Geschichtsfähiger Gott – Eine Relektüre der zentralen Kapitel Systematischer Theologie

In Kohärenz mit dem Gesamtansatz ergibt sich ein dauerhaftes, begleitende Forschungsfokus, der sich auch in materialdogmatische Erwägungen übersetzt. Gott und sein Heil sind so zu denken, dass Freiheit und Geschichte in ihrer Autonomie und Eigenwürde zugelassen und bejaht werden und als solche in die soteriologische Auffassung berücksichtigt werden müssen.

1) Christologisch: Einschreibung der Sohnesbeziehung in menschliche Freiheit und Geschichte als Verwirklichung und Vollendung menschlicher Freiheit.

Christologie Das Zentrum des christlichen Glaubens, das Kommen Gottes für die Welt als Gabe des Sohnes in der Menschheit Jesu Christi, ist konsequent so auszubuchstabieren, dass darin und im Bezug darauf menschliche Freiheit in ihrer Eigenwürde und in der Realität ihrer geschichtlich-dramatischen Verfasstheit zu Geltung kommt. Das bestimmt das Interesse für die Thematik der Menschheit und der eigenen geschichtlichen Freiheit Jesu Christi.
Die christliche Vorstellung einer definitiven Heilsvermittlung in der Geschichte, Freiheit und Person Jesu Christi insistiert auf der Einschreibung des Beziehungsmodus des Sohnes zum Vater in menschliche Freiheit. Sie gibt Rechenschaft darüber, dass Beziehung durch konkrete, kontingente Handlungen vermittelt ist und eine Person sich durch ihre Geschichte Identität verleiht – wobei sich beides in und als Geschichte vollzieht. Jesu Geschichte ist für die Gottesbeziehung dieses Ein-für-allemal einer Handlung als gelungene Entsprechung in der Geschichte und als geschichtlich-reale Bedingung der Möglichkeit jeder weiteren Verwirklichung. Zugleich ist sie Verwirklichung und Vollendung menschlicher Freiheit.

(a) Die Forschung will daher zunächst die „dramatische Einschreibung“ der Haltung des Sohnes in menschliche Freiheit und Geschichte untersuchen und hierfür adäquate methodische Mittel erarbeiten.

  • Ausgangs- und Angelpunkt der Reflexion soll die vierfache chalkedonensische Adjektivierung sein, mit besonderer Betonung auf unvermischt und unverwandelt: Die menschliche Wirklichkeit (Natur) Jesu Christi bleibt intakt, einschließlich seiner Freiheit.
  • Ein Fokus liegt auf der Interpretation des Dyotheletismus bei Maximus Confessor. In der Interpretation von Maximus ist die menschliche Freiheit ein Moment der Natur des Menschen und Ort der Aufgabe, die Synthese bzw. Vermittlung zu leisten. Der Einbruch des Heils in die Welt ereignet sich in der geschichtlich-dramatischen Bestimmung der Freiheit Jesu. Nur in Jesus Christus ist menschliche Natur (mitsamt Subjektivität und Freiheit) nach dem Maßstab göttlicher Beziehungsart totalisiert bzw. synthetisiert. Der Grund der messianischen Praxis Jesu liegt in seiner Freiheit, die sich gemäß dem tropos des Sohnes bestimmt. Diese Freiheit fällt mit der Aufgabe der Vermittlung von Freiheit und menschlicher Subjektivität selbst zusammen – in ihrer Natürlichkeit, Endlichkeit und gesellschaftlich-geschichtlichen Vermitteltheit.

Freiheit umfasst auch Wille (als Prinzip der Bestimmung) und Energie (als Prinzip der Dynamik). In diesem Sinne ist bei Jesus von einer menschlichen Freiheit auszugehen, die – auf Ebene der Hypostase – mit der göttlichen, vollkommenen Freiheit des Logos geeint ist. Diese Einheit ist jedoch keine „strenge Identität“ (Essen; Striet) im Sinne formaler Gleichheit, sondern eine vollkommene Einheit in der Annahme des tropos des Sohnes, also seiner Weise des Selbstbesitzes und der Selbsttotalisierung.

(b) Ein weiterer Fokus soll auf der Aufwertung der Thematik des Glaubens Jesu liegen – als Prinzip der „Einschreibung“ der Differenz in der Kommunion mit dem Vater in menschliche Wirklichkeit. Der Glaube der Menschen ist als kreativ-eigene Teilhabe am Glauben Jesu zu verstehen.

2) Theologische Anthropologie: Vorbestimmung aller zur eigenständigen Teilhabe an der geschichtlichen Freiheit Jesu.

Vor diesem Hintergrund soll die theologisch-anthropologische These von der Vorbestimmung aller zur „Sohn- bzw. Tochterschaft im Sohn“ präzisiert werden als Vorbestimmung zur Teilhabe an der Singularität der Geschichte Jesu Christi und des österlichen Ereignisses. Damit ist die Beziehung des Menschen zu Gott nicht einfach dadurch abgesichert, dass die apriorische, transzendentale Struktur des Menschen als Freiheitswesen auf Gott bezogen und von ihm eröffnet ist. Die Beziehung muss geschichtlich vollzogen werden.

(a) Dies kann dann gelten, wenn die menschliche Freiheit von Anfang an dazu bestimmt ist, sich in der Teilhabe an der Sohnschaft Christi zu verwirklichen – also als Ergebnis sowohl der freien Entscheidung Gottes, sich in der christologisch-schöpfungstheologischen Vermittlung einen Anderen als Anderen (eine andere Freiheit) zu geben, als auch der christologisch-heilsgeschichtlichen Vermittlung, in der diese Freiheit sich gelingend auf Gott als ihren letzten Inhalt und Bezug bezieht.

(b) Es geht zudem darum, diese Beziehung so auszulegen, dass die Freiheit des Menschen darin nicht relativiert, sondern gerade zur eigenen geschichtlich-kontingenten Dramatik befähigt wird. Das Wirken des Geistes ist somit als Prinzip sowohl der Universalisierung der bestimmten Geschichte Jesu Christi als auch der eigenständigen und je originären geschichtlichen Aneignung (auch in anonymer Gestalt) zu verstehen.

3) Trinitätslehre: Wie ist die Wirklichkeit Gottes und das Heilsmysterium so zu denken, dass Gott eine autonome Geschichte eröffnen und in ein (rettendes) Verhältnis zu ihr treten kann, ohne deren Autonomie und Eigenstand aufzuheben?
Wie kann Gott als Ursprung menschlicher Andersheit, Freiheit und Zeit gedacht werden, sodass die Bezugnahme auf ihn menschliche Erfahrung, Suche und zeitliche Vollzüge nicht relativiert oder vorwegnimmt – und dennoch Gott als geschichtsmächtig verstanden wird, ohne dass man eine Verzeitlichung Gottes annehmen muss?