

Die Transkription erfolgt nach P. Sorb. III 103 (H. Cadell – W. Clarysse – K. Robic (Hrsg.), Papyrus de la Sorbonne. Band 3, Papyrologica Parisina 1 (Paris 2011)). Der Apparat erfolgt nach C. Pap. Jud. IV 598 (N. Hacham – T. Ilan (Hrsg.), Corpus Papyrorum Judaicarum. Volume 4 (Berlin 2020)) und zeigt die klassischen Schreibweisen anders geschriebener Wörter an.
Recto (Vorderseite):
(1. Hand) βασιλεῖ Πτολεμαίωι χαίρειν Θάσως Πεταθύμιος. ἀδικοῦμαι ὑπὸ Ἡρακλε̣ί̣δο̣υ̣
τῶν κατοικούντων Ἰουδαίων ἐμ Μούχει τῆς Πολέμωνος μερίδος. ὑπαρχού-
ση̣[ς] γάρ μοι μητρικῆς οἰκίας καὶ αὐλῆς ἐν τῆι προγεγραμμένηι κώμηι,
4 τῆ[ι ἡ]μέ(ραι) α̅ το̣ῦ̣ Χοιὰχ τοῦ α (ἔτους) παρα[γ]ενόμενος Ἡρακλείδης παραλαβὼν καὶ
π[λείο]νας ὧν τὰ ὀνόματα ἀγνοῶ κ[α]ὶ ̣προσαγαγὼν πλίνθον ἀνωικοδόμει τὴν
ο̣[ἰκία]ν μου. κωλυώμενος δὲ ὑπὸ [τ]ῶν π[α]ρ̣’ ἐμ̣ο̣ῦ̣ οὐ προσέσχον ἀλλὰ καὶ τὰς
[χεῖρας] αὐτοῖς προσήνεγκεν. ἐμο̣ῦ̣ δὲ ἐντυχόντος τοῖς λαοκρίταις κατὰ
8 τοῦ̣ [οἰ]κοδόμου ἔγραψαν τοῖς φυλακίται̣ς ἀποστεῖλα[ι] αὐτὸ̣ν̣ ἐ̣π̣’ αὐ̣τ̣[οὺς]
̣ω̣σ[ ̣] ̣τω̣[ ̣]α̣νηχθ̣ηι̣ διὰ τὸ̣ φθαρ̣ῆ̣ναι αὐτοὺς ὑπὸ τ[οῦ] Ἡρακλείδου.
δέομαι [οὖ]ν σου, βασιλεῦ, προσ[τ]ά̣ξαι Διοφάνει τῶι [σ]τρατηγῶι [γ]ράψαι
Δημητρίωι τῶι παρ’ αὐτοῦ ἀποστεῖλαι Ἡρακλε[ί]δη̣ν̣ ἐπ’ αὐτὸν
12 ὁμοίως καὶ τὸν οἰκοδόμον ὅπως ἐπιστροτῆς τύχωσ[ι]ν περὶ τούτων. τού-
του γὰρ γενομένου, τεύξομαι τῆς παρὰ σοῦ βοιηθείας̣. εὐτύχει
(2. Hand) Δημητρίωι· μάλιστα μὲν διάλυσ̣ο̣ν αὐτούς· εἰ̣ δ̣ὲ̣ μὴ̣, ἀ̣π̣ό̣σ̣τ̣ε̣ι̣λο̣ν
16 ὅπως ἐπὶ τοῦ καθήκοντος κριτηρίου διακριθῶσιν. (ἔτους) α̣ [Πα]νήμου ιβ̅ Χοιὰχ ζ̅
Verso (Rückseite):
Θάσως Δημητρίωι
Z. 2 ἐν 6 κωλυόμενος; προσέσχεν 12 ἐπιστροφῆς 13 βοηθείας
Die Übersetzung ist selbst angefertigt. Sie ist so nahe wie möglich am Griechischen geblieben, um auch Interessenten ohne vertiefte Griechischkenntnisse die Ausdrucksformen des Dokuments näher zu bringen. In runden Klammern stehen weitere Informationen, die die Übersetzung verständlicher machen sollen. Eckige Klammern mit Punkten zeigen wie im Leidener Klammernsystem eine Lücke im Papyrus an. Die verschiedenen Ämter wurden im Wesentlichen lediglich transkribiert und der deutschen Grammatik angepasst. Erklärungen zu den Ämtern finden sich im weiteren Verlauf des Artikels. Eine französische Übersetzung findet sich in H. Cadell – W. Clarysse – K. Robic (Hrsg.), Papyrus de la Sorbonne. Band 3, Papyrologica Parisina 1 (Paris 2011), S. 104f. Eine englische Übersetzung kann in N. Hacham – T. Ilan (Hrsg.), Corpus Papyrorum Judaicarum. Volume 4 (Berlin 2020), S. 187 eingesehen werden.
