtungen konnte bis 1975 geschehen.
Die Integration der Pädagogischen Hochschule (PH) in die Universität Münster, die ebenfalls in den 1970er Jahren vorbereitet und 1980 vollzogen wurde, bedeutete für das Institut für Erziehungswissenschaft eine schlagartige Verdopplung des wissenschaftlichen Personals auf 92 Stellen, die wiederum eine strukturelle Reorganisation notwendig machte. Als neu geschaffener Fachbereich 9 war die Erziehungswissenschaft von 1985 bis 1999 mit fünf Instituten und insgesamt 17 Arbeitsbereichen vertreten. Der Ausbau und die Integration der PH hatten zur Folge, dass zwischen 1978 und 1993 keine Professur neu besetzt wurde. In dieser Zeit folgte der sukzessive Abbau freiwerdender Personalstellen. 1999 wurde auf Fachbereichsebene mit der Einrichtung des Fachbereichs 6 „Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften“ wieder der Zustand vor der PH-Integration hergestellt; erst 2006 erfolgte schließlich die Vereinigung der drei verbliebenden Institute der Lehreinheit Erziehungswissenschaft in ein Institut für Erziehungswissenschaft. Damit war nach mehr als zwanzig Jahren der Zustand vor der PH-Integration wiederhergestellt.
21. Jahrhundert
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts setzt am Institut ein weitreichender Generationenwechsel bei den Hochschullehrer:innen ein, der mit einer Umwidmung von Denominationen sowie weiteren Profilausschärfungen und -erweiterungen einhergeht. Exemplarisch zu nennen sind die Wiedereinrichtung einer Professur mit dem Schwerpunkt „Pädagogik der frühen Kindheit“, die Umwidmung der Professur für Interkulturelle Pädagogik in „Mehrsprachigkeit und Bildung“, die Erweiterung des Arbeitsbereichs Berufspädagogik um eine zweite Professur, die Besetzung einer Professur mit dem Schwerpunkt „Digitalisierung“ sowie erst die Etablierung einer Professur für inklusive Bildung und letztlich die Einrichtung von Studiengängen für sonderpädagogischer Förderung, die von drei Professor:innen mit entsprechenden Denominationen betreut werden.
Bedingt durch ein Anwachsen der Studierendenzahlen und die Verstetigung von Landesmitteln zur Finanzierung der Lehramtsstudiengänge erfuhr auch die Gruppe der akademischen Mitarbeitenden seit 2010 einen kontinuierlichen Aufwuchs, der sich letztlich auch in der deutlich gestiegenen Anzahl entfristeter Stellen widerspiegelt.
Gegenwärtig zeichnet sich das Studienangebot des Instituts für Erziehungswissenschaft durch die grundständigen B. A.- und M. A.-Studiengängen sowie dem Angebot für das Unterrichtsfach Pädagogik aus. Darüber hinaus besteht über die Bildungswissenschaften eine große Beteiligung an den Studiengängen für die Lehrämter an Grundschulen, den Schulformen der Sekundarstufe I, Gymnasien und Gesamtschulen, Berufskollegs sowie für sonderpädagogische Förderung.
Abb. 11: Eingang zum F-Gebäude des Instituts für Erziehungswissenschaft, Bispinghof 5/6 (rechts das Wappenrelief der am Bispinghof von 1420 bis ins späte 19. Jh. ansässigen Freiherren von Kerckerinck zur Borg)
Müller-Salo, J. & Schmücker, R. (2020). Pietät und Weltbezug. Universitätsphilosophie in Münster 1773 bis 1948. In Dies. (Hrsg.), Pietät und Weltbezug. Universitätsphilosophie in Münster (S. 9–124). Mentis.
Horn, K.-P. (2003). Erziehungswissenschaft in Deutschland im 20. Jahrhundert. Zur Entwicklung der sozialen und fachlichen Struktur der Disziplin von der Erstinstitutionalisierung bis zur Expansion. Klinkhardt.
Overhoff, J. (2022): Privilegierung, Einrichtung und Eröffnung der Universität Münster, 1773–1780. Fürstenbergs Grundlegungen für ein „katholisches Göttingen“. In J. Overhoff & S. Happ (Hrsg.), Gründung und Aufbau der Universität Münster, 1773–1818. Zwischen katholischer Aufklärung, französischen Experimenten und preußischem Neuanfang (S. 71–86). Aschendorff.