Herford
© Merian, Topographia Westphaliae, Sammlung IStG

Reichsstift und -stadt Herford

Stadtherr: Fürstäbtissin von Herford
Reformator: Dr. Johann Dreyer
Beginn der Reformation: 1530
Kirchenordnung: 1532/34

Herford war zur Zeit der Reformation eine reichsunmittelbare Stadt und besaß weitgehende Autonomie, war in geistigen Fragen jedoch der Reichsäbtissin vom Stift Herford unterstellt. 1547 übertrug die Äbtissin alle Hoheitsrechte des Stifts über die Stadt an Herzog Wilhelm von Kleve, 1557 gab die Stadt Herford ihre Selbstständigkeit auf, konnte aber die Privilegien behalten.

  • Frühe Verbindung nach Wittenberg

    Die Brüder des Fraterhauses der Stadt Herford kamen bereits früh mit Luther und seiner Lehre in Berühung. Die Fraterherren waren eine fromme Gemeinschaft geweihter Priester, Kleriker mit niederen Weihen und Laien, die ohne Ordensregel zusammenlebten, um sich ganz im Sinne der Devotio moderna dem Gebet und dem Studium der Schrift zu widmen. 1525 lebten in Herford zwölf Geistliche und sechs Laien.
    Die Herforder Fraterherren bejahten den Bibelbezug der Reformation. Daher rührte auch der für Westfalen frühe Kontakt mit Luther und die persönlichen Beziehungen. Der aus Speyer gebürtige Jakob Montanus, der von 1503 bis 1512 in Münster lebte und von 1512/13 bis zu seinem Tod 1534 in Herford tätig war, gehörte zu den führenden westfälischen Humanisten und pflegte enge Kontakte zu den Wittenberger Reformatoren. Doch auch schon sein Vorgänger Bartholomäus Amelen scheint 1521 an Luthers Ideen Interesse gehabt zu haben. Montanus führte einen Briefwechsel mit Luther über theologische Fragen. Der erste erhaltene Brief Luthers stammt aus dem Jahr 1523, in dem dieser die Ansicht von Montanus bestätigte, dass bei der Beichte eine Aufzählung einzelner Sünden nicht notwendig sei. Damit löste sich Montanus in Bezug auf die Buße vom katholischen Sakramentsverständnis. Der Briefwechsel setzte sich bis 1529 fort. Für die Jahre von 1527 bis 1529 sind weitere Briefe Luthers an das Fraterhaus belegt; diesmal an den Konventualen Gerhard Wilskamp, der von Luther als „reines und helles Licht in Christus“ bezeichnet wird. Montanus korrespondierte zudem von 1524 bis 1530 mit dem Nürnberger Gelehrten und Lutheraner Willibald Pirckheimer. Schon 1524 sprach Montanus in einem dieser Briefe abwertend von Anhängern des Papstes, bejahte Luthers Abendmahlsverständnis, das auch von Pirckheimer geteilt wurde, und erbat sich Anfang 1525 von seinem Briefpartner Exemplare einer Nürnberger Kirchenordnung. Im gleichen Brief betonte er, ihm drohe, da er das Wort Gottes in Herford zu verbreiten suche, Verfolgung. Damit spielte er auf die Gefangensetzung zweier Herforder Fraterherren (Heinrich Telgete und Gerhard von Santen) im Jahr 1525 durch den Paderborner Bischof Erich von Braunschweig-Grubenhagen an, der den Herfordern vorwarf, „in ungebührlicher Weise gegen die Gebräuche der heiligen Kirche geredet“ zu haben.
    Möglicherweise beförderte das Einsickern lutherischer Gedanken in die Stadtgesellschaft auch die Beschwerde des Rates der Stadt Herford bei der Fürstäbtissin vom 6. Februar 1528, dass Rat und Gemeinheit „van den geistliken in unser stadt seer beswert“ würden. Offensichtlich entstand in dieser Zeit ein Neunerausschuss, „die Klosterherren“, der die Aufsichtsrechte über die Verwaltung der Klostergüter beanspruchte.

