Ebola: Historiker ziehen Lehren aus der Zeit der Pest

„Mittelalterliche Obrigkeiten stärker zum kollektiven Handeln entschlossen als heutige Politiker – Seuchen-Problem nicht auf Experten abwälzen“

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Katharina Wolff und Prof. Dr. Jan Keupp

Im Kampf gegen Ebola lassen sich Historikern zufolge Lehren aus der Geschichte der mittelalterlichen Pest ziehen. Die politischen Obrigkeiten hätten damals auf die kollektive Bedrohung stärker mit gemeinschaftlichen Bemühungen reagiert als heute, schreiben die Mediävisten Prof. Dr. Jan Keupp und Katharina Wolff vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in einem Beitrag „Ebola und die Lehren der Pest“ auf www.religion-und-politik.de. Auch wenn heute fast niemand mehr die Seuche als Strafe Gottes betrachte und die damals angeordneten Hilfsmaßnahmen nicht mehr in Frage kämen, fehle es gegenwärtig an einem vergleichbaren politischen Willen zum kollektiven Handeln. Die moderne Politik habe den Anstieg medizinischen Wissens zum Anlass genommen, den Umgang mit Epidemien „an einen Stab von Spezialisten auszulagern und aus der Sphäre des kollektiven staatlichen Entscheidens zu verbannen.“ Das habe sich etwa bei EHEC als „bequeme und risikoarme Variante“ erwiesen, „die moderne Mandatsträger vor dem Versagen ihrer mittelalterlichen Vorgänger schützt“. (vvm)

Der Beitrag

Anfuehrungszeichen

Als einer der ersten Europäer erlebte der Notar Gabriele de Mussis im Frühjahr 1347 auf der östlichen Krim den Beginn der großen Pestepidemie. Die verheerende Seuche sollte ihn bis in seine italienische Heimat verfolgen: Selbst durch Fenster und Türen sei der Tod in die Häuser gekrochen und habe ganze Städte und Landschaften entvölkert, so sein bewegender Augenzeugenbericht. Der gelehrte Jurist zeichnet dabei ein erstaunlich exaktes Bild des Infektionsganges: In seiner Vaterstadt etwa sei ein Erkrankter aus Nächstenliebe und Barmherzigkeit von einem Freund aufgenommen worden: „Und nach kurzer Zeit starb mit seiner ganzen Familie und vielen Nachbarn auch derjenige, welcher ihn getröstet hatte. So breitete sich die Krankheit in kurzer Zeit aus und erreichte Piacenza.

Wer als Mittelalter-Historiker momentan derartige Texte durchforstet, blickt nicht mehr in die weite Ferne einer vermeintlich ‚finsteren’ Epoche. Er fühlt sich aus der vertrauten Studierstube unmittelbar in die Gegenwart versetzt, deckt sich der Bericht doch erschreckender Weise mit den jüngsten Meldungen über die unaufhaltsame Verbreitung des Ebola-Virus. Auch hier sind es die Helfer, die vor Ort Kranke in ihren Familien versorgen oder ihnen mit dem Know-how westlicher Medizin zur Seite stehen, die selbst bedauerlicherweise zu Opfern oder Überträgern der Seuche werden. Wie zu Zeiten der mittelalterlichen Pest drohen traditionelle Werte und Strukturen am Schrecken des Seuchengeschehens zu zerbrechen.

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