„Bin Ladens Tod spielt keine große Rolle“

Islamwissenschaftler Schöller sieht im Westen falsche Dschihad-Vorstellungen

Pm-dschihadismus

Prof. Dr. Marco Schöller

Der Tod von Osama bin Laden wird auf die Ideologie islamistischer Terroristen laut dem Münsteraner Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller keinen nennenswerten Einfluss haben. „Möglicherweise werden Dschihadisten Bin Ladens Person nun wieder etwas in den Vordergrund rücken, nachdem er deutlich an Bedeutung verloren hatte. Doch auch wenn sie künftige Anschläge als Racheakt für seinen Tod verkaufen sollten, darf man nicht davon ausgehen, dass es den Anschlag sonst nicht gegeben hätte“, sagte der Forscher vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ am Dienstagabend in Münster. „Die Extremisten hätten dieselbe Gewalt sonst schlichtweg anders begründet“, so die Einschätzung des Experten. Daher seien für Aktivitäten der Extremisten keine großen Veränderungen zu erwarten, erläuterte er in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters.

Button Hoerfunk Service

Ton-Mitschnitt des Vortrags

Der Islamwissenschaftler warnte den Westen zugleich vor falschen Dschihad-Vorstellungen: „Der Dschihad ist nicht immer ein brutaler Kampf oder ein ‚heiliger Krieg des Islam‘, auch wenn er in der westlichen Wahrnehmung meist mit gewaltsamen Terroranschlägen verbunden wird.“ Unter Muslimen sei höchst umstritten, was Dschihad genau bedeute, sagte Prof. Marco Schöller. Er analysierte dazu zahlreiche Textstellen aus Koran, Hadithen und deren historische Textauslegungen. „Der extremistische Dschihadismus ist in der islamischen Welt nur eine absolute Minderheitenmeinung.“ Die einseitige Wahrnehmung des Begriffs Dschihads im Westen vergifte nicht selten die öffentliche Debatte über den Islam, so der Experte. „Es ist unzweifelhaft, dass die Vorstellung vom Dschihad als Krieg eine Rolle in der islamischen Geschichte spielt. Sie ist aber weder so dominant noch so aggressiv, wie ihn westliche Beobachter gerne ausmalen.“

Im Koran findet sich nach den Worten des Wissenschaftlers keine Stelle, an der der Dschihad explizit einen bewaffneten Kampf bezeichnet; erst in manchen Übersetzungen und Auslegungen von Koran und Hadithen sei diese Lesart erstarkt, sagte der Forscher. Häufig habe der Begriff Dschihad im Islam sogar eine positive Bedeutung. „Für die meisten Muslime geht es dabei nicht um Gewalt und Krieg, sondern ausschließlich um einen inneren Kampf gegen die negativen Regungen der eigenen Seele, also einen Kampf um eine aufrechte Lebensführung.“ Manche Gruppen verstünden den Dschihad auch als Einsatz für politische Veränderungen. Manche Mitglieder von Frauenrechtsbewegungen in islamischen Ländern sprächen etwa von einem „Dschihad der Frauen“ und meinten damit die Anstrengungen zur Durchsetzung ihrer Rechte.

Kampf bleibt „eine Option“

Der Islamwissenschaftler betonte, es gebe nicht „den einen Dschihad“. Die islamische Tradition liefere zwar zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen Dschihad, der auch Gewalt, Kampf und Krieg umfasse. „Gegen wen, mit welchen Mittel oder wozu der Kampf geführt werden darf, ist aber eine offene Frage.“ Zudem bleibe der Kampf „eine Option“. Wann und wo diese aktualisiert wird, hängt laut dem Islamwissenschaftler von den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umständen ab. „Für diese Umstände sind wir alle verantwortlich, Muslime und Nicht-Muslime gemeinsam.“

Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller leitet am Exzellenzcluster das Projekt „Islamische Dschihâd-Konzeptionen in Vergangenheit und Gegenwart“. In der Ringvorlesung „Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“ sprechen Vertreter unterschiedlicher Disziplinen wie Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler. Die öffentlichen Vorträge mit anschließender Diskussion finden dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 statt. Die Reihe ist Teil der „Dialoge zum Frieden“, für die der Exzellenzcluster in der „Allianz für Wissenschaft“ mit der Stadt Münster kooperiert.

In der nächsten Woche spricht der katholische Theologe Dr. Thomas Lentes vom Exzellenzcluster zum Thema „Mit unsichtbaren Waffen gegen die sichtbaren Feinde. Krieg und Liturgie im Mittelalter“. Er forscht im Cluster-Projekt D8 „Bilder der Wunde / Die Wunde als Bild. Passionsimaginationen im vormodernen Christentum und in der bildenden Kunst der Moderne“. (han/vvm)