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Die DH an der Uni Münster setzen zum Höhenflug an

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Die DH an der Uni Münster setzen zum Höhenflug an

Das Wichtigste in Kürze

2023 war für das Service Center for Digital Humanities (SCDH) und damit auch für die DH am Standort Münster insgesamt wie ein zweiter Take-off. Unser Team ist um vier Personen gewachsen, die uns (unbefristet!) mit ihrer Expertise unterstützen werden. Einen entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hat das Pooling von Drittmitteln: Durch Ausfallbürgschaften des Rektorats werden aus begrenzten projektfinanzierten Mitteln unbefristete, attraktive Stellen im hart umkämpften Markt der Research Software Engineers. Mit den ab 2023 begleiteten DH-Forschungsprojekteten wuchs die Menge an Aufgaben für das SCDH erheblich, letztlich aber auch die Aufmerksamkeit der Forschungscommunity für digitale Forschungsmethoden – nicht nur in Münster, sondern auch mit Blick von außerhalb auf die Universität. Neben den vielfältigen Vernetzungen im nationalen und internationalen DH-Bereich von SCDH-Mitarbeitenden haben auch DH-Veranstaltungen an der Uni Münster den Standort weiter nach vorne gebracht: Allen voran der auch 2023 ausgerichtete DH-Tag und das Themenjahr des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.

Das SCDH wächst mit mehreren unbefristeten Stellen

Nachdem die Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB) 2022 in enger Kooperation mit dem Rektorat das Pooling von Personalmitteln umgesetzt hat, erweiterte das SCDH 2023 sein Team und damit das Portfolio an möglichen Unterstützungsleistungen aus:

Mit Beginn des Jahres verstärkte Jan-Erik Stange den Bereich des User Experience Designs und der Informationsvisualisierung. Er unterstützt die ULB in dieser Hinsicht in zahlreichen Projekten und ist zur Hälfte dem SCDH zugeordnet, da Visualisierungen und User Experience in den meisten DH-Projekten fundamentale Anforderungen sind.

Dr. Christian Lück (ab Februar 2023) vertritt den methodischen Schwerpunkt Digitale Edition. Als Experte für TEI-XML und allem, was damit zusammenhängt, war er schnell der primäre Ansprechpartner für zahlreiche laufende und geplante Editionsprojekte an unserer Universität. Er ist vor allem für die Begleitung des DFG-Langfristvorhabens Edition des Gesamtwerkes von Ibn Nubātah al-Miṣrī zuständig.

Das SCDH-Team Anfang 2023 (v.l.): Jan Horstmann, Jan-Erik Stange, Immanuel Normann, Dennis Voltz, Christian Lück, Mirko Westermeier, Matthias Kayß, Katrin Steiner

Für den Bereich Texterkennung (OCR und HTR) konnten wir Katharina Dietz gewinnen, die seit April 2023 insbesondere das langjährige Akademieprojekt zum Nachlass des Philosophen Heinrich Scholz (s.u.) betreut.

Im September freuten wir uns schließlich, Dr. Benjamin Weber in unserem Team begrüßen zu dürfen. Neben einem Schwerpunkt im maschinellen Lernen deckt er ebenfalls das Feld der Digitalen Edition mit TEI ab und kann so der Überlastung von Christian Lück entgegenwirken.

Wir konnten zu diesem Höhenflug ansetzen, da das SCDH 2022 an der Einwerbung von über 4.6 Millionen Euro für die Universität Münster beteiligt war, wovon wir gut eine Million für Research Software Engineering (RSE) am SCDH in den kommenden Jahren nutzen können. So konnten wir attraktive Stellen schaffen, die für die gewöhnlich doppelt qualifizierten Research Software Engineers interessant sind. Nur so war es für den Standort Münster möglich, auch eine langfristige Perspektive zu entwickeln.

Eine weitere unbefristete Stelle (mit dem Profil Datenmodellierung/Knowledge Engineering) haben wir Ende 2023 ausgeschrieben und besetzen sie im laufenden Jahr. Mit Etablierung des Poolingkonzepts geht für die Münsteraner geisteswissenschaftliche Forschung eine enorme Flexibilität einher, da wir Entwicklungsaufgaben auf mehrere Köpfe verteilen können – je nach Kompetenz und zeitlicher Verfügbarkeit. Die damit strukturell ermöglichten Synergieeffekte befördern nicht zuletzt die Entwicklung generischer DH-Dienste im Rahmen eines DH-Ökosystems.

Erfolg macht auch Arbeit und wir lieben Zahlen: 18 neue Projektberatungsprozesse hat das SCDH 2023 aufgenommen, sieben Projekte befinden sich in individueller (d.h. finanzierter) Begleitung; sechs weitere Förderanträge mit RSE-Anteilen wurden eingereicht. Insgesamt absolvierte das SCDH im verganenen Jahr 129 Konsultationen, davon 30 Beratungsgespräche und 99 Begleitgespräche. Im Vergleich dazu: 2022 waren es 65, 2021 39 Konsultationen.

