

P.Kellis Copt. II 102
ϯϣⲓⲛⲉ ⲁⲣⲱⲧⲛ ⲧⲟⲛⲟⲩ
ⲛⲓⲕⲟⲩⲓ̈ ϣⲓⲛⲉ ⲁⲣⲱⲧⲛ
ⲧⲟⲛⲟⲩ · ⲛⲧⲁⲣⲉ ⲡⲁⲙⲟⲩⲛ ϭⲉ
ⲉⲓ ϣⲁⲣⲉⲓ̈ · ⲁϥⲧⲉⲟⲩⲉ ⲡⲉⲥⲉϫⲉ
5 ⲛⲏⲓ̈ ⲉⲧϩⲁϩⲁⲃϥ ⲙⲙⲁϥ · ⲙⲡϥ-
ⲣⲁⲩⲉ ⲛϩⲱⲃ · ⲛⲥⲁ ϩⲓⲣⲟⲩϩⲉ
ⲙⲡ[ϩ]ⲟⲟⲩ ⲉⲧⲙⲙⲉⲩ ⲉⲧⲁϥⲉⲓ ⲁϥ-
ϫⲟⲥ ⲛⲏⲓ̈ · ⲡⲁϫⲉⲓ̈ ϫⲉ ⲟⲩⲱ ⲛⲓⲙ
ⲙⲁ[ⲣ]ⲓⲛⲟ ⲁⲣⲁⲕ · ⲛⲣⲉⲥⲧⲉ · ⲁϥ-
10 ⲃⲱⲕ · ⲙⲡⲓϣⲁϭⲉϥ · ⲙⲡⲓⲓ̈ⲁⲣϩϥ ·
ⲕⲁϭⲛⲧⲥ ⲁⲓ̈ϫⲁⲩ ⲛⲉⲙⲏⲧ · ⲛⲥⲁⲡ
ⲉⲓ̈ⲕⲱⲧⲉ ⲛⲥⲱϥ · ⲙⲡⲟⲩϭⲛⲧϥ ·
ⲙⲛ ϩⲱⲃ ⲛⲧⲟⲧϥ · ⲛⲛⲁⲣⲉⲙⲛ ⟨ⲛ⟩ⲡⲥⲉ-
ϫⲉ ⲣⲱ ⲛⲧⲟⲧϥ · ϫⲛ ⲙⲡⲓⲟⲩⲉ ⲥⲁⲡ ·
15 ϣⲓⲛⲉ ϩⲁⲧⲏ ⲛⲧⲉⲛⲟ · ϫⲉ ⲟⲩⲛ
ⲣⲱⲙⲉ ϣⲓⲛⲉ ⲛⲥⲉ ⲟⲩⲁⲛ ⲛ-
ⲑⲉ [ⲉ]ⲧⲙⲙⲉⲩ · ⲉϣⲱⲡⲉ ⲁⲥⲉ
ⲧⲉ[ⲥ]ϩⲉⲓ̈ ⲛⲏⲓ̈ ⲙⲡⲟⲩⲱ ⲧⲉⲭⲩ ·
ϣ[ⲓⲛ]ⲉ ⲁⲛⲓ ⲛ⟨ⲛ⟩ⲗⲁⲩⲉ ⲉⲩⲥⲁⲡ ⲕⲁ-
20 ⲧⲁ [ⲛⲟ]ⲩⲣⲉⲛ ⲙⲁⲗⲓⲥⲧⲁ ⲧⲙⲟ ⲭⲁ-
ⲣⲏ[ⲥ] ⲙⲛ ⲛⲉ⟨ⲥ⟩ⲥⲱⲛⲉ ἔρρ(ωσο)
(um 90° nach links gedreht, in den Rand geschrieben)
ϩⲁⲡⲗⲱⲥ ⲥϩⲉⲓ̈ ⲛⲏⲓ̈ ⲙⲡⲟⲩⲱ ϩⲟⲥⲟⲛ ϯⲛⲛⲓⲙⲁ · ϫⲉ
ⲉⲓϣϫⲉ ⲥⲉ · ⲛⲓ̈ⲉ ϯⲧⲣⲉ ⲡⲣⲱⲙⲉ ϯⲡϩⲛⲟ · ⲧⲁⲛⲧϥ · ⲉⲓ̈ⲛⲏⲩ
(auf der Rückseite geschrieben)
ⲉϣⲱⲡⲉ ⲁⲛ ⲙⲙⲁⲛ · ⲛⲓ̈ⲉ ϯⲕⲁⲑⲏ ⲁⲃⲁⲗ
Ich grüße Euch herzlich.
