Geologie der Deutschland Tour - 2023

Geowissenschaften trifft Radsport - Erleben Sie die vielseitige und vielschichtige Geologie jeder Etappe der Deutschland Tour 2023. Freuen Sie sich auf einen abwechslungsreichen Einblick in den Radsport und die Geologie.

Prolog - 1. Etappe - 2. Etappe - 3. Etappe - 4. Etappe

Prolog

Die Deutschland Tour wird 2023 mit einem 2,2 km langen Prolog durch das Stadtzentrum von St. Wendel eröffnet. Diese saarländische Stadt hat eine abwechslungsreiche geologische Geschichte, die bis zum Perm nachverfolgt werden kann.

Die rote Farbe des umgepflügten Ackerbodens stammt von den eisenoxidhaltigen Gesteinen im Boden bei Namborn (Landkreis St. Wendel).
© Speifensender, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die Region um St. Wendel ist geprägt vom Rotliegend, einer Gesteinseinheit des Unteren Perm. Es setzt sich aus rötlichem Schluffstein und Rotsandstein zusammen. Beide Gesteine sind reich an Eisenoxidmineralien, die ihnen ihren charakteristischen Farbton verleihen. Durch den permischen Untergrund sind frischgepflügte Äcker im Stadtumfeld rot gefärbt und zeugen von der geologischen Vergangenheit St. Wendels.

Während des Perm vor etwa 300 Millionen Jahren lag Deutschland in den Subtropen des Superkontinents Pangäa. Unter den wüstenartigen Bedingungen konnten sich die Gesteine des Rotliegend bilden. Episodisch traten verheerende Regenfälle auf, in deren Folge reißende Flüsse entstanden.

Pflanzenfossilien wie Odontopteris latifrons, das zur ausgestorbenen Gruppe der Samenfarne gehört, sind typisch für das Rotliegend. Dieses Exemplar wurde in der ehemaligen Ziegeleigrube Halseband in St. Wendel gefunden.
© Kerp & Fichter 1985

Durch ihre gewaltige Kraft konnten sie Unmengen an Sediment mit sich tragen und komplexe Verzweigungen mit breiten Überschwemmungszonen bilden, was sich in den permischen Sandsteinen noch heute abzeichnet. Obwohl insgesamt sehr fossilienarm, gibt es einige schöne Funde aus dem Rotliegend, darunter Farne, Schachtelhalme und andere frühe Pflanzen, die wertvolle Einblicke in Natur und Klima des Unterperm bieten.

Trotz ihres häufigen Auftretens in der Region sind Ablagerungen des Rotliegend hier kaum als Baumaterial zu finden. Als eher weiche und poröse Gesteine wären sie dafür auch ungeeignet. Stattdessen nutzt man andere in St. Wendel vorkommende Materialien, etwa den Buntsandstein aus der Trias, der direkt über dem Rotliegend abgelagert wurde. Dieser etwas jüngere Sandstein ist witterungsresistenter und damit langlebiger als die permischen Gesteine. Er kann viele verschiedene Rottöne, Muster und Texturen besitzen und wurde aus diesem Grund für die Wendalinusbasilika genutzt, einem atemberaubenden Beispiel für spätgothische Architektur.

Für Innen- und Außenbau der Basilika wurden verschiedene Farbvarianten des Buntsandsteins genutzt.
© Lokilech, edited by ttog, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons & PeterB HOM (fc-user:1784661)

Für den Außenbau wurden sorgfältig die robustesten Sandsteine ausgewählt, während im Innenraum Exemplare mit warmen, kräftigen Rottönen eingesetzt wurden, die eine harmonische Atmosphäre erzeugen. Durch diese einzigartige Architektur stellt die Wendalinusbasilika das Wahrzeichen von St. Wendel dar und lädt seit jeher Pilger, aber auch Radfahrer und Zuschauer der Deutschland Tour, zu einem Besuch ein.

