Schlechte Karten für den Kaisermantel

WWU-Landschaftsökologen haben die Folgen des Klimawandels auf Tier- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen untersucht

Universitätszeitung 14.12.2011


Der Pegelstand des Rheins war in diesem Jahr im November auffällig niedrig – für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich", betont Privatdozent Dr. Thomas Fartmann vom Institut für Landschaftsökologie (ILÖK) der WWU. "In den ersten Herbstwochen hat es auffällig wenig geregnet. Das konnte man auch in Münster sehen, zum Beispiel am niedrigen Wasserstand im Schlossgraben. Auch wir spüren den Klimawandel."

Gemeinsam mit Prof. Norbert Hölzel, ebenfalls vom ILÖK, hat Thomas Fartmann die bislang umfassendste Studie zu den Auswirkungen des Klimawandels in Nordrhein-Westfalen (NRW) geleitet. Die Studie ordnet insgesamt mehr als 3000 Tier- und Pflanzenarten in "Verlierer" und "Gewinner" des Klimawandels ein. Dabei treffen die Forscher Vorhersagen über den Fortbestand dieser Arten. Dennoch sei mit dieser Untersuchung die Arbeit nicht getan, sagt Thomas Fartmann. "Im Bereich freilandökologischer Forschung geschieht viel zu wenig. Häufig fehlt das Geld dafür. Viele unserer Prognosen beruhen auf Vermutungen. Es gibt für viele Arten keine Daten, die wir aber für präzisere Vorhersagen bräuchten", erläutert der Landschaftsökologe.

"Tiere haben schlechte Karten, wenn sie die steigenden Temperaturen nicht vertragen."

Die Wissenschaftler sind häufig darauf angewiesen, sogenannte Modellorganismen zu untersuchen. Dabei handelt es sich um Arten, die leicht zu erforschen sind und von denen man Rückschlüsse auf andere Arten ziehen kann. Dr. Dominik Poniatowski, Nachwuchswissenschaftler am ILÖK, hat im Rahmen seiner Doktorarbeit zwei solcher Modellorganismen – zwei Laubheuschrecken-Arten – untersucht: Roesels Beißschrecke und die Kurzflügelige Beißschrecke.

Beide Arten kommen auf Kalkmagerrasen vor, einer historischen Kulturlandschaft, die mit dem Rückgang der Schafbeweidung seit Ende des 19. Jahrhunderts stark zurückgegangen ist und inzwischen europaweit unter besonderem Schutz steht.

Zwischen den beiden Arten gibt es einen entscheidenden Unterschied: "Roesels Beißschrecke ist flexibel, sie kommt auch in verschiedenen anderen Lebensräumen vor. Die Kurzflügelige Beißschrecke ist hauptsächlich an Kalkmagerrasen und an Moore gebunden", erklärt Dominik Poniatowski, dessen Dissertation an der Universität Münster jüngst als eine der besten Doktorarbeiten dieses Jahres ausgezeichnet wurde. Die Kurzflügelige Beißschrecke gehört in Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu den meisten anderen Heuschrecken zu den Verlierern des Klimawandels: "Die trocken-warmen Magerrasen werden im Laufe des Sommers noch trockener, sodass ihre empfindlichen Eier austrocknen. Die Kurzflügelige Beißschrecke wird bei uns voraussichtlich nur in Mooren und in den niederschlagsreichen Mittelgebirgen überleben." Roesels Beißschrecke vermehrt sich hingegen gut bei höheren Temperaturen. Sie ist in Europa deutlich häufiger als die Kurzflügelige Beißschrecke und breitet sich im Zuge des Klimawandels bereits seit den 1980-er Jahren in Richtung Norden aus.  

Dominik Poniatowski hat bei beiden Beißschrecken-Arten ein Phänomen unter die Lupe genommen, das auch bei weiteren Heuschrecken-Arten und bei anderen Insekten vorkommt: Es gibt neben den üblichen Exemplaren mit kurzen Flügeln auch immer wieder solche mit langen Flügeln. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem die Tiere mit langen Flügeln in entferntere Gebiete abwandern. Je dichter die Population ist, desto häufiger kommen langflügelige Tiere vor. Die Populationsdichte wiederum nimmt bei Roesels Beißschrecken besonders stark zu, wenn es im Frühjahr überdurchschnittlich warm und trocken ist. "Wir konnten einen Bezug zwischen dem Klima, der Populationsdichte und dem Wanderverhalten nachweisen. Damit haben wir eine Erklärung dafür, warum sich Roesels Beißschrecke im Zuge des Klimawandels ausbreitet", sagt Dominik Poniatowski.

Die genauen Mechanismen der Ausbreitung sind längst nicht für jede Art bekannt. "Generell kann man sagen: Arten, die in vielen Lebensräumen zurechtkommen, die von höheren Temperaturen profitieren und die zusätzlich mobil sind, gehören zu den Gewinnern des Klimawandels", erklärt Thomas Fartmann. Der Kaisermantel ist ein münstersches Beispiel: "Inzwischen sieht man diesen wärmeliebenden Schmetterling regelmäßig im Stadtgebiet – vor zehn bis 15 Jahren kam das selten vor."

Ein typischer Verlierer des Klimawandels ist die Uferschnepfe, eine Vogelart, die im West- und Nordmünsterland beheimatet ist und auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten steht. Sie benötigt Feuchtwiesen, welche zunehmend austrocknen werden. Auch für Amphibien wie den seltenen Moorfrosch sieht es schlecht aus, wenn der Grundwasserspiegel sinkt. Neben zunehmender Trockenheit gibt es laut Thomas Fartmann ein weiteres Problem: "Tiere haben schlechte Karten, wenn sie die steigenden Temperaturen nicht vertragen. Sie können sich zwar in höhere Regionen zurückziehen, wenn sie mobil sind. Bei 840 Metern ist in NRW allerdings Schluss."    

Christina Heimken