Nordic Music Politics – The German Dominance of Music in Norway 1930-45

Die Debatten, ob Musik ausschließlich ästhetischen Regeln folgen müsse oder als Kulturphänomen dem politischen Einfluss ihrer Zeit unterliege, reichen historisch weit zurück. In den Diktaturen des 20. Jahrhunderts verschärften sich diese Fragen, als die Musik sowohl zu einem bevorzugten Feld ideologischer Propaganda als auch des politischen Widerstands wurde und Musiker zugleich auf der Freiheit ihrer Kunst beharrten.

In besonderer Weise spiegelt das Musikleben Norwegens diese Entwicklungen: Über Jahrhunderte hatte sich das dortige Geistes- und Kulturleben nach Europa orientiert und bis in die 1940er Jahre gingen norwegische Musiker zur Ausbildung traditionell nach Deutschland. In Zentren des europäischen Musiklebens wie Leipzig, München und Berlin erlebten sie den Streit zwischen den Vertretern einer Autonomie oder der Politisierung von Kunst, als die nationalistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts auch die Musik erfassten.

Mit Führungsfiguren wie Bjørnstjerne Bjørnson, Ole Bull und Edvard Grieg hatte auch in Norwegen die Kunst eine wichtige politische Funktion erhalten, als im späten 19. Jahrhundert die Bestrebungen zur Unabhängigkeit vom Königreich Schweden und der Gründung eines eigenen norwegischen Nationalstaates das gesamte Land erfassten. Ein Schlüssel zum Erfolg einer eigenständigen norwegischen Musik war die Verbindung der aus Europa importierten Kunststile mit einheimischer Volkskultur, so dass populäre Melodien und Tänze mit der Kunstmusik zu neuen Ausdrucksformen verschmolzen. Dieser "nordische Ton" löste auf dem Kontinent wiederum eine Begeisterung für die exotischen Regionen am nördlichen Rand Europas und ihre Sagen, Mythen und Landschaften aus.
An der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert vollzog sich eine Transformation des Nordischen: Mit dem Aufkommen sozialdarwinistischer Rassenideologien vor allem in Deutschland, die eine germanische Urgeschichte als Blutsgemeinschaft der nordischen Völker konstruierten, wandelte sich der Begriff des "Nordischen" von einer geographisch-kulturellen Kategorie zu einer rassistisch-ideologischen Qualität. Im frühen Nationalsozialismus fand dieser nordische Germanenkult eine erste politische Heimat, während die ästhetische Moderne alle Künste erfasste.

Diesen Entwicklungen folgte die Mehrheit der norwegischen Komponisten nicht. Weder schlossen sie sich völkischen Ideologien an, noch folgten sie den Trends der modernen Musik. Fast ohne Ausnahme glaubten sie in den 1930er Jahren, einen eigenen musikalischen Nationalismus etablieren zu können, der traditionelle Mittel der Tonalität mit folkloristischen Elementen und neoklassizistischen Formen verband. Mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Norwegen am 9. April 1940 änderten sich alle bisherigen Positionen fundamental: Das Land teilte sich in eine widerständige Mehrheit, eine starke Gruppe überzeugter NS-Kollaborateure und eine weitere Gruppe, die sich gezwungenermaßen mit den neuen Lebensumständen arrangierte.

Während des folgenden Jahrzehnts verschwanden die meisten Erinnerungen an die Okkupationszeit aus den öffentlichen Debatten. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat entwickelte sich zum Erfolgsfall des "nordic model" für Europa und auch im Musikleben hatten alle Meinungsführer, die in den 1940er Jahren ihre Posten angetreten hatten, kein Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Trotz des Wissens über die politischen und wirtschaftlichen Dimensionen der deutschen Besatzung in Norwegen sind die Auswirkungen auf das Musikleben aber noch immer weitgehend unerforscht. So umfassend die norwegische Kultur zwischen 1930 und 1945 politisiert worden war (zuerst von den eigenen nationalistischen Meinungsführern, dann von der deutschen Besatzungsmacht und ihren norwegischen Getreuen), so schnell setzte mit der Befreiung Norwegens am 8. Mai 1945 die Phase einer gezielten Depolitisierung ein.

An dieser Stelle setzt das gemeinsame, deutsch-norwegische Forschungsprojekt "Nordic Music". Resistance, Persecution, Collaboration, and Reintegration in Norway’s Music Life 1930-1960 – A Systematical Reconstruction an: Mit musikwissenschaftlicher, historischer, soziologischer, ästhetischer und kunstkomparatistischer Methodenpluralität und basierend auf umfangreichen Archivrecherchen sollen die Lücken der deutsch-norwegischen Musikgeschichte zwischen 1930 und 1960 aufgearbeitet und mit dem von uns entwickelten Modell einer "Transformation des Nordischen" erklärt werden. Zum April 2017 wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft der deutsche Projektteil The German Dominance of Music in Norway 1930-45 (Projektleitung Prof. Custodis) bewilligt. In Bergen entsteht derzeit der norwegische Projektteil Transforming the Nordic: German Traditions in Norwegian Musical Life 1930-1945 and its Continuities (Ass. Prof. Dr. Arnulf Mattes).