Arbeitsgruppen aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften


Finanzmärkte jeglicher Art spielen in den modernen Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle. Hierbei handelt es sich um spezielle Märkte, auf denen Kapital in Form von Geld, Wertpapieren und anderen Finanzkontrakten gehandelt wird. Sie haben die wichtige volkswirtschaftliche Funktion, Kapitalgeber und Kapitalanleger zusammenzubringen.

Gut funktionierende Finanzmärkte stellen einen zentralen Faktor für ein hohes Wirtschaftswachstum eines Landes dar. Es zeigt sich, dass Länder mit schlecht funktionierenden Finanzmärkten häufig Probleme mit der volkswirtschaftlichen Produktion sowie mit Arbeitslosigkeit haben. Aktivitäten auf Finanzmärkten haben einen direkten Einfluss auf den Wohlstand der Bevölkerung, auf das wirtschaftliche Verhalten von Unternehmern und Konsumenten sowie auf die Konjunkturzyklen einer Volkswirtschaft.

Das Transaktionsvolumen auf den weltweit vernetzten internationalen Finanzmärkten hat sich in den vergangenen 20 Jahren mit der Fortentwicklung der Computertechnologie rasant erhöht. Zurzeit werden beispielsweise auf den weltweiten Devisenmärkten täglich Währungen im Wert von 3,2 Billionen US-Dollar umgesetzt. Die zahlreichen Akteuren an diesen Märkten handeln aus verschiedenen ökonomischen Motiven heraus. Sie unterscheiden sich beispielsweise in ihren Präferenzen und ihren Einschätzungen der Zukunft, und bereits ihre individuelle Nachfrage nach Finanztiteln hängt in nichtlinearer Weise von ihren Charakteristika und den Gegebenheiten am Markt ab. Es ist dann leicht vorstellbar, dass die aus der Aggregation von Angebot und Nachfrage über alle Marktteilnehmer resultierenden Finanzmarktkurse nichtlineare komplexe Strukturen aufweisen.

In der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Professoren Branger, Trede und Wilfling, mit nichtlinearen dynamischen Strukturen auf internationalen Finanzmärkten (Aktien-, Devisen-, Rohstoff-, Wertpapier-, Options- und Derivatemärkte). Bei der theoretischen Modellierung von Finanzmärkten werden Methoden aus der Stochastik, Methoden und numerische Verfahren zur Analyse nichtlinearer dynamischer Systeme sowie Methoden der nichtlinearen Optimierung, Kontrolle, Steuerung und Prognose eingesetzt. Im Bereich der empirischen Analyse von Finanzmarktdaten werden nichtlineare stochastische Prozesse an Zeitreihen angepasst bzw. unbekannte Parameter der Prozesse mittels statistischer Verfahren geschätzt.

Auch die Beobachtungsfrequenz von Finanzmarktkursen hat sich aufgrund verbesserter Informationstechnologie in den letzten Jahren deutlich erhöht. So werden heute Aktien- und Devisenkurse im Abstand von wenigen Sekunden erfasst. Die Auswertung solcher hochfrequenten Daten erfordert neue statistische Verfahren, die der Datenkomplexität und den in den Daten enthaltenen nichtlinearen Strukturen Rechnung tragen. Auch die Entwicklung derartiger finanzmarktstatistischer Verfahren wird von der Arbeitsgruppe verfolgt.

  • Arbeitsgruppen Branger, Trede, Wilfling


    Nichtlineare Dynamik auf internationalen Finanzmärkten und Asset Pricing

    Die meisten Zeitreihen von Finanzmarktvariablen weisen eine nichtlineare Dynamik auf. Hierzu gehören typischerweise Wechselkurse, Aktienkurse, Rohstoffpreise, Zinssätze für verschiedene Laufzeiten und Optionspreise. Es gibt eine Vielzahl von Gründen für die Entstehung von Nichtlinearitäten in der Dynamik von Finanzmarktvariablen. Hierzu gehören das Auftreten exogener Wirtschaftsschocks (z.B. ein unvorhergesehener Gewinneinbruch eines börsennotierten Unternehmens) oder direkte Interventionen der wirtschaftspolitischen Behörden auf einem Finanzmarkt (z.B. die Stützung der heimischen Währung durch die inländische Zentralbank mittels An- oder Verkauf ausländischer Währung auf dem Devisenmarkt). Hierzu gehören auch nichtlineare Abhängigkeiten beispielsweise des Optionspreises vom Kurs der zugrundeliegenden Aktie oder des Kurs-Gewinn-Verhältnisses von den langfristigen Wachstumsaussichten der Volkswirtschaft. Auch sich verändernde Zukunftserwartungen der Finanzmarktakteure führen in der Regel zu nichtlinearen Strukturen in der Dynamik einer Variablen. Die folgenden zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen.