1. Etappe

Während ein spannendes Radrennen von St. Wendel nach Merzig beginnt, erwarten uns einige geologische Leckerbissen auf der ersten Etappe der Deutschland Tour. Dieser Wettkampftag verspricht nicht nur eine aufregende Herausforderung für die Radfahrer, sondern auch eine spannende Reise von feuerspuckenden Vulkanen bis hin zu felsfressenden Flüssen.

Unser Weg beginnt in St. Wendel, von wo aus wir durch die malerische Landschaft nach Freisen fahren. Entlang dieser Strecke treffen wir auf die ersten vulkanischen Gesteine der Deutschland Tour. Diese Gesteine bildeten sich aus Magma, das während hoher vulkanischer Aktivität im Perm vor etwa 280 Millionen Jahren aus dem Erdinneren aufstieg. Das Magma bahnte sich mühelos seinen Weg durch Klüfte in den Schichten des Rotliegend an die Erdoberfläche und ergoss sich immer wieder über die damals wüstenartige Landschaft. War es einmal abgekühlt, kam schon der nächste Lavastrom, sodass die Schichten aus vulkanischem Gestein immer mächtiger wurden. Heute bilden die kristallinen Überreste ein schönes Plateau mit 400 bis 600 Meter hohen Hügeln, darunter die ehemalige Vulkane.

Der Felsen der Andesit-Rose entstand vor 280 Millionen Jahren, als Vulkane das trockene Land fluteten.
© DGGV Digital Geology

Die Landschaft rund um Freisen bildet den höchsten Punkt der Etappe – die perfekte Gelegenheit, sich von den Radsportlern zu trennen und sich auf die Suche nach kleinen Edelsteinen zu machen. Die Vulkangesteine, die uns umgeben, bestehen aus einer Vielzahl an Mineralien, hauptsächlich aber aus Quarz und Achat. Auch Jaspis, Amethyst und Karneol lassen sich hier finden. Aus diesen reichen Vorkommen entstand eine für die Region sehr wichtige Edelsteinindustrie, die mehrere Jahrhunderte lang florierte. Besonders Idar-Oberstein war und ist bis heute ein Hotspot für die Verarbeitung und den Handel mit Mineralien und Schmucksteinen. Ein weiteres Highlight in Freisen ist die sogenannte „Andesit-Rose“, eine etwa 15 Meter hohe magmatische Struktur, die an eine halbierte Zwiebel erinnert. Wind und Wetter arbeiten sich entlang feiner, konzentrisch verlaufender Risse und Klüfte, wodurch diese ungewöhnliche Verwitterungsform entsteht.

Ab Freisen geht es für die Radler weiter in Richtung Bostalsee. Auf der Strecke begegnen ihnen vier verschiedene Arten von Vulkangestein: Rhyolit, Dazit, Andesit und Basalt. Der Hauptunterschied zwischen ihnen ist der Anteil an Kieselsäure (SiO2). Bei Rhyolit ist er am höchsten, bei Basalt am geringsten. Da Kieselsäure den Gesteinen eine helle Farbe gibt, ist Rhyolit auch der hellste der vier Vulkangesteine, Basalt entsprechend der dunkelste.

Der Gehalt an Kieselsäure (SiO2) nimmt von links nach rechts ab, wodurch die Gesteine dunkler werden.
© Dwain Short, Slideplayer

Am Bostalsee angekommen, bietet sich für Nicht-Sportler eine Pause an, denn der nächste Punkt, den wir uns ansehen wollen, ist bereits in Mettlach, fast am Ende der heutigen Etappe. Bis dahin steht uns eine Fahrt durch die idyllische Hügellandschaft bevor, bis wir endlich vor unserem letzten Punkt stehen: der Saarschleife.