Recto (Vorderseite):
(1. Hand) An König Ptolemaios, Grüße von Thasos, Tochter des Petathymis. Mir wurde Unrecht getan von Herakleides, einem der jüdischen Katöken in Mouchis in der Polemonos Meris. Ich besitze nämlich mütterlicherseits ein Haus und einen Hof in dem vorgenannten Dorf. (4) Am 1. Choiakh des 1. Jahres kam Herakleides, mehrere Männer mitnehmend, deren Namen ich nicht kenne, und, Ziegel mitgebracht habend, mauerte mein Haus zu. Obwohl er von meinen Untergebenen (wörtl.: von denjenigen von mir) zurückgehalten wurde, kümmerte er sich nicht darum, sondern erhob auch seine Hände gegen sie. Nachdem ich vor den Laokriten gegen (8) den Baumeister geklagt hatte, schrieben diese den Phylakiten, diesen (= den Baumeister) zu ihnen (= den Laokriten) zu senden […], da diese von Herakleides bestochen wurden. Ich bitte dich also, König, Diophanes, dem Strategen, zu befehlen, Demetrios, seinem Untergebenen (wörtl.: demjenigen von ihm), zu schreiben, Herakleides zu ihm (= Diophanes, dem Strategen) zu senden, (12) gleich wie auch den Baumeister, damit sie eine Konsequenz bezüglich dieser (Dinge/Taten) erhalten. Denn wenn dies geschieht, werde ich Hilfe von dir erhalten.
Leb wohl.
(2. Hand) An Demetrios: Am liebsten versöhne diese. Wenn aber nicht, sende (sie), (16) damit sie vor dem entsprechenden Gericht gerichtet werden. Im 1. Jahr, am 12. Panemos, am 7. Choiakh.
Verso (Rückseite):
Thasos an Demetrios
Grundlegendes zur Quelle
Der vorliegende Papyrus stammt aus Ägypten vom Ende des 3. Jh. v. Chr. Circa 100 Jahre zuvor hatte Alexander der Große Ägypten erobert. Nach dessen Tod übernahm Ptolemaios, einer von Alexanders Generälen, die Herrschaft über Ägypten und begründete das ptolemäische Ägypten, das eines der so genannten Diadochenreiche war, die auf dem Boden des Alexanderreiches entstanden. Ägypten war dabei das am längsten existierende Diadochenreich und überdauerte die gesamte hellenistische Zeit. Mit einer griechisch-makedonischen Elite, die die wichtigsten Ämter in Ägypten besetzte, handelt es sich um eine Xenokratie im Sinne dieses Projektes. Zusammen mit der anschließenden römischen Herrschaft über Ägypten dauerte die allein im Teilprojekt 1 untersuchte Zeitspanne xenokratischer Herrschaft in Ägypten über mehr als 600 Jahre und bietet somit den Blick auf auch langfristige Entwicklungen xenokratischer Herrschaft in der Vormoderne.