    Beispiel 1: Wechselkurse vor der Einführung einer Währungsunion

    Cfig3

    Cfig3

    Der Eintritt zweier Länder in eine Währungsunion ist dadurch gekennzeichnet, dass der Wechselkurs zwischen den beiden Währungen ab dem zukünftigen Beginn der Währungsunion durch die Zentralbanken der beiden Länder auf einem politisch ausgehandelten Niveau fixiert wird. So wurde z.B. der französische Franc ab dem 1.1.1999 zur DM unwiderruflich auf dem Kurs 0.29816436 DM/Franc fixiert. Die folgende Grafik beschreibt die Dynamik des DM/Franc-Wechselkurses (Tageskurse) vor dem Beitritt beider Länder in die Europäische Währungsunion am 1.1.1999.

    Offensichtlich konvergiert der vom Devisenmarkt bestimmte Wechselkurs in der Zeit vor der Währungsunion automatisch gegen den unwiderruflich politisch festgesetzten Kurs von 0.29816436 DM/Franc. Außerdem nimmt die Volatilität des Wechselkurses vor dem Eintritt in die Währungsunion kontinuierlich ab. Sowohl die Konvergenz des Wechselkurses als auch die sich verringernde Volatilität lassen sich in einem mathematisch-ökonomischen Modell anhand der Zukunftserwartungen der Devisenmarktteilnehmer erklären. Würden die Devisenmarktteilnehmer nicht an das Zustandekommen der Währungsunion (und damit nicht an die zukünftige Wechselkursfixierung) glauben, so würde man weder Konvergenz noch die Volatilitätsverringerung beobachten.


    Beispiel 2: Aktienkurse vor Unternehmensübernahmen

    Ein ähnliches Phänomen kann sich für den Aktienkurs eines Unternehmens ergeben, das vor der Übernahme durch ein anderes Unternehmen steht. Oft erfolgt die Übernahme des Zielunternehmens, indem den Aktionären der Zielaktie zu einem zukünftigen Übernahmedatum ein fest vorgegebener Aktienpreis (der höher als der Marktpreis ist) angeboten wird. Die folgende Grafik zeigt den zeitlichen Kursverlauf der Zielaktie Wella vor der Übernahme des Unternehmens durch den Pharmakonzern Proctor & Gamble.


    Zu erkennen ist, dass sich der Wella-Aktienkurs im Vorfeld der Unternehmensübernahme am 20.06.2003 von der Gesamtmarktentwicklung des DAX abkoppelt. Der Aktienkurs springt in die Richtung des Angebotskurses von 90.25 Euro pro Aktie (linke Skala) und verändert seine Volatilität. Auch diese nichtlinearen Veränderungen in der Dynamik des Zielaktienkurses lassen sich in einem mathematisch-ökonomischen Modell begründen. Falls die Aktienmarktteilnehmer von einem Scheitern der Übernahme überzeugt wären, würden sich weder der Sprung in Richtung des Übernahmepreises noch die Volatilitätsreduktion im Kurs einstellen.


    Modellierungswerkzeuge

    Die zuvor erwähnten mathematisch-ökonomischen Modelle basieren auf Transformationen geeignet spezifizierter Diffusions- und Sprungduffusionsprozesse, welche die Nichtlinearitäten in der Dynamik beschreiben können. Bei der formalen Modellanalyse spielen stochastische Differentialgleichungen und das Ito-Kalkül eine herausragende Rolle. Neben die theoretische Modellierung tritt die statistische Datenanalyse der entsprechenden Finanzmarktzeitreihen. Hier werden die strukturellen Modellgleichungen durch Maximum-Likelihood-Methoden geschätzt. Weiterhin kommen nichtlineare Zeitreihenmodelle mit zeitvariierender bedingter Volatilität (GARCH-Modelle) bzw. mit stochastisch wechselnden Regimen im datenerzeugenden Prozess (Markov-switching GARCH-Modelle) zum Einsatz.

    Ökonomische Anwendungen

    Die mit den theoretischen und empirischen Modellierungen gewonnenen Erkenntnisse lassen sich für viele wirtschaftspolitische Fragestellungen nutzen. Zunächst einmal bilden die mathematischen Modelle Finanzmarkttheorien ab, aus denen sich Prognosen für die jeweiligen Variablen gewinnen lassen. Weiterhin tragen die Modelle zur Politikberatung bei. Aus dem oben genannten Modell zur Währungsunion lassen sich z.B. konkrete Politikempfehlungen für zukünftige Beitrittsländer des Euroraumes ableiten, mit denen diese Staaten einen turbulenzfreien Übergang in die Währungsunion vollziehen können. Das theoretische Modell zu den Aktienkursen bei Unternehmensübernahmen kann als Grundbaustein bei der Bewertung von Aktienoptionen bei Fusionen und Unternehmensübernahmen genutzt werden. Asset Pricing Modelle stellen einen Zusammenhang zwischen den Preisen von Finanztiteln und volkswirtschaftlichen Größen her und zeigen beispielsweise, wie bestimmte Größen am Markt vom Konjunkturzyklus abhängen.