  • "Heiliges Herford"

    Wie in Lemgo und Soest war auch in Herford der Einfluss des Stadtherrn, hier der Äbtissin des Reichsstifts Herford, eher gering. Dem Rat gehörten auch die Gildemeister an; andere Gremien gab es nicht. Die Stadt hatte als Pfarrkirchen die mit dem Stift verbundene Münsterkirche und die gleichzeitig als Pfarre dienende Kirche des Stifts St. Johann und Dionysius in der Neustadt. Pfarrkirche war zudem die Stiftskirche auf dem Berg; weitere Gottesdienste fanden in der Nicolaikirche am Markt und in der Pilgerkirche St. Jakobi statt. Für die Reformation waren zudem die Klöster der Stadt bedeutsam. Neben den Minoriten sind hier die Fraterherren und die Augustinereremiten zu nennen. Schon im Sommer 1530 kam es zu einem ersten Konflikt, als der Neustädter Vizekurat Hoyer – der eigentliche Pfarrer war der Stiftspropst – weiterhin katholisch zelebrieren wollte, obwohl ein Teil des Stifts die lutherische Predigt unterstützte. Diese Gruppe bestellte den Fraterherren Johann Blomberg mit der Predigt. Als dieser seinen Dienst am Tag Mariä Himmelfahrt antrat, kam es zu einem Tumult in der Kirche.

  • Beginn der Reformation

    Erst Ende 1530 begannen die Massenproteste. Ursache waren die Predigten des in Wittenberg ausgebildeten Schulrektors an der Münsterkirche, der im Gegensatz zum Pfarrer lutherisches Gedankengut verbreitete und auch entsprechende Lieder singen ließ. Die Äbtissin sperrte ihre Kirche für den Reformator, woraufhin der Geistliche nun vor dem Gotteshaus, auf einem Steinleuchter stehend, predigte. Auch der Augustinereremit Dr. Johann Dreyer predigte dort. Die Gilden standen hinter den beiden Predigern; als Organ der Anhänger fungierte aber nicht ein neuer Ausschuss wie andernorts, sondern der Neunerausschuss, der um ca. 1528 gegründet worden war (s.o.), um die Klöster im Hinblick auf die richtige Verwaltung ihrer Güter zu überwachen. Auch Teile des Rates waren inzwischen lutherisch gesonnen. Aus einem vom 1. Januar 1531 datierten Hilfegesuch der Fürstäbtissin an den in Bielefeld residierenden Statthalter des Herzogs von Kleve, den weltlichen Schutzherrn des Stifts, werden Elemente des Protestverlaufs ersichtlich. Man wolle ihr die Münsterkirche nehmen, denn Johann Dreyer beabsichtige, das Sakrament unter „beiderlei Gestalt, deutsche Messe und deutsche Taufe“ in der Münsterkirche abzuhalten. Die Bürgerschaft werde den „Prediger mit Gewalt in unserer Stiftskirche einsetzten“. Ein Aufruhr sei ausgebrochen. Der Rat folgte dem Drängen der Gilden und ließ am 16. April 1531 – es war der Sonntag nach Ostern – die Münsterkirche durch einen Ratsdiener öffnen. Er bestellte (rechtswidrig) Dr. Johann Dreyer als Prediger. Dieser Schwebezustand blieb bis zum Beginn des Jahres 1532, als es vor dem 7. April 1532 zum Kloster- und Bildersturm kam.