Die Jungen grüßen Euch
herzlich. Nachdem nun Pamoun
5 zu mir gekommen war, hat er mir die Nachricht
übermittelt, die Du ihm aufgetragen hattest. Er hat
keine Botschaft übermittelt seit dem Abend
jenes Tages, an dem er kam. Er sprach
mit mir. Ich fragte: „Welche Nachricht?
Lass mich dich morgen sehen.“ Er
10 ging. Ich habe ihn nicht angegriffen und ich habe ihn nicht mehr gesehen.
Du wirst feststellen, dass ich zehnmal ausgesandt habe,
nach ihm zu suchen. Man fand ihn nicht.
Er hat nichts bei sich. Wartetest Du auch auf
ein Wort von ihm, seit diesem einen Mal?
15 Frage bei Dir nach und sieh zu,
dass jemand nach so
jemandem sucht. Wenn ja,
schreibst Du mir schnell eine Antwort?
Grüße jene bei den Mädchen, alle zusammen
20 namentlich, und besonders die Mutter
Charis und ihre Schwestern. Sei gegrüßt!
Kurzum, schreib mir die Nachricht, solange ich in dieser Gegend bin, denn wenn
ja, dann lasse ich den Vertreter die Abgabe leisten und bringe sie, wenn ich komme.
Wenn jedoch nicht, vertraue ich auf Dich.
Das Schreiben des Psais an Partheni
Dieser nahezu komplett erhaltene Text aus der Mitte des 4. Jh.s ist in ägyptischer Sprache der späten römischen Kaiserzeit (Koptisch) auf Papyrus geschrieben. Er stammt aus der Fundschicht 3 im Raum 9 des Gebäudes 3 in der Ortschaft Kellis der ägyptischen Dachla Oase. Das wiederverwendete Papyrusblatt misst nur etwa 10 x 4 cm und zeigt stellenweise noch Reste seiner früheren Beschriftung. Das aktuelle Schreiben richtet sich an eine Frau namens Partheni, die uns auch aus anderen koptischen Urkunden desselben Fundkomplexes bekannt ist. Dieses Schreiben war von einem Mann namens Psais verfasst worden, der einen Vermisstenfall befürchtet, den er hier zunächst im Bekanntenkreis vorsichtig abzutasten versucht, um die Parameter des Verschwindens zusammenzutragen. Wir sehen hier also einen Fall von Problemmanagement „on the ground“ vor uns, dem gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt ein offizielles Schreiben an die örtlichen Behörden folgen würde, falls der Vermisste tatsächlich unauffindbar bleiben sollte. Ein solches amtliches Dienstdokument wäre dann in der Amtssprache der römischen Kaiserzeit, d.h. auf Griechisch zu verfassen gewesen. Bei dem hier erhaltenen koptischen Schriftstück handelt es sich praktisch um die Vorstufe einer behördlichen Anzeige, und wir schauen stattdessen hinter die Kulissen einer xenokratischen Amtsführung vor Ort, dorthin, wo Privatpersonen interagieren, also Aktivitäten, die gewöhnlich unter dem Radar der römischen Amtsführung und damit offiziell undokumentiert blieben. Vermisst wird ein Mann namens Pamoun, der in einem anderen Text aus desselben Fundschicht in Zusammenhang mit Weizen- und Ölmengen genannt wird (P.Kellis Copt. I 45). Psais berichtet Partheni, wann er Pamoun zuletzt gesehen hatte und was sein letzter Wortwechsel mit ihm war. Er erkundigt sich bei Partheni, ob sie vielleicht etwas