Bis um ca. 220 v. Chr. hatten sich in Ägypten einige Verhältnisse im Verhältnis zur Zeit der Eroberung geändert. Besonders bedeutend mit Hinsicht auf diese Quelle, wie überhaupt für das Teilprojekt, ist dabei das Amt des Strategen, das in diesem Papyrus durch die Person des Diophanes prominent in Erscheinung tritt. Dieses Amt war zunächst militärischer Natur – wie der Name und die Analogie zum Strategenamt in klassischer Zeit, dessen bekanntester Vertreter der Athener Perikles war, vermuten lässt. Ungefähr 20 Jahre vor Abfassung dieses Papyrus allerdings geschah eine Wandlung des Strategenamtes: Der Stratege wurde zum (zivilen) Oberbeamten seines νομός (Nomós), der größten, nahezu das gesamte ägyptische Kernland betreffenden Untergliederung in ptolemäischer Zeit. Im Deutschen werden sie oft traditionell als ‚Gau‘ übersetzt.
Bei dem hier vorliegenden Papyrus handelt es sich um eine so genannte Enteuxis. Dies ist eine bestimmte Art der Petition, die sich dadurch auszeichnet, dass sie an den König adressiert wurde, zu dieser Zeit allerdings lediglich nominell. Tatsächlich eingereicht wurde sie Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. nämlich direkt bei dem Amt, das dem Text nach eigentlich der König beauftragen sollte: in diesem Fall also beim Strategen (vgl. Z. 10: προσ[τ]ά̣ξαι Διοφάνει τῶι [σ]τρατηγῶ („[...] Diophanes, dem Strategen, zu befehlen [...]”)).
Die Enteuxis ist Teil des so genannten Demetrios- oder Glaukos-Archives, einer Gruppe an Dokumenten vom Ende des 3. Jh. v. Chr., die in Zusammenhang mit Glaukos und/oder Demetrios stehen – zumeist Enteuxeis, die an einen von beiden weitergeleitet wurden, wie hier, aber auch Berichte oder sonstige amtliche Korrespondenz der beiden.[1]Beide übten Ämter in dem in Z. 2 genannten Dorf (griech.: κώμη (Kome)) Mouchis aus:[2] Glaukos war Phylakit, was näherungsweise mit einem Polizisten verglichen werden könnte, und Demetrios war so genannter Epistates, der Vertreter des Strategen vor Ort und somit dem Phylakit vorgesetzt.[3]
Die Abfassung der Enteuxis selbst ist nicht datiert, aber es befinden sich zwei eng beieinander liegende Daten im Text: Der Vorfall ereignete sich laut Thasos, der Absenderin, am 1. Choiakh des 1. Jahres. Beim Choiakh handelt es sich um einen Monat des ägyptischen Kalenders, das 1. Jahr ist das Regierungsjahr des aktuellen Königs, der hier zwar nicht benannt wird, der aber aufgrund anderer Datierungen von Texten des Archivs sowie aufgrund der bekannten Amtszeitdaten des Diophanes erschlossen werden kann. Nach dem julianischen Kalender entspräche dieses Datum dem 16. Januar 221 v. Chr. Die Bearbeitung der Enteuxis, also das Schreiben der Bearbeitungsnotiz und der Weiterleitung an Demetrios unter der Enteuxis (Subskription genannt), erfolgte am 7. Choiakh (= 22. Januar) des 1. Jahres. Der Stratege gibt mit dem 12. Panemos außerdem parallel noch die Datierung nach dem makedonischen Kalender an. Zwischen beiden Daten liegen nur 6 Tage, und es ist davon auszugehen, dass zwischen der nach dem Vorfall geschehenen Abfassung der Enteuxis und der Bearbeitung sogar weniger Zeit vergangen ist.
