„Frauen konnten erstmals die Scheidung einfordern“

Frühneuzeit-Historikerin Iris Fleßenkämper untersucht am Exzellenzcluster Ehekonflikte vor rund 500 Jahren – Reformation lieferte Frauen vor Gericht moralische Argumente gegen häusliche Gewalt und für eine Scheidung

Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 29. April 2016

Pm Fruehneuzeitliche Ehekonflikte Vor Gericht
Dr. Iris Fleßenkämper
© ska

Ehekonflikte vor rund 500 Jahren: Wenn Frauen der Reformationszeit eine Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann anstrebten, halfen ihnen vor Gericht laut einer Studie die neuen Moralvorstellungen der Reformatoren. „Zwar durften Männer ihre Frauen weiterhin zur Disziplinierung züchtigen, aber nicht mehr aus dem Affekt heraus. Das galt den Reformatoren als Sünde und mitunter als Grund für Scheidungen“, erläutert Frühneuzeit-Historikerin Dr. Iris Fleßenkämper vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. „Diese Argumentation konnten Frauen vorbringen, um vor weltlich-kirchlichen Gerichten eine Scheidung oder eine Ehetrennung auf Zeit einzufordern“, so die Wissenschaftlerin, die in ihrer Studie frühneuzeitliche Scheidungsverfahren in protestantischen Regionen untersucht und exemplarisch mehrere hundert Quellen auswertet, darunter Gerichtsprotokolle, Akten von Ehetrennungsverfahren sowie Einträge aus sogenannten Rügeregistern, Urfehde- und Presbyterialbüchern aus der ehemaligen Grafschaft Lippe.

Protestantische Frauen des 16. und 17. Jahrhunderts argumentierten demnach regelmäßig vor Gericht, ihre Männer hätten ihnen nicht gezielt Gewalt angetan, sondern impulsiv – etwa unter Alkoholeinfluss oder aus purer Grausamkeit. „Die Gatten standen damit als gottlose Sünder da“, so Iris Fleßenkämper. „Zwar kam es äußerst selten zur Scheidung, vielmehr zu Ehetrennungen auf Zeit oder zu Kirchenzuchtverfahren, in denen der gewalttätige Ehemann öffentlich ermahnt wurde, sein Verhalten zu bessern.“ Ein Presbyter sollte etwa ein „wachendes Auge“ auf das Paar werfen. „Doch mit den Reformatoren erhielten die Frauen ganz neue Argumente, sich gerichtlich gegen häusliche Gewalt zu wehren. Das reichte von einer Anna Küster, die beklagte, ihr Mann verhielte sich eher wie ein ‚Tyrann und grausamer teuffel‘ denn wie ein Christ, bis zu Catrina Ebels, deren Mann sie geschlagen, bespuckt und eine Hure geschimpft haben soll.“

„Braun, blau und blutrünstig“ geschlagen

Im Hintergrund stand das fundamental neue Eheverständnis der Reformatoren wie Martin Luther (1483-1546), die der Ehe den Sakramentscharakter absprachen und sie als rein weltliche, nicht mehr als geistliche Angelegenheit ansahen, weshalb die Ehe für Protestanten nicht mehr unauflöslich war und erstmals Scheidung mit der Möglichkeit zur Wiederheirat möglich war. Um den neuen Ehevorstellungen der Reformatoren Rechnung zu tragen, gründeten die Landesherren protestantischer Gebiete Ehegerichte, in denen weltliche Beamte und kirchliche Vertreter unter dem Vorsitz des Landesherrn gemeinsam Recht sprachen.