Wirksamkeit nach außen und nach innen

Parallel dazu haben wir an der Erhöhung der Sichtbarkeit der Münsteraner DH-Forschung im nationalen und internationalen Bereich gearbeitet: Wir waren mit vier Beiträgen auf der DHd-Konferenz 2023 in Luxembourg & Trier und mit einem Beitrag auf der internationalen DH-Konferenz 2023 in Graz vertreten. Die SCDH-Leitung ist Teil mehrerer renommierter und überregional tätiger Kommitees: das Program Comittee für die DH-Konferenz 2024 in Washington (Vertretung der deutschsprachigen DH), das Scientific Coordination Comittee „Editions“ des NFDI-Konsortiums Text+ und die Fachredaktion der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG). Schließlich engagieren wir uns in mehreren AGs des DHd-Verbands (Digital Humanities Theorie, Digitales Publizieren, Wissenschaftskommunikation).

Lokal haben wir für den Standort Münster wie immer den jährlichen DH-Tag organisiert, die AGs im Arbeitskreis DH betreut, die Geschäftsführung des CDHs unterstützt, zwei SCDH-Schulungen pro Semester für Mitarbeitende und Zertifikatsstudierende organisiert und durchgeführt. Im Wintersemester war dies die Frühlingsschule Manuskriptkulturen, im Sommersemester gab es eine zweiteilige Einführung in Python. Außerdem haben wir ein DH-Ökosystem mit generischen DH-Diensten konzipiert und vorbereitet, wir kümmern uns um DH-bezogene Wissenschaftskommunikation (WebseiteBlogSocial Media) und waren beteiligt an der Organisation des Themenjahrs Digitalität im Exzellenzcluster (s.u.).

Neue DH-Forschungsprojekte

Zum Jahresbeginn startete das von Prof. Dr. Niko Strobach (Philosophie) geleitete dreizehnjährige Akademieprojekt „Heinrich Scholz und die Schule von Münster. Mathematische Logik und Grundlagenforschung“, in dem der an der ULB liegende (handschriftliche wie gedruckte) Nachlass von Heinrich Scholz vollständig digitalisiert, katalogisiert, maschinenlesbar gemacht, digital ediert und semantisch verknüpft wird.

Das erste Projektjahr stand ganz im Lichte der Strukturierung vielfältiger Prozesse, hochauflösender Digitalisierung, professioneller Katalogisierung und automatisierter Texterkennung. Statt zu kleckern, wurde direkt geklotzt: Zigtausende JPEG-Dateien standen zum Jahresende bereits zur internen Weiterbearbeitung in Virtual Library zur Verfügung. Ca. 20.000 Seiten der Scholz-Bibliothek wurden gescannt und dem Projekt als PDFs zur Verfügung gestellt. Die Scholz-Bibliografie ist nun eine mit Digitalisaten hinterlegte Datenbank mit zahlreichen Einträgen. Hunderte Rezensionen von Scholz wurden erstmals bibliografisch erschlossen. Vom gesamten gedruckten Scholz liegen maschinenlesbare (d.h. OCRte) Digitalisate vor, die in großem Umfang korrekturgelesen sind. Die Texterkennung auch zum Scholz-Briefnachlass in Transkribus hat begonnen, ein eigenes Scholz-Handschrift-Erkennungsmodell wird derzeit trainiert und sukzessive verbessert. Die ersten Schritte zur digitalen Edition in TEI-XML werden derzeit im Projekt gegangen.

In der gemeinsam von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem britischen Arts and Humanities Research Council (AHRC) getragenen Förderlinie wurden für Münster erfreulicherweise zwei dreijährige Forschungsprojekte bewilligt: Dr. Ines Weinrich leitet (zusammen mit Dr. Ophira Gamliel von der University of Glasgow) seit März 2023 das Projekt Hindu-Muslim-Jewish Origin Legends in Circulation between the Malabar Coast and the Mediterranean, 1400s–1800s und PD Dr. Felicity Jensz (zusammen mit Prof. Hilary Carey von der University of Bristol) seit April 2023 das Projekt Global Bible: British and German Bible Societies Translating Colonialism [GloBil].

Ausgehend von Gründungsmythen hinduistischer, muslimischer und jüdischer Gemeinschaften in Malabar/Kerala, die sich alle um denselben Hindu-König ranken, untersucht Origin Legends die Rolle von Religion in sich neu formierenden Beziehungs-Netzwerken zwischen lokalen Gemeinschaften an der Südwestküste Indiens untereinander sowie zu weiteren Gemeinschaften im westlichen Indischen Ozean und Mittelmeerraum. Das Projekt pausiert momentan für einige Monate aufgrund einer Vertretungsprofessur für Ines Weinrich.

Das postkolonialistische Projekt GloBil untersucht Bibelübersetzungen in drei Regionen: der Arktis, Ozeanien und Australien sowie Westafrika. Es handelt sich hierbei um Begegnungsräume deutscher und britischer Kolonisatoren mit indigenen Völkern und ihren Sprachen. Die digitale historische Forschung wird aufzeigen, welchen Beitrag die indigenen Übersetzer und Evangelisten sowie die britischen und deutschen Bibelgesellschaften an der Verbreitung der Bibel im kolonialistischen Zeitalter hatten. Ziel ist eine interaktiv durchsuchbare Datenbank und Kartenvisualisierung, die offen zur Verfügung gestellt wird.

