Lippstadt
© Merian, Topographia Westphaliae, Sammlung IStG

Stadtreformation Lippstadt

Stadtherr: Graf zur Lippe und Herzog von Kleve
Reformator: Gerdt Oemeken
Beginn der Reformation: 1529/30
Kirchenordnung: 1532

Im Reformationsprozess von Lippstadt musste der Stadtrat nicht – wie andernorts – überzeugt werden, sondern stand von Anfang an auf der Seite der reformationswilligen Bürgerschaft und war somit Teil der Reformation. Erst als der Rat sich wieder von ihr löste, kam es zu den typischen Verläufen.

  • Auftakt zur Reformation

    Ausgangspunkt des Reformationsverlaufs in Lippstadt war der Konvent der Augustinereremiten, der um 1529 bereits fast völlig lutherisch war; einige Mönche hatten das Kloster verlassen und geheiratet; der Konventsprior Dr. Johannes Westermann und sein Mitbruder Hermann Koiten predigten dezidiert im lutherischen Sinne. Einen weiteren Anschub gab Gerdt Oemeken, der von lutherisch gesonnenen Mitgliedern des Stadtrates Anfang 1530 als Prediger für die Marienkirche aus Lübeck geholt worden war. Der humanistisch gesonnene Herzog Johann III. von Kleve, neben dem lippischen Grafen zweiter Stadtherr von Lippstadt, forderte daraufhin den Rat auf, Oemeken aus der Stadt zu entfernen, weil er diesen seinerzeit bereits aus Büderich verwiesen habe. Zudem befahl er dem Rat, die „abtrünnigen“ Mönche zu entlassen und den alten Glauben wieder anzunehmen. Der Magistrat antwortete, die Stadt habe bereits das Wort Gottes angenommen. Die jetzt aktiven Prediger seien von ihren Oberen und Lehrern im Sinne Luthers unterrichtet worden. Doch der Herzog bestand in einem zweiten Brief darauf, dass der Rat nicht berechtigt sei, Prediger aus eigener Befugnis zu wählen und in die Pfarreien einzusetzen. Dies könne er nur mit Konsens der beiden Stadtherren. Der Rat antwortete daraufhin, dass die Lippstädter von den Augustinern die „wahre Lehre“ (veram doctrinam) erhalten haben. Daher habe man nach dem Beispiel der Urkirche (more veteris ecclesiae) Männer zur „Versorgung der Parochien“ (cura parochiarum) „ernannt“. Doch diese theologische Argumentation änderte in den Augen des Fürsten nichts an dem Rechtsbruch, auf den er zusammen mit dem Grafen zur Lippe, Simon V., erneut hinwies. Beide Fürsten forderten die Entlassung der Mönche, die Wiederherstellung des „alten Glaubens“ und die Beachtung der Rechte der Stadtherren. Erfolge dies nicht, so würden sie Ungnade zu erdulden haben. Daraufhin gab der Rat klein bei. Er erteilte Anfang 1531 ein Predigtverbot, worüber sich ein Prädikant öffentlich von der Kanzel beklagte, ihm sei das Wort Gottes verboten worden. Die Unruhe in der Stadt wuchs; der Rat wurde erstmals vom „Gemeinen Mann und Bürger“ zur Rede gestellt, doch konnte er die Menge zunächst beruhigen.

  • Bürgerversammlung und Ausschussbildung

    Als sich der Rat am Tag Petri Stuhlfeier (22. Februar 1531) zur Neuwahl im Rathaus versammelte, eskalierte die Situation. Da die reformationswilligen Bürger dem Rat nicht trauten, sollte die Wahl im Sinne der Reformation beeinflusst werden. Die Gemeinheit hatte einen Wahlausschuss aufgestellt, der einen neuen Rat und Bürgermeister wählen sollte. Dieser neue Ausschuss – die 16er – bestätigte sechs der alten Ratsherren und benannte sechs neue Mitglieder. Aufgabe der 16er war es, das Evangelium zu fördern. Damit war in Lippstadt ein Reformationsausschuss als übergeordnetes Organ installiert, das – gestützt auf den Willen der Gilden (und der Bürgerschaft) – dem Rat die Durchsetzung der Reformation zur Pflicht machte. Die Quellen der Zeit stellen diese Umwälzung des Ratsregiments mit einem Aufruhr am „vastellavende“ (Abend vor Aschermittwoch) in Zusammenhang. Die Gilden marschierten durch die Stadt, läuteten die Sturmglocke, besetzten die Tore und Mauern und rissen die Stadtschlüssel an sich. Eine Spottprozession – einzigartig für Westfalen – wurde in diesem Zusammenhang durchgeführt. Unter Schellengeläut zog die Menge durch die Stadt und führte Tierknochen („beistliker gebeente“), die Reliquien darstellen sollten, mit sich. Zwei der Teilnehmer hatten sich als Papst und Kaiser „weltlich und geistlich“ verkleidet. Zudem wird erwähnt, dass Heiligenfiguren die Nase abgeschnitten wurde, wodurch die Obrigkeit geschmäht und verhöhnt werden sollte.

