Transformation des Transzendentalen I: Geschichtliche Modifikationen

Bedingungen im Subjekt

Von daher richtet sich der Blick notwendig auf die »Bedingungen der Möglichkeit« von Wirklichkeit im Subjekt. Doch konnte Kant, der das denkende und fühlende Bewusstsein, vor allem aber den erkennenden und handelnden Weltbezug in den Blick nahm, die am Ende der Kritik der reinen Vernunft formulierte Aufgabe, die Geschichte transzendentalen Denkens zu reflektieren, selbst nicht mehr einholen und ausführen. Diese Aufgabe führt post Kant zum Programm und zur Aufgabe, in Anregung u.a. durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel und den Historismus, eine angemessene transzendental-geschichtliche Methode zu entwickeln. 

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Starrer Apriorismus?

Hatte Kant die Möglichkeit dieses Selbstvollzugs in den apriorischen Bedingungen transzendentaler Subjektivität und Freiheit begründet und die Möglichkeit von Erfahrung im erkennenden Weltbezug auf vor der reflexiven Verarbeitung und Erinnerungen in Erfahrung selbst liegende Formen der Anschauung und Kategorien des Verstandes zurückgeführt, so steht dieser sogenannte Formen-Apriorismus seit Hegel in der Kritik. Dieser hatte darauf hingewiesen, dass dem Bewusstsein Hören und Sehen vergehen können muss, damit der Mensch das Erfahren lernen kann. Daher ist die Frage nach der Geschichtlichkeit des Transzendentalen und dem Wandel der Bewusstseinsformen eine zentrale Aufgabe philosophischer Reflexion und Begründung.

 

 

 

 


 

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Wirklichkeit jenseits des Subjekts und Geschichte der Subjektivität

Die Geschichtlichkeit des Transzendentalen kann erstens eingeholt werden, wenn zwischen den apriorischen Formen der Anschauung und den apriorischen Kategorien des Verstandes einerseits und ihrer Operationalisierung im konkreten Weltbezug andererseits unterschieden wird. Dabei ist Kant zunächst selbst positiv zugute zu halten, dass er die Kategorien der Relationalität und der Modalität selbst bereits als dynamische und damit situativ-variable Kategorien verstanden hat. Die operative Gestalt und Funktion der Formen der Anschauung und der Kategorien des Verstandes wird dann im Weltbezug konstituiert und modifiziert. In diesem Sinne kann zwischen den Anschauungsformen (des Nacheinanders: Zeit; des Nebeneinanders: Raum) sowie zwischen den Kategorien (z.B. Qualität) und ihrer kategorematischen Operationalisierung (Kriterien von Qualität) unterschieden werden. Zweitens kann mit Hermann Krings darauf hingewiesen werden, dass in jedem Akt des Weltbezugs sich sowohl der Akt selbst als auch sein Gehalt wandeln kann, weshalb es theoretisch so viele Kategorien des Verstehens wie Akte des Weltbezugs geben kann. Drittens ist mit Hegel ernst zu nehmen, dass die Gestalten des menschlichen Bewusstseins ebenso kontextuell und historisch variabel sind wie die Kriterien dessen, was als vernünftig und wirklich und wahr angesehen wird. Dadurch weitet sich die Frage nach dem Wandel der Erfahrung auf den Wandel der prägenden Bewusstseinsformationen, der leitenden Interessen der Erkenntnis sowie der inhaltlich normgebenden Gehalte im Selbstbezug, Sozialbezug und Weltbezug hin.

 


Publikationen in Auswahl

Göttliche Universalität in konkreter Geschichte. Versuch einer transzendental-geschichtlichen Vergewisserung der Christologie in Auseinandersetzung mit Richard Schaeffler und Karl Rahner (Religion – Geschichte – Gesellschaft 22). (LIT) Münster u.a. 22009.

Endlichkeit und Freiheit. Studien zu einer transzendentalen Theologie im Kontext der Spätmoderne (Religion in der Moderne 8). (Echter) Würzburg 2003.

Wahrheit und Geschichte – ihr Verhältnis als philosophisches und theologisches Problem. In: Tobias Trappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung. Chancen der Transzendentalphilosophie. (Echter) Würzburg 2004, 14-28.         

Religiöse Pluralität und Wahrheit im transzendentalen Denken Richard Schaefflers. In: Bernd Irlenborn / Christian Tapp (Hgg.), Gott und Vernunft. Neue Perspektiven zur Transzendentalphilosophie Richard Schaefflers (Sciencia et Religio XI). (Karl Alber) Freiburg – München 2013, 224-239.          

Religiöse Erfahrung ist möglich! In: Magnus Lerch / Christian Stoll (Hgg.), Religiöse Erfahrung. Bestandsaufnahmen und Perspektiven zu einer strittigen Kategorie (QD 333). (Herder) Freiburg-Basel-Wien 2023, 227-265.

Thesen zu einer transzendental-geschichtlichen Denkform in kultureller und religiöser Differenz – Erkundungen eines Problemfeldes, in: Martin Bunte / Fabian Völker (Hgg.), Transzendentalität und Transkulturalität – (Systemata 1), (Herder) Freiburg- Basel-Wien 2024, 326-363.