Dieses beeindruckende geologische Wunderwerk ist eine der ikonischsten Landmarken in Deutschland und zugleich Zeugnis der geologischen Kräfte, die die Region über Jahrmillionen hinweg geformt haben. Die Saar umfließt hier praktisch in einem U-Turn eine langgestreckte Erhebung, den Burgberg, und erzeugt durch ihren ungewöhnlichen Weg eine malerische Flussschleife, die Anziehungspunkt für Besucher aus aller Welt ist.

Die Geschichte der Saarschleife beginnt mit den Sedimentgesteinen, die die Region dominieren. Zwischen Devon (vor ca. 420 Millionen Jahren) und Trias (vor ca. 250 Millionen Jahren), lagerten sich verschiedene Sedimente Schicht um Schicht ab, wurde komprimiert und von weiteren Sedimentschichten überlagert. Über hunderte Millionen Jahre lang wuchsen die Sedimentgesteine im Untergrund von Mettlach auf diese Weise. Die Saar kam erst in jüngster Zeit dazu – zumindest, wenn man einen Geologen fragt, der immer die viereinhalb Milliarden Jahre Erdgeschichte vor Augen hat. Vor etwa 23 Millionen Jahren nämlich, während des Übergangs vom Oligozän zum Miozän, floss die Ur-Saar über ein nahezu flaches Terrain, was in der Geologie als Peneplain bezeichnet wird. Die Ebene bestand aus den Gesteinsschichten der Trias und des darunterliegenden Perms (siehe gestriger Blogartikel) und lag etwa 300 Meter höher als heute. Allerdings benötigte die Saar nur ein paar Millionen Jahre, um ihr Flussbett immer tiefer in die uralten Gesteinsschichten zu graben, sodass sie im Pleistozän den Taunusquarzit aus dem Devon erreichte. Der Taunusquarzit ist hart und stark zementiert, wodurch die Saar ein zähes Hindernis im Weg hatte. Die Erosion des Gesteins verlangsamte sich, bis die Saar vermutlich eine Kluft im Fels fand, die ihr das Vorankommen erleichterte und ihr den ungewöhnlichen Weg gab, den sie bis heute fortsetzt.

Unseren Weg setzen wir noch einige Kilometer fort, bis wir schließlich in Merzig ankommen sind. Damit ist das Ziel der ersten Etappe erreicht und wir kehren in eine der vielen Gaststätten im beschaulichen Ort ein.

2. Etappe

Die zweite Etappe der Deutschland Tour startet in der Stadt Kassel, die im Herzen der Hessischen Senke liegt. Diese langgestreckte Senke befindet sich zwischen den höheren Gebirgszügen des Harzes im Norden und der Rhön und des Vogelsbergs im Süden, dem Rheinischen Schiefergebirge im Westen und dem Böhmischen Massiv im Osten.

Die Hessische Senke ist seit Millionen von Jahren eine relativ niedrig gelegene Region. Bereits im Perm vor etwa 255 Millionen Jahren bildete die Hessische Senke ein flaches Meer zwischen dem Rheinischen Schiefergebirge und dem Böhmischen Massiv. Das sogenannte Zechsteinmeer bedeckte einen erheblichen Teil des heutigen Mitteleuropas, einschließlich Teilen des heutigen Deutschlands, Polens, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs. Das Zechsteinmeer war reich an vielfältigem marinem Leben, darunter Brachiopoden, Korallen, Ammoniten und verschiedenen Fischarten. Die Sedimentationsprozesse im Zechsteinmeer führten zur Bildung von Evaporit-Ablagerungen wie Steinsalz und Kalisalz, die in der Region wirtschaftlich von großer Bedeutung sind.