Diese Schnelligkeit bestätigt sich auch in weiteren Enteuxeis des Archivs. In einem Fall ist sogar der Bericht des Demetrios an den Strategen nach einer Weiterleitung einer solchen Enteuxis bekannt (vgl. P. Sorb. III 128 ist die Enteuxis und 129 ist der Bericht). Der Bericht ist nur 6 Tage nach der Verfassung der Subskription entstanden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Petitionen, Antworten und Entscheidungen normalerweise nicht staatlicherseits transportiert wurden. Stattdessen hatte die Person selbst dafür zu sorgen, dass Petitionen und Antworten an die entsprechenden Funktionäre gingen – wobei der Absender einer Petition in der Regel ein großes Interesse daran gehabt haben dürfte, dass sein Anliegen möglichst rasch überbracht und umgesetzt wurde.[4]
Formales
Der vorliegende Papyrus ist ein Paradebeispiel für die Enteuxeis dieser Zeit: Am Anfang steht die Adressierung an den König und der Name der Absenderin (vgl. Z. 1). Der Klageteil wird eingeleitet durch ἀδικοῦμαι (Z. 1: ‚mir wurde Unrecht getan‘) gefolgt von der Angabe der beklagten Person(en) mit ὑπὸ (Z. 1f.: ‚(mir wurde Unrecht getan) von Herakleides‘), die oft genauer identifiziert wird bzw. werden. Anschließend folgt die eigentliche Tatbeschreibung oder die Erläuterung des Problems. Nach dieser Schilderung erfolgt die Anrufung des Königs mit δέομαι οὖν σου, βασιλεῦ (vgl. Z. 10: ‚ich bitte dich also, König‘) gefolgt von einer Handlungsbitte: προστάξαι τῶι στρατηγῶι (vgl. Z. 10: ‚dem Strategen zu befehlen). Dieser ist, wie oben schon angesprochen, der eigentliche Empfänger der Enteuxis. Meistens folgt danach die Bitte, dass das Anliegen zunächst einem Beamten vor Ort bekannt gemacht wird, oft, wie auch hier, dem Epistates, wenngleich Demetrios in diesem Papyrus nicht als solcher benannt wird: [γ]ράψαι τῶι παρ’ αὐτοῦ (Z. 10f.: ‚deinem Untergebenen Demetrios zu schreiben‘). Ebenfalls typisch ist, dass der Absender möchte, dass der Beschuldigte durch den Epistates vorgeladen wird (vgl. Z. 10f.). Die Enteuxis endet mit einer Formel (vgl. Z. 12f.) und dem Abschiedsgruß εὐτύχει (Z. 14: ‚Leb wohl!‘). In diesem Fall erfolgt keine Datierung der Enteuxis.
Unterhalb der Enteuxis befinden sich zwei von einer anderen Person („2. Hand“ (Z. 15)) hinzugefügte Zeilen. Dabei handelt es sich um eine Subskription, in der der Stratege seine Entscheidung mitteilt. Auch diese ist sehr formalisiert aufgebaut. Die Enteuxis wird an Demetrios weitergeleitet, der daher in Z. 15 im Dativ erscheint. Zunächst erfolgt die Aufforderung, eine so genannte Dialysis zu erreichen, also einen Vergleich der beiden Parteien auszuhandeln (vgl. Z. 15: μάλιστα μὲν διάλυσ̣ο̣ν αὐτούς). Mithilfe eines knappen Konditionalsatzes (vgl. Z. 15: εἰ̣ δ̣ὲ̣ μὴ̣: ‚wenn aber nicht‘) erfolgt nun wie meistens als Alternative die Aufforderung, Beschuldigte und Absender vorzuladen (ἀ̣π̣ό̣σ̣τ̣ε̣ι̣λο̣ν (Z. 15)).
Auf dem Verso, also der Rückseite, befindet sich die Adressierung an Demetrios. Thasos, die Absenderin der Enteuxis, steht im Nominativ. Im Dativ steht hier Demetrios, der Adressat der Weiterleitung.
