Als der Bischof noch eine Geliebte hatte

Amerikanischer Experte Prof. Dr. David M. Luebke über die Geschichte des Münsterlandes

Interview David Luebke
Prof. Dr. David M. Luebke

Ausgerechnet ein Wissenschaftler aus den USA weiß, wie der Alltag der Menschen im Münsterland vor 400 Jahren aussah: David M. Luebke, Professor für Geschichte an der University of Oregon in Eugene, erforscht das Zusammenleben verschiedener Konfessionen in der Frühen Neuzeit. Der Forscher, der bis Ende Juli zu Gast im Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist, hat vor allem Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen im Blick.

Luebke kann viele anschauliche Geschichten aus Städten wie Ahlen, Beckum, Bocholt, Borken, Coesfeld, Dülmen, Haltern, Rheine, Telgte, Vreden, Warendorf und Werne erzählen. Das Zentrum für Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters hat den 49-Jährigen zum Zusammenleben der Konfessionen im 16. Jahrhundert befragt und vermittelt auf Anfrage gern weitere Interviews mit ihm.

Herr Professor Luebke, wie kommt ein Professor aus Oregon dazu, die Geschichte westfälischer Kleinstädte zu erforschen?

Vielleicht spielt es eine Rolle, dass meine Vorfahren aus Deutschland stammen. Meine Onkel und Tanten haben noch Deutsch gesprochen. Entscheidend ist aber, dass ich als Jugendlicher ein Jahr mit meinen Eltern in Stuttgart gelebt, Deutsch gelernt und mich in dieses Land verliebt habe. Diese kleinen Dörfer, diese schönen Kirchtürme – herrlich!

In Münster sind Sie schon zum fünften Mal – haben sie sich erneut verliebt?

Naja, in meinem Alter geht das nicht mehr so schnell wie als Teenager. Aber Münster ist trotzdem großartig. In Oregon gibt es nur wenige Wissenschaftler, die zur deutschen Geschichte der Frühen Neuzeit forschen. Hier bin ich umgeben von Leuten, die ähnliche Dinge machen wie ich und ähnliche theoretische Ansätze haben. Münster ist mein intellektuelles Zuhause.

Sie kommen gerade aus dem Staatsarchiv am Bohlweg in Münster. Was haben Sie dort gelesen?

Ich habe den Briefwechsel zwischen dem Dekan des Münsteraner Damenstifts Überwasser und einem Prokurator am Hofgericht namens Dietrich Seveker aus dem Jahr 1579 gelesen. Seveker war todkrank, und der Dekan wollte ihm die katholischen Sterbesakramente spenden – das heißt, Kommunion in einer Form, also kein Sakramentswein. Aber der Prokurator lehnte das ab. Er wollte beide Formen haben oder gar nichts.

Wissen Sie, wie die Geschichte ausging?

Ja, der Dekan weigerte sich, Seveker auf dem Friedhof in geweihter Erde zu bestatten. Daraufhin kam es vor dem Rathaus zu Tumulten der Angehörigen und Mitgliedern der Pfarrgemeinde. Am Ende wurde er von der eigenen Familie auf dem Kirchhof Überwasser beerdigt.

Was lässt sich an diesem Beispiel zeigen?

Seveker und seine Familie waren Protestanten. Aber sie betrachteten sich nach wie vor als Mitglieder der Pfarrgemeinde. Die Grenzen zwischen den Konfessionen waren damals nicht so starr, wie heute oft angenommen wird. Bis ins 17. Jahrhundert beerdigten katholische Priester auch Protestanten; und protestantische Pfarrer tauften Katholiken.

Waren denn zumindest die Priester am Ende des 16. Jahrhunderts „gut katholisch“?

Ich würde sagen, sie waren auf alte Weise katholisch. Das bedeutete, dass Priester im Zölibat die absolute Ausnahme waren. Die meisten lebten mit einer Frau zusammen und hatten Kinder.

Hat der Bischof gar nichts dagegen unternommen?

Der hatte selbst eine Geliebte und besaß daher in solchen Dingen wenig Autorität. Das änderte sich erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts mit Fürstbischöfen wie Ferdinand von Bayern und Christoph Bernhard von Galen. Sie sorgten, im Sinne des Konzils von Trient, für mehr Sittenstrenge und eine klare Trennung von allem Protestantischen.

Diese Abgrenzung zwischen den Konfessionen ging also nicht von den einfachen Gläubigen aus?

Am Anfang sind sie mit den unterschiedlichen Konfessionen oft ganz pragmatisch umgegangen. Protestanten und Katholiken zogen oft an einem Strang, wenn es darum ging, die Rechte ihrer Stadt gegen den Fürstbischof zu verteidigen. Wer an bestimmten Riten teilnahm, stimmte damit noch lange nicht einer ganzen Glaubenslehre zu. Vielleicht lässt sich daraus ja heute einiges für den Umgang mit unterschiedlichen Religionen lernen. (arn)