Die Ausdehnung des Zechsteinmeeres vor etwa 255 Millionen Jahren (rot umrandet) mit der Position der Hessischen Senke (gelb markiert). Seitdem ist die Hessische Senke immer eine relativ niedrig gelegene Region gewesen, in der Sedimente leicht abgelagert und eher konserviert werden konnten.
© San Jose and Drdoht, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Dem Perm folgten die Trias- und Jura-Zeit, die in Deutschland durch eine Abfolge von verschiedenen Schichten sedimentären Gesteins gekennzeichnet sind, von denen jede ihre eigenen einzigartigen Eigenschaften aufweist. Die unterste Einheit ist der Buntsandstein, gekennzeichnet durch rote Sandsteine und Konglomerate, die in trockenen Wüstenumgebungen abgelagert wurden. Darüber liegt der Muschelkalk, eine kalkhaltige Formation, die reich an marinen Fossilien ist und auf das Vorhandensein eines flachen tropischen Meeres hinweist. Danach folgt der Keuper, der aus Tonsteinen, Mergeln und Sandsteinen besteht und in verschiedenen Umgebungen wie Seen, Flüssen und Küstengebieten gebildet wurde. Schließlich ist der Lias besonders bekannt für seine gut erhaltenen Ammoniten, Belemniten und andere marine, wirbellose Tiere. Diese spezielle Abfolge von Sedimentgestein (Zechstein, Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper, Lias) ist weltberühmt und wird weltweit in der Geologie gelehrt.

Eine geologische Karte und Querschnitt durch den westlichen Teil der Hessischen Senke zeigt die geologische Stufenbildung im Sauerland. Beim Erklimmen der Stufen treffen die Fahrer auf immer ältere Gesteinsschichten.
© BGR GÜK200-WMS-Dienst

Weil die Hessischen Senke im Vergleich zum Rheinischen und Böhmischen Massiv topographisch immer tiefer lag konnte diese markante Abfolge von Sedimentgesteinen in der Region abgelagert werden. Wenn wir jedoch den Querschnitt betrachten, sieht die Gesteinsabfolge nicht mehr wie eine gut geschichtete Torte aus. Mehrere geologische Falten durchschneiden die verschiedenen Schichten, wobei sich der zentrale Teil der Senke absenkt und der Rand anhebt. Das bedeutet, dass die Fahrer eine Art geologische Treppe erklimmen müssen, wenn sie von Kassel nach Bad Arolsen und Marsberg fahren. Kassel liegt auf der untersten Stufe und hat die jüngsten Schichten (Muschelkalk und Buntsandstein). Mit jederr Falte treffen die Fahrer auf etwas ältere Schichten, bis sie den Hochsauerlandkreis erreichen, wo sie auf altes Sedimentgestein aus dem Karbon und dem Devon treffen.

Die Radfahrer setzen ihre Fahrt fort und begeben sich nun auf eine Reise von Marsberg nach Brilon und Meschede. Dieser Abschnitt folgt der Achse des Briloner Sattels, einer geologischen Faltenstruktur, die durch sedimentäre Gesteine aus dem Mitteldevon bis zum Unterkarbon gekennzeichnet ist. Mit anderen Worten, die Fahrer gehen noch weiter zurück in der Zeit, etwa 375 Millionen Jahre, als Deutschland unter einem flachen Meer lag. Im Herzen dieser versunkenen Welt gedieh der Briloner Riffkomplex. Stellen Sie sich ein langgestrecktes Riff vor, das eine Lagune vor Wellen aus dem offenen Meer schützt. Für das Riff herrschten im Mitteldevon optimale Lebensbedinungen, sodass mehr als ein Kilometer mächtiger Kalkstein (Massenkalk) abgelagert wurde. Der Massenkalk entstand in einer flachen Meeresumgebung, in der karbonatproduzierende Organismen wie Korallen, Stromatoporoide, Brachiopoden, Moostierchen und Seelilien gediehen und reichlich Fossilien hinterließen. Allerdings nimmt das Wachstum des Briloner Riffs mit dem Übergang vom Mitteldevon zum Oberdevon ab. Interessanterweise erfolgte der Rückgang des Briloner Riffs etwas früher als das große Massenaussterben des Oberdevons, eines der fünf großen Massensterben der Erdgeschichte, wobei weltweit Riffsystem zusammenbrachen und ein bemerkenswertes Kapitel in der Erdgeschichte endet.