  • Einrichtung des Gottesdienstes

    Gerdt Oemeken scheint von 16er-Ausschuss und Rat mit der Abfassung einer Agende, aber wohl nicht mit einer Kirchenordnung beauftragt worden zu sein. Zwar waren deutsche Gesänge und Predigten schon länger im Gebrauch, es fehlte aber die Deutsche Messe. Diese wurde erstmals am 20. August 1531, dem Sonntag nach Mariä Himmelfahrt, gefeiert. Zudem wurde den Stiftsdamen des Kanonissenstifts St. Marien verboten, in ihrer Kirche die katholische Messe zelebrieren zu lassen.

  • Verlust der städtischen Autonomie

    In der Folgezeit musste der Rat, seit Ende Dezember 1531/Januar 1532 durch eine Blockade bedroht, die städtischen Autonomierechte gegenüber den beiden Stadtherren verteidigen: Auf die Vorhaltung des Herzogs von Kleve und des Grafen Simon V. zur Lippe, in Lippstadt seien von den 16ern eigenmächtig Ratsherren eingesetzt worden, antwortete der neue Rat, die Stadt habe das alleinige Ratswahlrecht; es gebe keine Mitsprache für die Stadtherren. Diese hätten nur darauf zu achten, dass der Treueid von den gewählten Ratsherren geleistet werde. Und auf die Weisung, alle Neuerungen müssten abgestellt werden, antwortete man mit dem Verweis auf den Vorrang des Wortes Gottes: Was das Gewissen und die Seligkeit angehe, werde in Lippstadt „Gottes Wort allein regieren, denn dieses geht das Reich Christi an und nicht das Reich der Welt“. Man gebe Christus, was Gott gehöre, und unseren „gnedigen Lantfürsten“, was ihnen gebühre, so die Anlehnung an das Bibelwort.
    Daraufhin ließen sich die beiden Stadtherren auf Verhandlungen ein; die Blockade wurde aufgehoben, um einen Vergleich zu erzielen. Lippstadt lehnte den auf dem Vergleichstag in Dortmund (1. Mai 1532) erstellten Vorschlag ab, die klevische Kirchenordnung nach der humanistischen Reform einzuführen und die lutherischen Neuerungen einzustellen. Weitere Verhandlungen, die sich über zwei Jahre hinzogen und dann aufgrund der Belagerung der Täufer in Münster von Herzog und Graf unterbrochen wurden, änderten nichts an den Positionen. Daraufhin verhängte Herzog Johann erneut die Blockade der Stadt, die am 13. Juli 1535 zur Unterwerfung Lippstadts und in deren Gefolge zum zeitweiligen Autonomieverlust führten.
    Die Prädikanten, darunter auch Johann Westermann, und die Anführer des Aufstandes von 1531 wurden der Stadt verwiesen. In einem Rezess vom 24. August 1535 wurden die kirchlichen Neuerungen verboten, die überkommenen Zeremonien wieder eingeführt und die humanistische Kirchenordnung Kleves zur Grundlage des Kirchenwesens erklärt.
    Der Landesherr erlaubte, den von ihm entsandten katholischen Geistlichen, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu spenden. Die Wahl des Rates war an den Konsens der Landesherren gebunden.

  • Fortsetzung der Reformation

    Wie beim Abendmahl schon angedeutet, praktizierte der Herzog nach der formalen Unterordnung der Stadt eine milde Kirchenpolitik. Die neuen Prediger neigten allmählich wieder dem Luthertum zu; der Herzog ließ sie gewähren, bestand aber auf der Unterordnung des Rates. Dies war die Bedingung für die Huldigung des neuen Herzogs Wilhelm 1540. Hinzu kam, dass nach der Einführung der Reformation in der Grafschaft Lippe 1538 von lippischer Seite her kein Interesse mehr an einer Rekatholisierung bestand; die wenigen Klever Initiativen wurden von den Lippern nicht aufgenommen. 1542 übergaben die Augustinereremiten ihr Kloster an die Stadt mit der Auflage, dass dort eine Schule errichtet werden sollte. Spätestens 1545 war die Deutsche Messe wieder eingeführt; der Pfarrer der Marienkirche heiratete im gleichen Jahr. Am Kirchgang nahmen Rat und Bürgermeister unter dem Spiel von Pfeifen und Trommeln teil. Auch das kaiserliche Interim änderte nichts; der lutherische Graf Bernhard VIII. von Lippe bestand gegenüber der Stadt nicht auf dessen Umsetzung. Die klevischen Räte beharrten zwar auf die kaiserlichen Vorgaben, konnten aber keine geeigneten katholischen, reformorientierten Priester benennen. Der Rat verschleppte die Angelegenheit.

Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 95 – 96, 105 – 106.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/lippstadt/index.html