Zum Inhalt
Bei dem Streit, in den der vorliegende Papyrus Einsicht gibt, handelt es sich um ein sehr anschauliches Beispiel eines Problems, das mit der Xenokratie in Ägypten einherging, also den verschiedenen, nebeneinander lebenden Statusgruppen und Rechtstraditionen des ptolemäischen Ägyptens, in diesem Fall eine Ägypterin und ein jüdischer Katök. Herakleides wird als τῶν κατοικούντων Ἰουδαίων („einem der jüdischen Katöken“, Z. 2) bezeichnet. Katöken sind „griechische[.] Soldaten-Siedler – das Wort ‚griechisch‘ im weitesten Sinn“[5]. Diese Katöken waren Soldaten des Königs, die Landlose erhalten hatten, um Land bewirtschaften zu können, und so in ganz Ägypten verteilt waren.[6] Somit ist Herakleides Teil der nicht-ägyptischen, privilegierten Minderheit, die seit Alexander dem Großen das Land beherrschte. Thasos hatte zunächst die Laokriten angerufen. Dabei handelt es sich um ein Gericht, das nur für Fälle zwischen Ägyptern zuständig war, sodass Thasos vor diesem Gericht zwar gegen den von Herakleides bezahlten Baumeister vorgehen konnte, nicht jedoch gegen Herakleides selbst. Auch das Dikasterion, zuständig für Fälle zwischen Griechen, ebenfalls im weitesten Sinn, kam nicht in Betracht, da Thasos Ägypterin war. Als drittes Gericht gab es noch das Koinodikion, das für Fälle zwischen Ägyptern und Griechen zuständig war. Von dessen Anrufung wird im Gegensatz zu den Laokriten allerdings nichts berichtet, sodass ein argumentum ex silentio ausnahmsweise zulässig ist, dass eine solche Anrufung nicht stattgefunden hat. Offenbar erschien zumindest dieser Ägypterin eine Anrufung an den Strategen erfolgversprechender als eine (direkte) Anrufung des eigentlichen Gerichts, während sie gegen den ägyptischen Bauarbeiter zunächst vor dem ägyptischen Gericht vorgegangen war. Allerdings scheint auch bei diesem nicht alles nach den Wünschen der Absenderin gelaufen zu sein: Offenbar war Bestechung im Spiel. Leider ist an dieser Stelle der Text nicht vollständig erhalten (vgl. Z. 9), sodass die genauen Umstände heute nicht mehr ersichtlich sind. Auch dies ist ein Grund, sich an eine andere Stelle, also den Strategen, zu wenden.[7]
Dank des Archivs, in Verbindung mit weiteren überlieferten Dokumenten zu Diophanes, ist es möglich, diesen Papyrus in einem größeren Kontext zu betrachten und, zumindest zeitlich und lokal begrenzt, ein relativ breites Bild seiner (Petitions-)Tätigkeiten gewinnen. Dabei fällt auf, dass der Stratege nicht nur in diesem Fall, sondern insgesamt sehr häufig bei Streitigkeiten zwischen Ägyptern und Griechen angerufen wurde. Lewis sieht darin, unter anderem wegen der Häufigkeit an Enteuxeis, in denen eine Seite Grieche, die andere Seite Ägypter ist (20 % der von Lewis herangezogenen Papyri) „a gnawing, corrosive spirit of mutual antipathy“[8] zwischen Griechen und Ägyptern, die besonders von Gewalt und Vertragsverletzungen geprägt sei.[9] Eine solche Schlussfolgerung geben die Enteuxeis an Diophanes aber keinesfalls her. Zwar erscheinen bemerkenswert viele Streitigkeiten zwischen Griechen und Ägyptern vor dem Strategen Diophanes, aber dies ist eher ein Zeichen für den Bedeutungsverlust des für solche Fälle eigentlich zuständigen Gerichts. Entweder vertrauten die Beschwerdeführer dem (griechischen) Strategen mehr als einem gemischt griechisch-ägyptisch besetzten Gericht – sollte das Koinodikion zu dieser Zeit überhaupt noch bestanden haben – oder er erschien erreichbarer als eine gerade in Neuformierung begriffene Art des Gerichts, die sogenannten Chrematisten. Diese wurden allerdings anfänglich zentral von Alexandria ausgesandt und waren deswegen nicht permanent vor Ort.[10]
Gleichzeitig wird anhand der Anweisungen bzw. Entscheidungen, die Diophanes unter die Enteuxeis gesetzt hat, noch eine gewisse Zurückhaltung sichtbar, selbst abschließende Urteile zu fällen. Neben der nahezu immer vorkommenden Aufforderung an den örtlichen Beamten zur Dialysis (vgl. unter ‚Formales‘), verweist Diophanes, wie im vorliegenden Fall, meistens an ein Gericht weiter. Die unterschiedlichen Themenkomplexe und die manchmal abweichenden Anweisungen an den Epistates zeigen aber die grundsätzliche Freiheit des Strategen bei der Ausübung seiner Kompetenzen. Im Verlauf des 2. Jahrhunderts dann scheint der Stratege deutlich häufiger selbst Urteile gefällt zu haben. Da Diophanes quantitativ die alles überragende Evidenz zu Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. ist, bleibt aber unklar, ob Diophanes’ Vorgehen typisch für das Strategenamt seiner Zeit ist oder eher auf individuelle Präferenzen zurückzuführen ist.