  • Kloster- und Bildersturm

    Nach einer Bürgerversammlung auf dem Alten Markt kam es 1532 in Herford zu einem Kloster- und Bildersturm. Angeführt von einem Amtsmeister der Gilde zogen die Gilden zunächst zum Minoritenkloster; die Franziskanermönche wurden vertrieben. Kelche, Monstranzen und Messgewänder des Klosters sowie weiterer Zierrat und Urkunden wurden entwendet; Gräber auf dem Kirchhof wurden zerstört. Auch Altäre und Bilder der Münsterkirche und der Neustädter Kirche wurden „zerstört und zerbrochen“. Ferner nahm man das „heilige Sakrament“ aus den Gotteshäusern. Im Anschluss wurde in den Pfarrkirchen – mit Ausnahme des Stifts auf dem Berge – die Deutsche Messe eingeführt. Die Äbtissin besaß keine Abwehrmöglichkeit gegen diesen Eingriff in ihre kirchlichen Rechte, der zudem eine Verletzung ihrer Hoheitsrechte war, denn die Münsterkirche gehörte zum Territorium des Reichsstifts.
    Die Äbtissin floh aus der Stadt, als sie den gesamten Rat zusammen mit einer Bürgerschar zur Abtei marschieren sah. Die Quellen lassen im Gegensatz zu anderen Orten eine genaue Chronologie der skizzierten Geschehnisse nicht zu. Es scheint aber so gewesen zu sein, dass Ausschussbildung und Schwureinung unterblieben, da es schon vordem ein mit Kirchendingen befasstes Bürgerorgan gegeben hatte. Zudem gab es von Anfang an eine Einheit von Rat, Bürgerschaft und Prädikanten. Ob Letztere auch hinter dem Kloster- und Bildersturm steckten, bleibt offen.

  • Einführung der Kirchenordnung und Kirchenregiment des Stadtrates

    In Herford waren nach dem Bilder- und Klostersturm Prädikanten eingesetzt und die Deutsche Messe eingeführt worden. Das genaue Verhältnis zwischen dem Rat und dem Neunerausschuss bleibt dabei unklar. Wichtig ist aber, dass Johann Dreyer und die anderen Prädikanten wohl Ende 1531 den Auftrag zur Erstellung einer Kirchenordnung erhielten, und zwar sollten sie diese zusammen mit Abgeordneten des „ehrsamen Rates“ erstellen. Auch der Neunerausschuss war involviert. Am 7. April 1532 wurde diese Ordnung auf dem Rathaus verlesen, doch stellten sich dem Rat noch Hindernisse entgegen, das in der Kirchenordnung formulierte ratsherrliche Kirchenregiment zu übernehmen. Denn wie in Soest trat nun Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg in Erscheinung. Dieser war als Inhaber der Schutzvogtei von der Äbtissin angerufen worden, gegen die Reformation einzuschreiten. Hermann Hamelmann, der Chronist der Reformation in Westfalen, berichtet, dass der Herzog anlässlich seines Besuches in Bielefeld 1534 Dreyer und die anderen Herforder Prädikanten aufforderte, vor ihm Rechenschaft über die neue Kirchenordnung abzulegen. Er sicherte ihnen freies Geleit zu. Doch die Herforder Prädikanten erschienen nicht. Demzufolge untersagte der Herzog Herford die Nutzung der neuen Kirchenordnung und befahl stattdessen, die herzogliche Kirchenordnung einzuführen. Zunächst fügte sich der Rat; eine „Veränderung“ (mutatio) der Riten wurde eingeführt, die Prädikanten aber blieben.
    Der Herzog hatte keine Zugriffsmöglichkeit auf die Stadt, was schon daran deutlich wird, dass die herzoglichen Visitatoren die Stadt im September 1533, im Zuger der Visitation der Grafschaft Ravensberg, nicht überprüften. Als der Herzog die Grafschaft verließ, wurde die Dreyer‘sche Ordnung unverzüglich wieder eingeführt. Der Rat hatte das Kirchenregiment übernommen. 1535 schloss er einen Vertrag mit der Äbtissin, in dem diese das lutherische Kirchenwesen in der Stadt unter Aufsicht des Rates anerkannte.

Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 99 – 100, 109.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/herford/index.html