Wl 1106 Nelles Kremlmuseum

Beeindruckende Kulisse: WWU-Rektorin Prof. Ursula Nelles spricht im Talar bei der feierlichen Eröffnung der Historiker-Konferenz im Kreml-Museum.   

Foto: DFG Moskau, Galina Melnikova

Throne, Teller, Kutschen: Inmitten goldglänzender und reich verzierter Staatsgeschenke im Moskauer Kreml-Museum haben Forscher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster gemeinsam mit russischen Institutionen eine der ersten Wissenschaftstagungen an diesem Ort abgehalten. Sie ergründeten "Die Sprache der Gaben", die die Herrscher und Mächtigen Russlands und Europas über Jahrhunderte austauschten. Die prachtvollen Staatsgeschenke dienten der Beziehungspflege: "Geschenke waren seit jeher geeignet, soziale, religiöse und politische Beziehungen zu begründen, zu intensivieren oder zu verlängern", sagte Historiker Prof. Gerd Althoff. "Der reiche Schatz der Rüstkammer des Kreml-Museums, im Westen noch weitgehend unbekannt, lädt Forscher geradezu ein, über die symbolische Sprache der Gaben und deren internationale Verständlichkeit nachzudenken."

"Der Schenkende hatte den Rang des Beschenkten zu beachten."

In glanzvollem Rahmen eröffneten die Wissenschaftler die internationale Konferenz und zeigten sich in feierlichen Grußworten erfreut, dass die russisch-deutsche Kooperationsveranstaltung an diesem herausragenden Ort gelungen sei. Es sprachen der deutsche Botschafter Ulrich Brandenburg aus Westbevern und die Rektorin der Universität Münster, Prof. Ursula Nelles, sowie Vertreter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Deutschen Historischen Instituts, der Lomonossow-Universität, der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Forschungsuniversität "Hochschule für Ökonomie".

Die Konferenzteilnehmer – Historiker, Kunsthistoriker, Byzantinisten und Theologen aus mehreren Ländern Europas, Russland und den USA – ließen sich in den Kreml-Räumen vom reichen Erbe der russischen Zaren inspirieren, von Tischgeschirr und Waffen, Rüstungen und Ikonen aus dem 11. bis 18. Jahrhundert. In vielfältigen Vorträgen, reich an Beispielen aus der Historie, und lebhaften Debatten erörterten sie das komplizierte Regelwerk des Schenkens, das Kaiser, Könige, Zaren genauso wie Päpste und Bischöfe zu beachten hatten. "Es gab zwar keinen ‚Knigge des Gabentausches‘, die Regeln waren aber als Gewohnheiten bekannt", betont Gerd Althoff. "Ihre Existenz und Verbindlichkeit konnte die Tagung im internationalen Vergleich oftmals nachweisen."

Vieles weise darauf hin, lautete eine der Schlussfolgerungen der Konferenz, über die auch das ZDF und das russische Fernsehen berichteten, dass sich die Spielregeln des Schenkens über Kulturen und Epochen hinweg stark ähnelten. "Der Schenkende hatte den Rang des Beschenkten zu beachten. Auch galt das ,Do ut des’, das schon die Römer kannten: Ich gebe, damit du gibst. Geber erwarteten Gegengaben." Das spielte in den unterschiedlichsten Situationen eine Rolle: in Heiratsverbindungen, dynastischen Allianzen, bei Hofe oder in Kriegssituationen.

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Münstersche Historiker in Moskau: Prof. Barbara Stollberg-Rilinger und Prof. Gerd Althoff (2. von rechts)     

Foto: Evgenij Markov

"Bei Staatsgeschenken ging es nicht nur um Gold und Edelsteine."

Bei den Staatsgeschenken ging es nicht nur um Gold und Edelsteine: Der materielle Wert allein war nicht entscheidend, wie auf der Konferenz deutlich wurde. Begehrt war wie heute alles, was selten oder einzigartig war: Luxusgeschenke, die als Statussymbol dienten. So besaßen Könige in früheren Zeiten einen ganzen Zoo mit seltenen Tieren, die sie geschenkt bekommen hatten, Löwen oder Elefanten, sprechende Papageien oder dressierte Bären. Kirchenhistoriker Prof. Arnold Angenendt führte in Moskau aus, dass sich der Gabentausch nicht auf innerweltliche Sphären beschränkte. Westliche und orthodoxe Christen glaubten gleichermaßen daran, Gott oder die Heiligen beschenken zu können, sei es durch materielle Leistungen oder Gebete, um eine wichtige Gegengabe zu erhalten: das Seelenheil, die Rettung vor der Verdammnis.

Eindrucksvolles Beispiel für die Praxis der Staatsgeschenke aus dem Kreml-Museum: eine silberne, teilvergoldete Schauplatte aus dem Jahr 1686, die gefangene Türken vor dem Thron von König Jan III. Sobieski von Polen zeigt – die Gefangenen in Ketten liegend und mit gesenkten Häuptern. Mit dem Geschenk an die Zaren Iwan und Peter Alexejewitsch brüstete sich der polnische König gegenüber den russischen Herrschern mit der Gefangennahme türkischer Krieger während der sogenannten Zweiten Wiener Türkenbelagerung, wie die Wissenschaftler darlegten. "Viele der Geschenke im Kreml-Museum können vergleichbare Geschichten erzählen und waren Gegenstand unserer Tagung", berichtete Gerd Althoff.

Das jahrhundertealte Thema birgt der Konferenz zufolge auch eine "bis heute politisch hochbrisante Frage: Gehört Russland zu Europa?" Viele Menschen in Westeuropa und den ehemaligen Sowjetrepubliken in Mitteleuropa seien der Auffassung, hieß es, man könnte und sollte Russland aus der europäischen Integration und Tradition heraushalten. Die Fülle an Staatsgeschenken zeigt aber, dass Russland stets integraler Teil des europäischen Kommunikationssystems gewesen ist. "Das sind starke historische Argumente dafür, die Grenze zwischen Europa und Asien nicht vom Ural an die polnische Grenze vorzuverlegen, wie es manche Bürger und Politiker heute gern täten."   

Viola van Melis