In der protestantischen Grafschaft Lippe, die das Gebiet rund um die Städte Lemgo und Detmold östlich von Bielefeld umfasste, setzte Landesherr Graf Simon VI. (1563-1613) ein solches Konsistorium ein, das neben Verlobungsklagen, also Klagen auf Einlösung des durch den Mann gegebenen Eheversprechens, zunehmend auch Scheidungs- und Trennungsverfahren verhandelte. Hier gab etwa eine Maria Hunecke an, ihr Mann habe sie „braun, blau und blutrünstig“ geschlagen. Der Ehemann Anton Kudrup argumentierte, er habe die Ehre als Hausvater verteidigen müssen, als die Frau nicht gehorchte. So habe er „ex justo dolore“ gehandelt, aufgrund einer Provokation. Eine Ohrfeige habe Gehorsam bewirken sollen, da nach heiligem und menschlichem Recht die Frau dem Willen des Mannes zu folgen habe. Der Vorwurf der Grausamkeit sei unangebracht.

„Die Analyse der zahlreichen Gerichtsprotokolle, die heute im Landesarchiv NRW in Detmold liegen, lassen wiederkehrende, und geschlechterspezifische Argumentationstaktiken weiblicher Anklage und männlicher Rechtfertigung erkennen“, so Iris Fleßenkämper. „In stereotyper Weise berufen sich die Klägerinnen auf die Argumente evangelischer Theologen und Juristen, nach denen Ehebruch, Verweigerung des Geschlechtsaktes, unchristliches Verhalten, Grausamkeit (saevitia) und lebensbedrohliche Gewalt (insidia vitae) aus dem Affekt Scheidungsgründe waren.“

„Sünden, die den Zorn Gottes hervorrufen“

Die Schilderungen mancher Frauen fielen besonders drastisch aus: Die Klägerin Engel Mußmann gab im Jahr 1615 an, ihr Mann habe sie immer wieder geschlagen, noch dazu sei er seit der Heirat vor sechs Jahren immerzu faul und betrunken. Eine Anna Stevens wiederum beschwerte sich über die „unmenschlichen schläge“ ihres Mannes und die Drohung, sie umzubringen. 1687 schilderte die Klägerin Margarete Strot, der Gatte habe sie so hart geschlagen, dass sie gar den Respekt der Knechte verloren habe.

„Die protestantische Kirche in der Grafschaft Lippe sah maßlose Gewalt und den Missbrauch von Alkohol als Sünden, die den Zorn Gottes hervorriefen und damit auf einer Stufe mit Ehebruch standen“, erläutert Iris Fleßenkämper. „In Richtung der Pastoren im Gerichtssaal beriefen sich die Frauen daher auf solche christlichen Normen, um eine Trennung von ihren Ehemännern zu bewirken.“ Sie stellten den Ehemann als unbeherrscht, gewalttätig, als „Unchristen und gotlose[n] Heiden“ dar.

Die Untersuchung der frühneuzeitlichen Gerichtsprotokolle ist Teil des laufenden Forschungsprojekts A2-5 von Iris Fleßenkämper im Habilitandenkolleg des Exzellenzclusters, das den Titel trägt „Ehekonflikte zwischen Verbrechen und Sünde: Zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Strafgewalt in der frühneuzeitlichen Grafschaft Lippe“. Am Beispiel der Grafschaft Lippe wird darin untersucht, wie Herrschaft und Rechtsprechung zwischen neuer Kirchen- und Eheordnung, weltlicher Gesetzgebung, lokaler Volkskultur und überregionaler Rechtstradition funktionierten. Die Ergebnisse werden im Rahmen einer Habilitationsstudie veröffentlicht werden.

Die Teilergebnisse zu den geschlechtsspezifischen Argumenten in Gerichtsverfahren hat Dr. Iris Fleßenkämper in dem Beitrag „Taming husbands: women’s use of Protestant moral codes in post-Reformation separation cases in the German county of Lippe“ vorgelegt, der in der Fachzeitschrift Reformation & Renaissance Review erschienen ist. (mit/vvm)

Hinweis: Fleßenkämper, Iris, „Taming husbands: women's use of Protestant moral codes in post-Reformation separation cases in the German county of Lippe.” Reformation & Renaissance Review 2015, Vol. 17, Nr. 2: 142-154.