In Meschede biegen die Fahrer links ab und verabschieden sich vom Briloner Sattel. Sie gelangen zum benachbarten Sattel, der noch höher steht und älteres und härteres Gestein aus dem Unterdevon aufweist. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Widerstandsfähigkeit gegen Verwitterung und Erosion haben diese Gesteine den Test der Zeit bestanden und bestimmen nun die Topographie der Etappe, die in Winterberg ihren Höhepunkt erreicht.

3. Etappe

Während die Deutschland Tour ihre dritte Etappe erreicht, führt uns die Strecke von Arnsberg nach Essen entlang des malerischen Flusses Ruhr. Diese West-Ost-Querung durch das Herz von Nordrhein-Westfalen birgt eine bemerkenswerte geologische Geschichte, die vollständig vom Karbon geprägt ist.

Das Karbon ist das Zeitalter der Kohle mit anhaltender wirtschaftlicher und kultureller Bedeutung für Nordrhein-Westfalen. Vor etwa 325 Millionen Jahren erstreckte sich hier eine ausgedehnte Küstenebene mit Sümpfen und dichten Wäldern.
© GD NRW

Das Karbon, das vor etwa 358 bis 299 Millionen Jahren existierte, stellt ein Kapitel in der Erdgeschichte dar, das von faszinierenden geologischen und biologischen Veränderungen geprägt ist. Wenn wir uns die Position der Kontinente zu dieser Zeit ansehen, sehen wir, dass die Kontinente zu Beginn des Karbons über den Globus verteilt waren. Laurentia (heute: Nordamerika und Westeuropa) befand sich in der Nähe des Äquators, Gondwana (heute: Südamerika, Afrika, Australien, Indien und die Antarktis) lag auf der südlichen Hemisphäre und Sibirien war in den nördlichen Breitengraden positioniert. Der tropische Kontinent Laurentia war gekennzeichnet durch ausgedehnte Küstenebenen, flache Binnenseen und eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt. Das feuchte Klima von Laurentia begünstigte das Wachstum üppiger Wälder und weitläufiger Sümpfe, was die Bildung bedeutender Kohlevorkommen ermöglichte.

Im Laufe des Karbons begannen diese verschiedenen Landmassen aufgrund von tektonischen Kräften und der langsamen Drift der Kontinentalplatten zusammenzustoßen. Diese allmählichen Kontinentalkollisionen gipfelten in der Bildung des Superkontinents Pangäa. Pangäa war eine riesige Landmasse, die von Pol zu Pol reichte und miteinander verbunden war. Ihre Bildung hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Klima und die Verbreitung von Flora und Fauna. Die Verschmelzung der Kontinente führte zur Bildung massiver Gebirgszüge wie den Appalachen in Nordamerika und dem europäischen Variszischen Gebirge (z. B. Bretagne, Ardennen, Rheinisches Schiefergebirge, Vogesen, Harz) in Europa.

Paläogeografische Rekonstruktion vor 320 Millionen Jahren. Deutschland befindet sich auf einem tropischen Kontinent, voller Sümpfe und Moore.
© Kocsis & Scotese 2021

Was das Leben auf unserem Planeten betrifft, verschob sich der Schwerpunkt vom Ozean im Devon zum Kontinent im Karbon. Das Devon, an dem wir gestern auf unserem Weg durch Marsberg, Brilon, Meschede und Winterberg vorbeigefahren sind, wird oft als die Zeit der Fische bezeichnet. Das Karbon hingegen ist das Zeitalter der kohlebildenden Sümpfe, der landlebenden Amphibien und der riesigen Insekten. Diese Sümpfe beherbergten eine Vielzahl von Pflanzen, darunter Farne, Samenfarne und frühe Bäume. Als diese Pflanzen in den sumpfigen Umgebungen starben und sich ansammelten, durchliefen sie einen langsamen Prozess der Zersetzung und Einbettung. Über Millionen von Jahren verwandelten der intensive Druck und die Hitze diese organische Substanz in Kohle, was zu den bedeutenden Kohlevorkommen führte, die heute in Nordrhein-Westfalen gefunden werden.

