38 Jahre in Askese auf einer Säule

Byzantinist Michael Grünbart über bedeutenden Säulenheiligen Simeon im spätantiken Syrien

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Prof. Dr. Michael Grünbart

© han

Über den ersten bedeutenden christlichen Säulenheiligen der Spätantike hat Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster in der öffentlichen Ringvorlesung „Heilige Orte“ gesprochen. „Der Mönch Simeon der Ältere (etwa 388-459 n. Chr.) war prägend für die sogenannten Styliten, die in Askese auf einer Säule, griechisch stylos, oder auf einer erhöhten Plattform lebten. Sie waren im 4. und 5. Jahrhundert nach Christus in Syrien besonders verbreitet.“ Diese extreme Form enthaltsamen Daseins sollte den Weg zum Heil und eine Verstetigung des Verhältnisses zu Gott befördern, wie der Forscher erläuterte. Simeon stand den zahlreich erhaltenen Quellen zufolge angeblich 38 Jahre lang auf einer Säule im nordsyrischen Kalksteinmassiv. „Er galt schon bald als lebende Ikone und Volksheiliger und übertraf die Askese früherer Heiliger in vielerlei Hinsicht, etwa die Strenge des Fastens bei Moses und Elias, ja sogar Jesus.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Simeon sei wie eine weit sichtbare, lebendige Statue gewesen, führte der Wissenschaftler aus. Der Säulenheilige wurde über eine Leiter versorgt, wie Abbildungen auf verschiedenen Basaltreliefs zeigen, und zog jahrzehntelang unzählige Wallfahrer und Schaulustige, aber auch Ratsuchende an. „Durch die Askese erlangte der Mönch aus Sicht der Zeitgenossen spirituelle Fähigkeiten. Daher wurde er zum religiösen und kaiserlichen Ratgeber, oder man ersuchte bei ihm um Heilung von Krankheiten und um Fürbitten in Dürrezeiten.“ Letztendlich habe der stetige Andrang von Pilgern zur Schaffung eines gut organisierten Wallfahrtsortes am Ort von Simeons Säule geführt, der später Qal‘at Sim‘an (Festung Simeons) genannt wurde.

„Wettstreit um Askesepraktiken“

Dass sich Mönche zu dieser Zeit verstärkt in Askese von der Welt abwandten, erklärte Prof. Grünbart mit einer veränderten Einstellung zur Körperlichkeit im Christentum. „Askese entwickelte sich damals zu einem christlichen Ideal, das ganz unterschiedlich gelebt wurde, etwa durch Einmauern, Eingraben, Hungern oder Schlafentzug. Es gab einen regelrechten Wettstreit um die verschiedenen Formen der Askese, deren Spitze die Praxis der Säulenheiligen darstellten.“ Die Styliten gewannen demnach hohe Aufmerksamkeit, Bewunderung und Autorität und fanden regelmäßig Nachahmer.

Nach Simeons Tod erlosch die Anziehungskraft des weit über Syrien hinaus bekannten Kultorts Qal‘at Sim‘an nicht, wie der Byzantinist darlegte. Bis ins Hochmittelalter sei für die Säulenstätte reger Wallfahrtsbetrieb nachweisbar. „Neu war hierbei, dass Pilger neben sterblichen Überresten auch Orte besuchten, an denen heilige Männer gewirkt hatten und verehrt worden waren.“

Ringvorlesung „Heilige Orte“

Plakat der Ringvorlesung

Plakat der Ringvorlesung

© Klearchos Kapoutsis

Prof. Grünbart leitet am Exzellenzcluster das Forschungsprojekt B2-8 Moses und David: Ambige Typologien für Patriarchen und Kaiser in Byzanz. In der Ringvorlesung „Heilige Orte“ untersuchen namhafte Forscher im Wintersemester die historischen Ursprünge und Wandlungen religiöser Stätten wie Delphi, Jerusalem, Medina, Rom und Byzanz. Die Reihe geht auch den politischen und wirtschaftlichen Interessen sowie den Erinnerungskulturen nach, die sich mit den antiken Orten bis heute verbinden. Heilige Stätten entstanden oft an markanten Stellen in der Natur, an Quellen, auf Bergen oder in der Wüste. Religiöse Gemeinschaften verknüpften damit mythische Erzählungen und magische Rituale. Die Vorträge, die auch den Totenkult der Pharaonen, entlegene Orten von Mönchen und Einsiedlern und die ältesten Heiligtümer der Menschheit wie das Bergheiligtum Göbekli Tepe behandeln, eröffnen verschiedene Perspektiven auf die Religionsgeschichte der Menschheit. Zu Wort kommen Vertreter unterschiedlicher Fächer wie der Altorientalistik, Ur- und Frühgeschichte, Ägyptologie, Alten Geschichte, Klassischen Archäologie und Philologie, Bibelwissenschaften und Byzantinistik sowie Religions- und Islamwissenschaften.

Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 14. Januar hält Byzantinist Prof. Dr. Georgios Makris aus Münster zum Thema „Byzanz – Konstantinopel – Istanbul“. (han/vvm)

Wintersemester 2013/2014
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster