Bericht Romexkursion 2015
Rom kann mit Recht als Zentrum des abendländischen Christentums bezeichnet werden. Von Beginn an erhob Rom den Anspruch, Fels der Kirche zu sein, durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte war Rom immer wieder anstößiger Schauplatz epochaler Konflikte und faszinierender Sehnsuchtsort großer Theologen. Am Anspruch Roms auf Leitung der Kirche entzündeten sich die mittelalterlichen und neuzeitlichen Kirchenspaltungen. Ergo: Jeder ernsthaft protestantische Theologe muss nach Rom reisen und sich selbst ein Bild machen!
Unter diesem Eindruck fand vom 1. bis 9. September 2015 unter der Leitung von Martha Nooke (Seminar für Kirchengeschichte II) eine kirchengeschichtliche Exkursion nach Rom statt. Unter dem Motto „Roma – caput mundi et mater ecclesiae“ besuchte eine Gruppe von 16 Studierenden der Evangelischen Theologie tiefprägende Stätten der Kirchengeschichte, besichtigte eine Fülle atemberaubender Kirchenbauten, traf auf einflussreiche und besonnene ökumenische Gesprächspartner und widmete sich nicht zuletzt dem Genuss des lauten römischen Lebens.
Am Dienstag (1. September 2015) war nach individueller Anreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion erster Treffpunkt das gemeinsame Abendessen im Konvikt der Theologischen Fakultät der Waldenser an der Piazza Cavour, wo die Gruppe fußläufig zu Vatikan und historischem Zentrum herzliche Unterkunft und typisch römische Verpflegung erhielt. Am Abend stand ein ausgedehnter Stadtspaziergang durchs nächtliche Rom an. Auf Luthers Spuren näherten wir uns der Stadt (Porta Flaminia, Piazza del Populo) und entdeckten erste stadtplanerische Eingriffe (barocker Stadtumbau, Klassizismus). Anschließend erklommen wir die Pincio-Terrasse mit der schönsten Aussicht der Welt (so jedenfalls einhellige Meinung der Römer), spazierten oberhalb der Stadt an der Villa Borghese entlang und stiegen die Spanische Treppe herab ins touristische Getümmel, weiter zur Fontana di Trevi (leider in Renovierung) und rauf auf den Quirinal. Vorbei an Marc-Aurel-Säule, Palazzo Chigi und Palazzo Montecitorio steuerten wir die wohl berühmteste Gelateria Giolitti an. Gestärkt ging es weiter zum Pantheon und zur Piazza Navona mit ihrem nächtlichen Treiben, bevor alle müde und geschafft in den ersten lauten römischen Nachtschlaf fielen.
Am Mittwoch (2. September) besuchten wir den Monumentalkomplex Sant’Agnese an der Via Nomentana mit den Katakomben aus dem 3./4. Jh., dem Mausoleum für die Konstantinstochter (Santa Constanza), den Ruinen der konstantinischen Umgangsbasilika und der frühmittelalterlichen Basilika für die Hl. Agnes als Memorialkirche. Am Nachmittag begaben wir uns auf den zweiten Stadtspaziergang Richtung Trastevere und besichtigten die Piazza Navona mit Berninis Vier-Ströme-Brunnen und Sant’Agnese in Agone, das deutsche Priesterkolleg Santa Maria dell’Anima, das großartige Pantheon, das für Luther zum Symbol der römischem Kirche wurde, sowie die Jesuitenkirche Il Gesú, die zum Archetypus des längsgerichteten Vierungskuppelbaus im Barock wurde und mit ihrer eindrucksvollen Dekoration die Grenze zwischen Fresken und Plastik aufhebt. Vorbei am Campo de’ fiori mit dem Denkmal für Giordano Bruno ging es zum Palazzo Farnese, dem Höhepunkt weltlicher Renaissancearchitektur in Rom und Luther entsetzenden Ausdruck papaler Selbstinszenierung. Am anderen Tiberufer lockte bereits der verdiente und opulente Aperitivo auf den Mauern von Freni e Frizioni. Anschließend besuchten wir das Abendgebet der ökumenischen Gemeinschaft Sant’Egidio in Santa Maria in Trastevere, der ersten römischen Marienkirche. Unter dem höchst eindrucksvollen hochmittelalterlichen Apsismosaik, der ersten Darstellung des thronenden Christus mit Maria als Braut Christi, erlebten wir Gebetsgemeinschaft und Gesprächseinladung der Basisbewegung.
Am Donnerstag (3. September) besichtigten wir die ersten beiden der vier Patriarchalbasiliken Roms. Die Lateranbasilika (San Giovanni in Laterano) bildet den Anfangspunkt einsetzender kaiserlicher Kirchenbaupolitik und richtungsweisende Gestalt für die Idee des christlichen Kirchenbaus und ist bis heute Sitz des römischen Bischofs. Anhand des Apsismosaiks entdeckten wir stilbildende Elemente der römischen Mosaikdekoration und erkannten im angegliederten Baptisterium, der vermeintlichen Taufkirche Konstantins, den Zusammenhang von Raumkonzept und liturgischer Gestaltung der frühchristlichen Tauffeier.
Eindrucksvolles Zeugnis des Konflikts zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter ist ein berühmter Bilderzyklus aus der Zeit des Investiturstreits, den wir in der nahegelegenen Silvesterkapelle von Santi Quattro Coronati anschauten. Hier verdichtet sich kirchlicher Machtanspruch in der Darstellung der Legende von Heilung und Taufe Konstantins durch Papst Silvester sowie konstantinischer Schenkung und Stratordienst.
Vorbei an Colosseum und Konstantinsbogen ging es dann vor die Mauern Roms nach San Paolo fuori le Mura, wo wir durch Kirche, Kloster und Ausgrabungen geführt wurden. Bis zum Neubau des Petersdoms war sie als Memorialkirche über dem vermuteten Paulusgrab die größte Kirche Roms und vermittelt bis heute einen authentischen Raumeindruck.
Der Freitag (4. September) war der Besichtigung des Vatikans und des Petersdoms gewidmet. Im Schatten der Kolonnaden von Berninis Petersplatz verständigten wir uns zunächst über den konstantinischen Memorialbau (Alt-St. Peter) und die Baugeschichte der Peterskirche. Von Kuppel hatten wir grandiosen Einblick in die vatikanischen Gärten mit ihren politischen, geistlichen und profanen Einrichtungen. Die Hauptkirche des neuzeitlichen Katholizismus mit Michelangelos einnehmender Kuppel und den berühmten Kunstwerken im Innenraum (Berninis Baldachin, Michelangelos Pietà, Grabmäler für verstorbene Päpste) beeindruckte in ihren Dimensionen, Petrusverehrung, Berührungssitten und makabre Schaufrömmigkeit riefen freilich protestantische Befremdung hervor. Der Besuch der Ausgrabungen unter dem Petersdom (Scavi) ermöglichte den Blick in die antike Gräberstraße sowie den Durchblick durch die Baugeschichte am Vatikan und nährte das Verständnis für die Verehrung des Petrusgrabes an dieser Stelle.
Beschlossen wurde der Tag mit der Besichtigung der Engelsburg, der Zufluchtsburg der Päpste beim Sacco di Roma und Schauplatz der Propaganda lutherischer Landsknechte in Rom („vivat Lutherus Pontifex!“). Beim aussichtsreichen Aperitivo im Umgang der Engelsburg ließ es sich gut in den Abend übergehen.
Mit der Besichtigung von Santa Maria Maggiore am Samstag (5. September) hatten wir die vier Hauptkirchen beisammen. Der Bau gilt als frühestes Zeugnis der zunehmenden Marienverehrung nach dem Konzil von Ephesus 431 und löst diesen Ruf im Bildprogramm voll ein. Die einzigartige frühchristliche (5. Jh.) und hochmittelalterliche (13. Jh.) Mosaikdekoration in Langhaus, Triumphbogen und Apsis stellt den Höhepunkt römischer Mosaikkunst vor dem Niedergang Roms im Spätmittelalter dar. Das Apsismosaik mit der herrlichen Darstellung der Krönung Mariens symbolisiert die Vermählung Christi mit seiner Kirche. Maria ist hier nicht mehr nur Gottesmutter, sondern fungiert als Braut Christi und damit als typus ecclesiae.
Am Nachmittag ging es hinauf auf den Aventin zu Santa Sabina mit ihrer reinen basilikalen Bauform und der ältesten Kreuzigungsdarstellung aus dem 5. Jh. Nach einem kulinarisch und atmosphärisch kaum zu übertreffenden Aperitivo auf der Aussichtsterrasse des Aventin und dem obligatorischen Blick durchs Schlüsselloch der Malteser trafen wir in Sant’Anselmo auf P. Methodius Völkel OSB. Der Sekretär des Abtprimas der Benediktiner führte uns herzlich einladend durch die Hochschule der Benediktiner und gewährte erfrischenden Einblick in die Arbeit der Kurie des Abtprimas, des höchsten Repräsentanten des Benediktiner-Ordens.
Zum Sonntagsgottesdienst (6. September) besuchten wir die Evangelisch-Lutherische Christuskirche, die Kirche der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom. Beim anschließenden Gespräch mit Pfr. Dr. Jens-Martin Kruse lernten wir die bewegte Geschichte der Gemeinde und das evangelische Leben in Rom kennen und erhielten von dem Repräsentanten des Luthertums vor Ort in Rom eindrucksvoll Einblick in die Entwicklungen der ökumenischen Zusammenarbeit in den Pontifikaten von Benedikt und Franziskus.
Der Montag (7. September) stand unter der Überschrift Ökumene und Kunstschaffen im Vatikan. Am Vormittag besuchten wir den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und wurden von Msgr. Dr. Matthias Türk, dem zuständigen Mitarbeiter für den Kontakt zu den Lutheranern, über die Arbeit des Dikasteriums und aktuelle Entwicklungen der ökumenischen Zusammenarbeit aus kurialer Sicht unterrichtet. In der anschließenden Diskussion ließ sich erahnen, dass Ökumenearbeit aus lehramtlicher römischer Sicht nicht immer reibungslos mit protestantischer Theologie und Wirklichkeit zu verbinden ist.
Am Nachmittag besuchten wir in einem ausführlichen Rundgang die Vatikanischen Museen, die päpstlichen Kunstsammlungen mit ihren atemberaubenden Fresken in den Papstgemächern (Raffael-Stanzen) und mit der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle durch Michelangelo. Nach einigem Suchen entdeckten wir auch das Luther-Graffito, das Söldner beim Sacco di Roma in das Raffael-Bild der Disputation über das Allerheiligste Sakrament einritzten und Luther damit einen bleibenden Platz in den päpstlichen Mauern sicherte.
Am Dienstag (8. September) besichtigen wir Santo Stefano Rotondo auf dem Celio, den letzten Großbau der Antike und ungewöhnlichen Rundbau mit einem scheußlichen Freskenzyklus aus dem 16. Jh., und als krönenden Schlusspunkt die beeindruckende Basilika von San Clemente. Ausgrabungen haben unter der mittelalterlichen Oberkirche aus der Zeit des Investiturstreits eine frühchristliche Unterkirche mit einzigartigen Fresken aus dem 8. Jh. sowie ein darunter liegendes antikes Mithräum aus dem 2. Jh. freigelegt. Das unkonventionelle Apsismosaik der Oberkirche von San Clemente mit dem Kreuz als Lebensbaum und mit einer Deesis-Darstellung stellt ein riesiges Kreuzesreliquiar dar und veranschaulicht exemplarisch mittelalterliche Reliquienverehrung und Frömmigkeit. Damit waren wir wieder im Mittelalter angekommen, in jenem Rom, wie es sich Luther damals darstellte und wie es ihn in späteren Jahren entsetzlich erzürnte.
Sich der blendenden Schönheit der Kunst und Stadt und den ästhetisch-rührenden Bildprogrammen und Raumkonzepten in protestantischer Borstigkeit zu widersetzen, käme schlichtem Verrat an unserer Kirchen- und Kunstgeschichte gleich. – Sich stets seiner eigenen theologischen Prämissen und Überzeugungen zu versichern und diese kritisch abzuklopfen, bleibt Aufgabe jedes augefklärten protestantischen Romreisenden. – Ergo: Rom ist immer eine Reise wert!
Herzlicher Dank gebührt den Förderern und Unterstützern der Exkursionsreise:
Die Evangelisch-Theologische Fakultät der WWU Münster leistete großzügige finanzielle sowie personelle Unterstützung und ermöglichte damit ein äußerst profiliertes Programm zu studierendenfreundlichen Preisen. Für die Ermöglichung dieser Studienreise sei der Fakultät und dem Seminar für Kirchengeschichte II herzlich gedankt!
Ebenso herzlich sei den evangelischen Landeskirchen gedankt, die ihren Theologiestudierenden durch nennenswerte Zuschüsse zu den Exkursionskosten eine theologische Tiefenschärfung und ökumenische Profilierung ermöglichten, die so kein Seminar leisten kann.
Ein DAAD-Promos-Stipendium verringerte die finanzielle Belastung der Studierenden weiter erheblich und eröffnete neue kulturelle Perspektiven.
Allen Genannten und zahlreichen ungenannten Unterstützern, bereitwilligen Informationsgebern und erfahren Romreisenden, die ihren je eigentümlichen Beitrag zum inhaltlichen Programm leisteten, sei herzlich gedankt!
Martha Nooke (Oktober 2015)