Die Größe und Form der exotischen Bäume aus dem Karbon sind beeindruckend. Ihre Stämme, Blätter und Früchte werden im neu renovierten Geomuseum in Münster präsentiert.
© Geomuseum der Universität Münster

Die im Karbon entstandenen Kohlevorkommen in Nordrhein-Westfalen haben eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Region gespielt. Kohle wurde zu einem wichtigen Rohstoff für die Industrialisierung und trieb das Wachstum des Bergbaus und der Schwerindustrie in der Region an. Die reichen Kohlevorkommen haben zum wirtschaftlichen Wohlstand von Nordrhein-Westfalen beigetragen und seine kulturelle und soziale Struktur geprägt. Die Karbon-Kohleminen entlang der Ruhr wurden in den letzten Jahrzehnten alle geschlossen. Dennoch ist die Erforschung von jüngeren, meist miozänen Braunkohlevorkommen in Nordrhein-Westfalen zu einem drängenden Umweltthema geworden. Lützerath, ein Dorf im Garzweiler Braunkohlerevier in Nordrhein-Westfalen, wurde zum Mittelpunkt des Umweltaktivismus und der Proteste gegen den Ausbau des Tagebaus. Der von RWE betriebene Braunkohletagebau in der Region bedrohte das Dorf, führte zur Vertreibung der Bewohner und zu unwiderruflichen Veränderungen im lokalen Ökosystem. Die Aktivisten äußern auch Bedenken hinsichtlich der Kohlendioxidemissionen und der Luftverschmutzung, was den Ruf nach einem Wechsel zu erneuerbaren Energien und einer nachhaltigeren Zukunft befeuert.

4. Etappe

Willkommen zur vierten Etappe der Deutschland Tour, bei der wir in die Geologie von Niedersachsen und Bremen eintauchen. Diese Etappe führt uns durch die ländliche, größtenteils flache Landschaft Norddeutschlands. Obwohl wir auf unserer Strecke nur wenige kleine Hindernisse mit geringer Steigung vorfinden werden, sind die Prozesse, die diese Landschaften geformt haben, alles andere als langweilig.

Geologische Karte und Querschnitt der Rehburger Antiklinale, die den geologischen Sattel zeigt, bei dem die Kreideflanken einen charakteristischen schalenförmigen Bergrücken bilden.
© BGR GÜK200-WMS-Dienst

Nachdem die Fahrer Hannover verlassen haben, beginnt die Reise in den Rehburger Bergen, einem kleinen Hügelgebiet im Norden Deutschlands. Aus geologischer Sicht stellen die Rehburger Berge einen sogenannten Sattel dar. Bei einem Sattel sind die Gesteinsschichten gefaltet und bilden eine bogenförmige oder gewölbte Struktur. Die Wölbung des Sattels ist auf die Aufwärtsbewegung von Salz tief unter der Erde zurückzuführen. Diese unterirdische Salzbewegung übte Druck auf die jüngeren festen Gesteinsschichten über ihm aus und führte zu ihrer Hebung. Im Laufe der Zeit unterlagen die weicheren Gesteine im Kern des Sattels, darunter Ton und Mergel aus dem Oberjura (blau auf der geologischen Karte unten), Verwitterungs- und Erosionsprozessen, was zu einer morphologischen Senke führte. Was einst der höchste Punkt des Sattels war, ist nun eine Senke: Das nennen Geologen eine Reliefinversion. Die Flanken des Sattels, bestehend aus wetterbeständigen Sandsteinen aus dem unteren Kreidezeitalter, die als Wealden-Sandsteine bekannt sind, bilden den charakteristischen schalenförmigen Bergrücken, der die Rehburger Berge prägt.