von ihm gehört hat. Offenbar scheint sich Psais schuldig zu fühlen, denn er forderte von Pamoun weitere Auskünfte für den folgenden Tag, und seither war Pamoun nicht mehr gesehen. Psais unterstreicht, dass er Pamoun nicht angegriffen hätte, was offenbar als Grund seines Verschwindens gewertet werden könnte und damit einen Streit der beiden Männer vermuten lässt. Er betont auch, dass er bereits zahlreiche Suchaktionen nach Pamoun unternehmen ließ, allesamt erfolglos. Falls auch Partheni Pamoun nicht mehr gesehen haben sollte, bittet Psais um eine Mitteilung, damit er die nötigen rechtlichen Schritte einleiten könne, hier offenbar eine bestimmte Abgabe einzufordern (Zeile 23), andernfalls, sollte Partheni mit Pamoun doch in Kontakt getreten sein, würde er ihr freie Hand lassen. Psais scheint also über gewisse öffentliche Befugnisse zu verfügen, die einzuleiten er bereit ist, und von denen er auch bereits durch die angeordneten zehn Suchaktionen nach dem verschwundenen Pamoun Gebrauch gemacht zu haben scheint. Welche Funktion Psais zum Zeitpunkt dieses Schreibens inne hatte, ist jedoch schwer zu sagen. Im Urkundenmaterial aus Kellis erscheinen viele unterschiedliche Männer dieses Namens. Möglicherweise handelte es sich jedoch um Aurelius Psais, den Sohn des Pamour, der in einer griechischen Urkunde derselben Fundschicht 3 im Raum 9 des Gebäudes 3 im Jahr 333 als Hausbesitzer und Empfänger eines größeren Baugeländes (P.Kellis 38a.b) genannt wird, das er von einem ehemaligen Magistraten (ἄρξας) der Stadt Mothis in der Dachla Oase, Aurelius Pausanias, Sohn des Valerius, als Geschenk erhalten hatte. Ein weiteres griechisches Dokument aus derselben Fundschicht weist einen Aurelius Psais 18 Jahre früher, im Jahr 315, als Schreiber einer Verkaufsurkunde über ein halbes weißes Fohlen aus (P.Kellis 34). Im Jahr 364 schließlich tritt ein Aurelius Psais, Sohn des Pamour, auch als Vermieter in Aphrodito in Erscheinung (P.Kellis 32). Hierbei handelt es sich um eine griechische Urkunde, die zwar aus demselben Gebäude 3, jedoch aus einem anderen Raum und einer anderen Fundschicht stammt. Ähnlich verhält es sich mit einer griechischen Urkunde aus dem Jahr 320, in der ein Aurelius Psais als Zeuge bei einem Hauskauf agiert (P.Kellis 37). In keinem der genannten Dokumente wird aber ein bestimmter Amtstitel erwähnt. Das koptische Schreiben des Psais an Partheni war anschließend zusammengefaltet und auf der Rückseite mit folgender Adresse versehen worden: ἀπ(όδος) Παρθενι Ψάις „Abzuliefern bei Partheni (von) Psais“. Ein großes X zwischen beiden Namen, dem der Adressatin und dem des Absenders markiert die Stelle, an der das Schreiben schließlich mit einer Schnur verschlossen wurde, und dieser Verschluss bzw. seine Position noch zur Sicherheit mit Tinte markiert worden war. Es handelte sich also um eine Nachricht, die ausdrücklich nicht von anderen gesehen bzw. gelesen werden sollte.