Abschließend sei noch angemerkt, dass das Archiv, zu dem der hier besprochene Papyrus gehört, die erst ca. 30 Jahre zuvor angefangene Wandlung des Amtes des Strategen belegt, die unter Diophanes schon weit fortgeschritten war. In den Enteuxeis des Glaukos-Archivs erscheint Diophanes durch die Fülle an Themen, mit denen er sich in den Enteuxeis beschäftigen muss, als der Oberbeamte des Nomós. Insbesondere zeigt sich bei Diophanes, dass der Stratege zu dieser Zeit schon über den anderen Beamten seines Nomós gestanden haben muss, da er Anweisungen nicht nur an lokale Unterbeamte wie Demetrios oder Glaukos erteilte, sondern manchmal auch anderen Beamten auf Nomós-Ebene.
Deswegen zeigen sich schon in dieser Quelle allein, im Zusammenhang mit dem zugehörigen Archiv umso mehr, exemplarisch Probleme, die die ptolemäische Xenokratie in Ägypten mit sich brachte, und (teilweise) Lösungen für diese Probleme.
[1] Zum Archiv vgl. TM Arch ID 384: https://www.trismegistos.org/arch/detail.php?arch_id=384, sowie die Einführung zum Archiv in H. Cadell – W. Clarysse – K. Robic (Hrsg.), Papyrus de la Sorbonne. Band 3, Papyrologica Parisina 1 (Paris 2011), S. 88–103.
[2] Die zusätzliche Angabe „Polemonos Meris“ ist eine Unterteilung des Nomós, in dem das Dorf liegt, und lokalisiert es somit genauer. Μέρις (méris) bedeutet auf Griechisch schlicht ‚Teil‘. Die Angabe der Ebenen is also hierarchisch von der oberen zur unteren Ebene folgendermaßen sortiert: 1. der Nomós ‚Arsinoites‘, 2. Die Meris ‚(des) Polemon‘, 3. Das Dorf (griech. Kome) Mouchis).
[3] Kurze Erklärungen zu den Ämtern sind bei W. HUß, Die Verwaltung des ptolemaiischen Reichs, Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 104. Heft (München 2011) nachzulesen. Zum Epistates vgl. ebd., S. 113f., zum Phylakit vgl. ebd., S. 132–136.
[4] Vgl., mit einem anschaulichen Beispiel dazu, schon U. Wilcken (Hrsg.), Urkunden der Ptolemäerzeit. Erster Band. Papyri aus Unterägypten (Berlin 1927), S. 151.
[5] W. Huß, Die Verwaltung des ptolemaiischen Reichs, Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 104. Heft (München 2011), S. 279.
[6] Vgl. ebd., S. 279f.
[7] Wolff nahm an, dass das Koinodikion zusammen mit dem Dikasterion Ende des 3. Jahrhunderts verschwunden ist. Allgemein, nicht in Bezug auf Ägypter allein, merkt er an, dass die Beamtenjustiz wohl als attraktiver erschien, nicht zuletzt, weil sie schneller und weniger formalisiert war (vgl. H. J. Wolff, Das Justizwesen der Ptolemäer (München 1962), S. 48. 55). Zumindest in Bezug auf das Verschwinden des Dikasterions wurde Wolff durch neue Evidenz widerlegt, da Dikasterien inzwischen bis in das 2. Jahrhundert hinein nachweisbar sind (vgl. N. Grotkamp, Rechtsschutz im hellenistischen Ägypten, Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 115. Heft (München 2018), S. 25f.).
[8] N. Lewis, Greeks in Ptolemaic Egypt. Case studies in the social history of the Hellenistic world (Oxford 1986), S. 68.
[9] Vgl. ebd.
[10] Vgl. H. J. Wolff, Das Justizwesen der Ptolemäer (München 1962), S. 109f.
Niklot Lingnau