Höchste Ausdehnung des skandinavischen Eisschildes, das während der Weichsel-Kaltzeit (vor 20.000 Jahren, rote Linie) und während der Saale-Kaltzeit (vor 126.000 Jahren, gelbe Linie) bis nach Deutschland reichte.
© Fice, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Während die Fahrer ihre Reise nach Bremen fortsetzen, betreten sie die weiten Flächen der norddeutschen Tiefebene. Diese Region ist durch niedrig gelegene Ebenen gekennzeichnet und weitgehend ohne signifikantes Relief. Die Landschaft wölbt sich sanft mit nichts weiter als einigen subtilen Erhebungen und Senken, was ideale Bedingungen für schnelles Radfahren und ein günstiges Terrain für Sprinterteams bietet. Obwohl es so aussieht, als würde die Strecke flach bleiben, steht den Fahrern in Syke eine kleine Herausforderung bevor, wenn sie auf den "Hoher Berg" stoßen. Lassen Sie sich aber vom Namen nicht täuschen; der "hohe“ Berg erreicht tatsächlich nur eine bescheidene Höhe von 58 Metern über dem Meeresspiegel. Die Anwesenheit dieses erhöhten Punktes in einer ansonsten flachen Landschaft kann auf vergangene Eisschilde und Gletscher zurückgeführt werden. Sie breiteten sich im Verlauf von glazialen und interglazialen Perioden (Eiszeiten) in der Landschaft aus. In den letzten Millionen Jahren bestimmten die abwechselnden glazialen und interglazialen Perioden das Klima der Erde, ähnlich einem Metronom mit einem Takt von mehreren zehntausend Jahren. Die jüngste Kälteperiode wird als Weichsel-Kaltzeit bezeichnet und ereignete sich vor etwa 20.000 Jahren. Damals waren große Teile von Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Berlin und Brandenburg mit Eis bedeckt. Bremen und Niedersachsen waren jedoch weitgehend verschont geblieben. Das vorletzte Saale-Glazial war jedoch etwas kälter und ermöglichte es den Eisschilden, sich bis nach Bremen und Niedersachsen auszudehnen (vor etwa 238.000 bis 126.000Jahren). Aber das Eis kam nicht alleine, es brachte große Mengen an großen Findlingen und feinem Sediment mit sich. Der Großteil der vierten Etappe führt die Fahrer über sogenannte Grundmoränen des Saale-Glazials. Dabei handelt es sich um nahezu flache Ablagerungen von Geschiebemergel, der unterhalb des Gletschers abgelagert wurden. Er besteht hauptsächlich aus Ton, Schluff und Sand. Wenn die Fahrer in Syke auf eine leicht erhöhte Topografie treffen, erreichen sie den Punkt, an dem der Gletscher grobkörnige Ablagerungen von Felsen, Sedimenten und Trümmern hinterlassen hat, als er sich zurückzog. Mit anderen Worten, der "Hoher Berg" bildete sich vor etwa 126.000 Jahren an der Gletscherspitze.

"Hoher Berg" in der Nähe von Bremen.
© Stadt Syke

Ob nun die Reliefinversion Hügel wie Schalen aussehen lässt oder glaziale Moränen Maulwurfshügel wie Berge erscheinen lassen, letztendlich erinnert uns die Geologie der Deutschland Tour daran, dass selbst im Bereich der Wissenschaft ein Hauch von Humor und Absurdität immer ihren Platz finden können. Also, treten Sie kräftig in die Pedale, haben Sie Spaß und lassen Sie sich von den geologischen Wundern und Kuriositäten entlang dieser aufregenden Reise überraschen!