Ein Foto anlässlich der Hundertjahrfeiern der Bibelgesellschaft; Copyright: National Library of Australia

Das SCDH kam zum Projekt Digitalisierung Christlichen Kulturerbes im Bistum Münster (DCK) von Prof. Dr. Norbert Köster wie die Jungfrau zum Kinde. Nachdem die befristete DH-Stelle im Projekt nicht besetzt werden konnte, ermöglichte das Poolingkonzept (s.o.), dass die Expert*innen des SCDHs einsprangen und fortan das vom Bistum Münster geförderte Projekt hinsichtlich der Datenaufbereitung, -prozessierung und -modellierung begleiten. Das sechsjährige Forschungsprojekt hat zum Ziel, das materielle christliche Kulturerbe in den Kirchen und Kapellen des nordrhein-westfälischen Teils des Bistums Münster digital zu erschließen (ca. 150.000 Datensätze) und die so gewonnenen strukturierten Forschungsdaten offen und semantisch verknüpft zur Verfügung zu stellen. Die enge Kooperation mit der Taskarea 2 von NFDI4Culture stellt hier ebenfalls die Einhaltung von Standards (etwa in der Normdatenverknüpfung) sicher.

Themenjahr Exzellenzcluster

Das Exzellenzcluster Religion und Politik hat sich im Wintersemester 23/24 (und im Sommersemester 2024) das Thema „Die Digitalisierung der Religion“ auf die Fahnen geschrieben. Das erste Halbjahr hatte den Schwerpunkt Digital Humanities mit zahlreichen Veranstaltungen: Zur Eröffnungsveranstaltung am 24. Oktober hielten die Heidelberger Expert*innen der digitalen Theologie PD Dr. Frederike van Oorschot und Dr. Christopher Nunn einen Vortrag zum Thema „Abstellgleis oder Überholspur? Theologische Forschung in den Bahnen der Digital Humanities“. Hier beleuchteten sie das Spannungsfeld von Digitalität als Untersuchungsgegenstand theologischer Forschung einerseits und andererseits als Modus von Forschungsmethoden. Christopher Nunn bot am Folgetag zusätzlich noch den Hands-on-Workshop „Zitiertechniken unter der Lupe. Intertextualität in spätantiken Briefen digital betrachtet“ an.

Im Laufe des Wintersemesters wurden fünf Werkstattberichte aus laufenden Münsteraner Cluster-Projekten mit DH-Anteil jeweils durch einen Webquest begleitet. Interessierte konnten durch das Lösen projektspezifischer Fragen sogar Preise gewinnen.

Fokus „Künstliche Intelligenz“

Das Jahr 2023 war auch an der Universität vom sehr sichtbaren Einzug der sogenannten Künstlichen Intelligenz in Prozesse des akademischen Arbeitens geprägt. Neben universitätsweiten Fragen, wie leicht zugängliche Entwicklungen wie ChatGPT (oder die Open-Source-Alternative HuggingChat) im Alltag von Lehre und Prüfungen eingesetzt und ggf. reglementiert werden können, haben sich auch die Digital Humanities mit großem Interesse den Möglichkeiten und Herausforderungen der Large Language Models (LLMs) im Bereich des digitalen Forschens zugewendet. Das SCDH organisierte hierfür etwa ein Frühjahrstreffen im Rahmen des Arbeitskreises Digital Humamities mit dem Thema „ChatGPT und die Veränderung digitalen Arbeitens durch die nächste Generation von KI-Anwendungen“. Ein Blogbeitrag fasst das Treffen zusammen.

Im Rahmen des DH-Tags am 8. Dezember kam es dann schließlich zur Gründung bzw. Neuausrichtung einer AG im Arbeitskreis Digital Humanities: Die AG Textanalyse mit LLMs wurde von Dr. Paul M. Näger ins Leben gerufen und widmet sich den Möglichkeiten von durch Large Language Models unterstützten Formen der Textanalyse. Wie bei allen AGs des Arbeitskreises sind Interessierte (auch Studierende) herzlich willkommen, mitzumachen.

Weiter geht’s …

Den Schwung aus dem Jahr 2023 nehmen wir vom SCDH gerne mit und bauen unsere Aktivitäten für einen besseren und umfassenderen DH-Forschungsservice im laufenden Jahr weiter aus. Wir sind dabei dankbar und glücklich über die enge, vertrauensvolle Kooperation mit den Forschenden in Münster und an anderen nationalen wie internationalen Standorten. Darin steckt neben dem organisatorischen Fundament vielleicht das größte Potenzial, um die Digital Humanities effektiv und innovativ weiterzuentwickeln – und damit auch die geisteswissenschaftliche Forschung insgesamt.

Das Beitragsbild ist entstanden unter Verwendung folgender Grafik:
#597817140 von Alex Darts – stock.adobe.com

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