„Eine zu einheitliche Vorstellung des Westens“

Arabist Bauer diskutiert mit dem Theologen Friedrich Wilhelm Graf über Ambiguitätstoleranz

News-diskussion-bauer-graf

Prof. Dr. Thomas Bauer (l.) und Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf in der Diskussion

Arabist Prof. Dr. Thomas Bauer vom Exzellenzcluster hat in Berlin mit dem evangelischen Theologen Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf über Ambiguitätstoleranz im Islam und in westlichen Kulturen diskutiert. Bei der Debatte im Wissenschaftskolleg zu Berlin erörterten sie Thesen des Buches „Die Kultur der Ambiguität“ von Prof. Bauer. Er kommt in dem Werk aus dem Verlag der Weltreligionen zu dem Ergebnis, dass der Islam aufgrund einer hohen Ambiguitätstoleranz über Jahrhunderte viel toleranter gegenüber unterschiedlichen Werten und Wahrheitsansprüchen war, als der Westen meint. Prof. Graf warnte vor einer zu einheitlichen Vorstellung „des Westens“. Alle heiligen Schriften – auch die Bibel – seien reich an Widersprüchen. Bei der vielfältigen Auslegung der heiligen Bücher handele es sich also nicht um ein rein islamisches Phänomen.

Button Video

Video-Mitschnitt des Vortrags und der Diskussion

Arabist Bauer betonte, im modernen Westen werde gerade bei solchen Themen die eigene Toleranz gefeiert, bei denen es eine besonders intolerante Vergangenheit gebe. Dies treffe auch auf den Prozess der Demokratisierung und sexuellen Liberalisierung zu.

In dem Buch, das die Süddeutsche Zeitung als „bahnbrechenden Großessay“ bezeichnete, beleuchtet der Islamwissenschaftler rund eintausend Jahre arabisch-islamischer Kulturgeschichte – von Religion, Recht und Politik über Literatur und Kunst bis zum Umgang mit Sexualität und Minderheiten. In einer „Kultur der Ambiguität“, der Mehrdeutigkeit, ließen arabisch-islamische Gesellschaften Normen, die einander widerstreiten, nebeneinander stehen, so der Experte.

News-diskussion-bauer-graf2

Zuhörer im Wissenschaftskolleg zu Berlin

Zu der Werkvorstellung im Wissenschaftskolleg hatte der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster gemeinsam mit dem Wissenschaftskolleg und dem Verlag der Weltreligionen eingeladen. Im Wissenschaftskolleg hatten Prof. Bauer und Prof. Graf im Akademischen Jahr 2006/2007 als Fellows geforscht und sich über das Konzept der Ambiguitätstoleranz ausgetauscht. Prof. Bauer übertrug es erstmals auf die Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Er leitet am Exzellenzcluster das Projekt A2 „Die Kultur der Ambiguität: Eine andere Geschichte des Islams“. (han/vvm)