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Ein Rückfall in die Steinzeit

Urheberrecht zu Ungunsten von Wissenschaft und Autoren verschärft

Wl801 BuecherPapier rückt wieder in den Vordergrund. Die Reform des Urheberrechts bedeutet, dass die elektronischen Medien nicht mehr so komfortabel und billig wie bisher genutzt werden dürfen

Foto: hilde/photocase

"Das ist ein Rückfall in die Steinzeit, was die Versorgung mit wissenschaftlicher Literatur angeht." Das Jahr 2008 begann für Dr. Beate Tröger, Leiterin der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB), mit Bauchschmerzen. Der Auslöser: das so genannte "Zweite Gesetz zur Änderung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft", das am 1. Januar – trotz zahlreicher Proteste – in Kraft getreten ist.

"Wir und auch alle anderen Bibliothekskollegen bundesweit müssen nun zurückgehen zu Techniken, die weit hinter uns liegen." Das bedeute eine hohe Belastung für alle. Bisher konnten Studenten und Uni-Mitarbeiter Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern, die nicht in Münster vorhanden sind, über das Internet per Fernleihe in der ULB bestellen. Kostenaufwand: jeweils 1,50 Euro. Dafür ging es schnell und unbürokratisch per E-Mail. Steigende Nutzungszahlen belegen über Jahre den Erfolg.

Seit dem 1. Januar darf die ULB, wie auch andere Bibliotheken bundesweit, nicht mehr liefern, wenn der jeweilige Verlag selbst ein entsprechendes kostenpflichtiges Angebot per Internet bereithält. Bei den politischen Lippenbekenntnissen für die Stärkung von Forschung und Lehre kann sich Tröger über ein solches Gesetz nur wundern: "Es ist, als würde ich ICE fahren und müsste plötzlich vor dem Zielbahnhof in einen Bummelzug umsteigen." Die Bibliothek stellt die Reform zunächst einmal vor große Probleme: "Bei 40.000 Studenten und 8.000 Wissenschaftlern fehlen uns schlicht die Mittel für das Nachchecken jedes einzelnen benötigten Aufsatzes auf den Webseiten der Verlage." Die Folge: Es gibt Aufsätze nur noch auf Papier. Mitarbeiter verbringen unnötig Zeit am Kopierer, der Papierverbrauch steigt. Vor allem aber bedeutet die Gesetzesreform längere Warte- und Bearbeitungszeiten für die ULB-Nutzer.

"Das ist ein schlechter Witz und in der Praxis eine Katastrophe."

Studierende und Wissenschaftler erhalten jetzt die für ihre Arbeit notwendigen Aufsätze nicht mehr bequem per Mail. Sie müssen sie in Papierform in der Bibliothek abholen. "Das wird richtig schmerzhaft, wenn man unter Zeitdruck an eine Aufsatzkopie kommen muss. Unsere Nutzer müssen sich wohl oder übel auf eine Verzögerung einstellen, wenn sie bei Wind und Wetter erst noch zur Bibliothek müssen." Wer dagegen die benötigte Literatur direkt beim Verlag digital abfragen will, muss tief in die Tasche greifen. "Die Preise pro Aufsatz dürften zwischen zehn und 30 Euro liegen", rechnet Tröger verärgert vor.

Die ULB informierte alle Fernleihnutzer per Mail über die Änderung. Tröger setzt derweil noch auf neue Verhandlungen zum Urheberrecht im so genannten Dritten Korb und fordert alle Wissenschaftler auf, sich zu mobilisieren: "Ein Aktionstag von Studierenden ist denkbar, aber auch ein gemeinsame Protestnote von Uni und AStA. Wir arbeiten daran."

Prof. Thomas Hoeren vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht ärgert sich richtig schwarz über die Urheberrechtsreform: "Das ist für Forschung und Lehre gerade im digitalen Zeitalter ein schlechter Witz und in der Praxis eine Katastrophe. Da verliert man jeden Spaß an Forschung und Lehre." Hoeren glaubt nicht daran, dass ein Dritter Korb etwas ändern könnte. "Wenn überhaupt, würde dieser erst in die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl fallen, und keiner weiß, wie die neue Regierung dann die Lage einschätzt", so Hoeren, der trotzdem nichts unversucht lassen will.

Vor allem vor dem Hintergrund, dass die neue Urheberrechtsreform auch per § 137 l UrhG dafür sorgt, dass Autoren rückwirkend bis 1965 ihre Rechte am eigenen Wort an die Verlage verlieren. Ausnahme: Sie legen Widerspruch ein. Der Widerspruch kann für Nutzungsarten, die am 1. Januar 2008 bereits bekannt sind, nur innerhalb eines Jahres erfolgen. Ansonsten erlischt das Widerspruchsrecht nach Ablauf von drei Monaten, nachdem der Verlag die Mitteilung über die beabsichtigte Aufnahme der neuen Art der Werksnutzung verschickt hat. Und zwar an den Urheber, konkret an die dem Verlag zuletzt bekannte Anschrift. Klingt kompliziert, ist es auch. Denn bei diesem Passus gibt es viele Rechtsunsicherheiten, die die Gerichte noch viel beschäftigen werden. Insgesamt können verfassungsrechtliche Gegenmaßnahmen deshalb nicht ausgeschlossen werden, signalisiert Hoeren abschließend Kampfesgeist.

Peter Sauer

www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/ material/urheberrechtsgesetz.pdf
www.urheberrechtsbuendnis.de