Frauen in der Physik: Ein statistischer Überblick

Die Physik ist jenes Wissensgebiet, das den unbelebten Kosmos erforscht. Sie handelt von den grundlegenden Phänomenen der Natur, von der Materie und deren Eigenschaften und erklärt deren Verhalten in Raum und Zeit durch Gesetzmäßigkeiten. Erkenntnisfortschritte ergeben sich in einem langsamen, oft zähen Prozess des Spekulierens, Experimentierens, Verwerfens und Entdeckens, der so alt ist wie die Physik selbst.

Frauen haben in diesem Erkenntnisprozess immer eine wesentliche Rolle gespielt (vgl. Denz 1993). Dennoch hat sich der Frauenanteil in der Physik seit Jahrzehnten kaum verändert: Die horizontale Geschlechtersegregation ist annähernd konstant. Bis zur Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland 1990 lag der Frauenanteil in Westdeutschland im Physik-Diplom unter 10% (vgl. Mayer und Sandner 2013), während der Frauenanteil an allen Studierenden bereits bei fast 40% lag (vgl. CEWS 2015). Noch 2005 berichtet der erste Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland von der Physik als einer „Domäne der männlichen Studierenden“ (vgl. Cornelisen 2005). Aktuelle Statistiken zeigen einen Anstieg bei den Studienabschlüssen von Frauen in der Physik auf ca. 15-20% auf, während der Anteil bei allen Studierenden bereits über 50% liegt (vgl. Mayer und Sandner 2013). Dabei ist eine starke Segregation verschiedener physikalischer Fachdisziplinen zu beobachten (vgl. Nothnagel 2001). Wie schwierig die Interpretation dieser Zahlen ist, zeigt die in den letzten Jahren vermeintlich stark gestiegene Zahl von Studienanfängerinnen in der Physik auf bis zu 40% ,während ihr Anteil bei grundständigen Abschlüssen persistent bei ca. 15-20% bleibt (vgl. Bessenroth-Weberpals 2003). An der WWU Münster lag der Anteil der Studienanfängerinnen in der Physik im Wintersemester 2014/15 bspw. bei 38% (vgl. WWU Münster 2015). Die Erklärung dieser Zahlen als „Parkstudierende“ anstelle von Abbrecherinnen im zulassungsfreien Fach Physik ist heute etabliert (vgl. Bessenroth-Weberpals 2003).

Neben dieser horizontalen Geschlechtersegregation weist der Frauenanteil in der Physik, wie in anderen Fächern, eine vertikale Geschlechtersegregation auf. Der Frauenanteil sinkt in den grundständigen Abschlüssen und im Bereich der Promotionen geringfügig, jedoch bei Habilitationen (< 10%) oder Professuren (im Mittel ca. 5%) weitaus stärker (vgl. Mayer und Sandner 2013 oder Kortendiek et al. 2012). Aufgrund kleiner Professurenzahlen pro Fachbereich können statistisch schnell höhere Anteile an Professorinnen auftreten. Daher machen sich Maßnahmen zur Gleichstellung in dieser Statusgruppe deutlich bemerkbar. So lag der Anteil der Professorinnen in der Physik (incl. Juniorprofessorinnen) an der WWU Münster in den Jahren 2000-2015 im Mittel bei 25% (vgl. Denz 2011). Diese starke Geschlechtersegregation in der Physik hat Folgen. Die Sichtweise auf die Objekte der Forschung ist ebenso wie die fachkulturellen Handlungsmuster in Forschung, Lehre und akademischem Habitus männlich geprägt (vgl. Bourdieu 1997). Dies führt zu einer vielschichtigen Benachteilung von Frauen in der Physik, die sich nicht allein in numerischen Zahlen manifestiert. In den letzten 25 Jahren sind verschiedenste Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Physik initiiert worden. Die Sichtbarmachung von Vorbildern (vgl. Denz und Vogt 2005), Berufsorientierungsmaßnahmen wie der Girls‘ Day oder Projekte wie „Komm, mach MINT“ sind nur einige Beispiele hierfür. Trotz vieler Erfolge greifen diese Maßnahmen nur auf eine Dimension des Frauenmangels - die statistische Zählung - gerichteten Projekte jedoch zu kurz und sind wenig nachhaltig. Da die kritische Haltung von jungen Frauen zur Physik heute auf verschiedenen Faktoren wie mangelnden Karrierechancen, fehlender Gleichbehandlung im Fachkontext oder fehlender Work-Life-Balance beruht, sind Untersuchungen, die die Rolle der Fachkultur in der Physik berücksichtigen, dringend erforderlich (vgl. Van den Brandt 2008).