Digital Religion? Theorie und Praxis der Inventarisierung von christlichem Kulturerbe

Interview mit Prof. Dr. Norbert Köster und Carolin Hemsing aus dem Fach Katholische Theologie über die Möglichkeit der Bewahrung von Kulturerbe durch Digitalisierung

Prof. Dr. Norbert Köster und Carolin Hemsing, M.A.
© Sarah Röttger

Viele Pfarrkirchen beherbergen hochrangige Kunstwerke, die der Forschung aber nur schwer zugänglich sind, weil sie gar nicht oder an entlegenen Orten mit qualitativ nicht ausreichenden Bildern publiziert sind. Zudem führt die Schließung von Pfarrkirchen dazu, dass Kunst in Depots verschwindet oder auf dem Kunstmarkt verkauft wird. Durch die Digitalisierung soll dieses Kulturerbe langfristig bewahrt werden. Die komplexen Anforderungen, Kunstwerke nach wissenschaftlichen Standards zu digitalisieren und für den Open Access zur Verfügung zu stellen, wurden im ersten Teil des Werkstattberichts im Themenjahr "Die Digitalisierung der Religion" erläutert. Der zweite Teil ging der Frage nach, was es bedeutet, wenn christliche Kunst von der Kirche in die Datenbank wandert.

Was ist der Gegenstand Ihres DH-Projektes, und welche Frage soll es mittels DH-Methoden beantworten?

Das an der Arbeitsstelle für Christliche Bildtheorie, Theologische Ästhetik und Bilddidaktik (ACHRIBI) angesiedelte Projekt „Digitalisierung Christlichen Kulturerbes im Bistum Münster“ hat die Inventarisierung und digitale Erfassung der künstlerischen Bestände in den ca. 700 Kirchen und Kapellen des NRW-Teils des Bistums Münster sowie deren digitale Vermittlung als christliches Kulturgut zum Gegenstand. Dazu arbeiten wir eng mit der Gruppe Kunstpflege im Generalvikariat des Bistums zusammen.

Das Projekt bearbeitet in drei Teilprojekten die folgenden Forschungsfragen:

1. Welches Kunstgut ist in den Kirchen und Kapellen des NRW-Teils des Bistums Münster vorhanden?

2. Wie kann dies für Forschungszwecke digital und im Open Access zugänglich gemacht werden?

3. Wie kann das christliche Kulturerbe digital vermittelt werden?

Wie sehen die DH-Methoden konkret aus, wenn Sie sie in Ihrem Projekt anwenden?

Die erste methodische Herausforderung bildet die Aufarbeitung vorhandener Bestandsdaten. Dazu gehört zunächst die Retrodigitalisierung von vorhandenen Karteikarten, Fotografien und Negativen. Diese müssen ausgelesen und in ein Digital Asset Managementsystem eingepflegt werden, das große Datenmengen verarbeiten kann. Damit die Daten dauerhaft anwenderorientiert genutzt werden können, sind ein Datenmanagementplan, ein Datencleaning, ein Mapping für die Zentraldatenbank und eine Modellierung der Daten nach Vorgaben des Bistums notwendig.

Im zweiten Schritt kommen die Neuinventarisierungen hinzu. Um diesen fünfjährigen Prozess zu steuern, braucht es eine Projektsoftware mit Auftragsvergabesystem und digitaler Roadmap.

Wenn bei der Neuinventarisierung vor Ort neue Datensätze produziert werden, müssen diese zunächst mit vorhandenen Bestandsdaten abgeglichen werden. Dann ist es notwendig, die neu aufgenommenen Daten der Kunstwerke für die Übernahme in die Zentraldatenbank nachzubearbeiten und zu normieren. Ebenso müssen dokumentarische Fotografien zu den Datensätzen hinzugefügt werden.

Im letzten Schritt werden die Daten in das Bildarchiv Foto Marburg exportiert (XML-Format) und in weiteren Datenbanken im Open Access publiziert.

Wie werden oder wurden diese Methoden entwickelt?

In dieser Aufstellung und nach diesen digitalen Standards gibt es in deutschen Bistümern kein vergleichbares Projekt. Bisher wurde meist ausschließlich für interne Zwecke inventarisiert. Der Datenfeldkatalog für die Inventarisierung, der im Rahmen des Projekts entwickelt wurde, erfüllt digitale Standards zur Verknüpfung mit Meta- und Normdaten, die eine (öffentliche) Nachnutzung der Daten ermöglichen, die bisher nicht möglich war.

Christian Bracht (Bildarchiv Foto Marburg) und sein Team beraten im Rahmen der Task Area 2 von NFDI4Culture das Projekt, um von den Erfahrungen anderer Inventarisierungs-Projekte zu profitieren. SCDH Mitarbeiter der ULB Münster sind für das Kuratieren der neu entstehenden sowie der Bestandsdaten Teil des Projektteams.

Welche Ergebnisse liegen bereits vor, welche erwarten Sie? Wie sähe dieselbe Forschungsarbeit ohne DH-Methoden aus?

Da die Neuinventarisierung erst im November 2023 beginnt, steht im Moment die Digitalisierung der Bestandsdaten im Vordergrund.

Bis 2029 werden ca. 150.000 Datensätze in die Projektsoftware HIDA eingegeben, aus denen 700 digitale Inventare erstellt werden. Die Datensätze werden über das Bildarchiv Foto Marburg der Forschung zugänglich gemacht. Durch eine Ausstellungskuratorin werden zudem digitale Ausstellungen kuratiert und u.a. bei DDB-Studio veröffentlicht.

Dieselbe Forschungsarbeit ohne DH-Methoden würde bedeuten, dass handschriftlich einzelne Karteikarten für jedes Kunstwerk angelegt werden. Diese werden in Kopie zu einem analogen Inventar zusammenstellt, das den Gemeinden zur Verfügung gestellt wird. Diese Inventare sind nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, bzw. ggf. nur auf Anfrage. Da die Gemeinden selbst meist keine Ausstellungen mit ihrem Kunstgut kuratieren können, findet wenig Vermittlungsarbeit statt. Dies war lange der Status Quo, seit in den 1970er Jahren mit der Inventarisierung im Bistum Münster begonnen wurde.

Worin liegt die heutige gesellschaftliche Relevanz dieser Forschungsarbeit, worin liegt diesbezüglich der Wert der DH-Methoden?

Das christliche Kulturgut in den Kirchen und Kapellen ist nicht nur aufgrund von Entweihungen, sogenannten Profanierungen, einem großen Wandel unterworfen, sondern auch durch Diebstähle bedroht. Außerdem steht es weder der Öffentlichkeit noch für Forschungszwecke zur Verfügung. Circa 1/3 der Kirchen weisen keine Verzeichnung auf, weshalb oft unbekannt ist, welche „Schätze“ durch die Forschungsarbeit noch aufgefunden werden können. Im Rahmen unserer Forschungsdatensammlung wird erstens das Kulturerbe digital konserviert, zweitens für Forschungszwecke verfügbar gemacht und drittens in virtuellen Ausstellungsformaten didaktisch aufbereitet für die Öffentlichkeit. (exc/pie)