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Der Umgang mit der Zerstörung von deutschen und niederländischen Städten während des Zweiten Weltkrieges im wissenschaftlichen Diskurs seit 1945 im Vergleich

Raphaela Held

In einer Zeit, in der immer neue Probleme (wie die Flüchtlingskrise, Naturkatastrophen oder wieder aufkeimender Antisemitismus) die gesellschaftlichen Entwicklungen prägen, der zeitliche Abstand zu den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges immer größer wird und die Menschen jener Generation, die diesen Krieg miterlebt hat, immer weniger werden, kommt der Erinnerung an die Ereignisse und ihr Aufrechthalten in der modernen Gesellschaft eine wachsende Bedeutung zu. In den vergangenen 75 Jahren haben sich die Erinnerung an den und der Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg, seinen Ereignissen und Folgen stark verändert. Diese Veränderungen aufzuzeigen, in ihren historischen Kontext einzubetten und zu deuten, stellt ein wichtiges Thema der Geschichtswissenschaft dar.

In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Vielzahl an Publikationen zu Schicksalen verschiedener Städte während des Zweiten Weltkrieges, ihrer Zerstörung und ihres Wiederaufbaus und nicht zuletzt ihrem lokalen Umgang mit diesen einschneidenden Erlebnissen erschienen. Letztlich stellen diese Werke selbst ebenfalls einen Teil der lokalen Erinnerungskultur dar und haben darüber hinaus in verschiedenen Phasen der vergangenen 75 Jahre immer wieder zu wissenschaftlichen Diskussionen auf nationaler Ebene geführt. Diese Diskurse nachzuzeichnen, ihre Ursprünge durch eine Darstellung und Interpretation der zugrunde liegenden Publikationen aufzuzeigen und so Veränderungen des städtischen Umgangs mit ihrer Zerstörung anhand wissenschaftlicher Publikationen nachzuvollziehen, soll der Schwerpunkt dieses Promotionsprojekts sein.

Zwar gibt es inzwischen erste Ansätze, den Diskurs rund um den Bombenkrieg während des Zweiten Weltkrieges zu untersuchen, eine systematische Auswertung anhand verschiedener Städte in diesem Kontext fehlt bislang aber. Indem neben den drei deutschen Städten Dresden, Hamburg und Köln – alle von den Alliierten gezielt bombardiert und zerstört – noch die drei niederländischen Städte Nijmegen, Middelburg und Rotterdam – erstere gegen Ende des Krieges versehentlich von alliierten Flugzeugen zerstört, die letzten beiden zu Kriegsbeginn gezielt von Deutschen angegriffen und zerstört – als Fallbeispiele untersucht werden, wird zudem ein in diesem thematischen Zusammenhang bislang unbeachteter grenzübergreifender deutsch-niederländischer Vergleich angestrebt. Ergänzt wird dieser bilaterale durch den innerdeutschen Vergleich, nämlich den Umgang mit der Luftkriegszerstörung in wissenschaftlichen Publikationen in der BRD und der DDR. Die zentrale Forschungsfrage dieser Arbeit ergibt sich aus den oben genannten Aspekten und lautet somit: Inwieweit lassen sich Veränderungen im lokalen Umgang der Städte Dresden, Hamburg, Köln, Middelburg, Nijmegen und Rotterdam mit ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg anhand der in den vergangenen Jahrzehnten erschienenen, wissenschaftlichen Publikationen nachzeichnen und inwiefern waren diese Interpretationen Grundlage für nationale Diskurse? Zur Beantwortung dieser zentralen Fragestellung müssen eine Reihe weiterer, sich hieraus ergebender Fragen beantwortet werden: Wie entwickelte sich die Erinnerung an die und der Umgang mit der Zerstörung in jeder dieser Städte? Gibt es dabei Ähnlichkeiten bei den Städten eines Landes oder unterscheiden sich diese grundlegend? Lassen sich anhand der Publikationen Beispiele für lokale Erinnerungskulturen nach nationalen Mustern feststellen?

Mit Hilfe dieser Fragestellungen soll in der geplanten Arbeit ein Bild der wissenschaftlichen Aufarbeitung des lokalen Umgangs einzelner Städte mit ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg entstehen, das einerseits mögliche nationale Diskurse verdeutlicht und erklärt sowie andererseits Veränderungen innerhalb der einzelnen städtischen (evtl. auch nationalen) Erinnerungskulturen anhand dieser Publikationen sichtbar werden lässt. Zu erwarten ist, dass sich der Umgang mit der Luftkriegszerstörung im Laufe der Zeit in der lokalen Erinnerungskultur der einzelnen Städte einerseits und damit einhergehend auch in den wissenschaftlichen Publikationen andererseits verändert. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich diese Veränderungen analog zur nationalen Erinnerungskultur beider Länder entwickeln und von ihr beeinflusst werden.