Mündigkeit des Glaubens - eine kritische Theorie des Glaubensaktes und ein Entwurf der Fundamentaltheologie

Wie lässt sich Glaube als synthetischer Akt des Humanen verstehen – als jene Haltung, in der menschliches Subjektsein in all seinen Dimensionen und Bezügen Zugang zu seiner gelungenen Gestalt hat und darin Prinzip des Heils der Menschen ist?
Wie ist wiederum die gleichzeitige Behauptung aufrechtzuerhalten, dass Glaube als universales Prinzip des Heils allen Menschen (auch in anonymer Gestalt) zugänglich sein muss – und dass Glaube als freie Teilhabe an der Weise, in der Jesus Christus in menschlicher, geschichtlicher Freiheit die Beziehung zum Vater im Modus des ewigen Sohnes lebt, adäquat zu deuten ist? Wie – bzw. unter welchen Bedingungen – kann schließlich dieser Glaube nicht als defizitärer Modus des Vollzugs von Freiheit und Vernunft ausgelegt werden? Diese Fragen stellen sich gerade aus theologischem Anliegen: Geht es im Glauben doch um den Glauben an den Gott, der sich – weil unbedingt für die Menschen und dem Menschen treu – auch als unbedingt des Glaubens würdig behaupten soll.
Selbst die Auslegung und Rechtfertigung dieses Glaubens muss eine Treue gegenüber dem Menschen in seiner Freiheitsstruktur und geschichtlichen Dramatik bewahren.
Methodisch ist Fundamentaltheologie eine theologische Theorie des Glaubens – und darin eine kritische Überprüfung der Humanität und humanen Vertretbarkeit des Glaubens als Haltung und seiner Inhalte.

Die Aufgabe soll inhaltlich in folgenden Schritten durchgeführt werden:

1) Erste anthropologische Bestimmung des Ortes des Glaubens: Welches ist der allgemeine und allgemein-menschliche Ort jener Gesamthaltung, die im gelungenen Bezug zu sich als geschichtliche Freiheit sowie zum Ganzen der Wirklichkeit steht und die als Glaube bestimmt werden kann? Bestimmt man als Sinn die gelungene In-Beziehung-Setzung sich selbst bestimmender, geschichtlicher Freiheit zu sich selbst und zur Wirklichkeit insgesamt, dann ist der anthropologische Ort des Glaubens jene Haltung, die auf die Realisierung dieses Sinnes – der angesichts einer kontingenten und realen Freiheitsgeschichte, und mindestens angesichts der Erfahrung des Sinnwidrigen, nicht vorausgesetzt werden kann – begründet vorausgreift im Rekurs auf ein Letztes als das real Sinnverbürgende. Wie kann ein solcher Ort individuell identifiziert werden, ohne dass das (explizite) Ausbleiben der Frage danach oder eine Bestimmung, dass das Sinnverbürgende ausbleibt (Atheismus), als defizitäre Modi des Humanen gelten müssen? (Anliegen: theologische Legitimität von Indifferenz und Atheismus).Wie kann dieses Leben bejaht werden, ohne eine Indifferenz gegenüber dem Sinnwidrigen oder gar dessen Positivierung in Kauf zu nehmen oder die legitimen Ansprüche aus menschlicher Freiheit preiszugeben? Dieser Teil gestaltet sich als Reinterpretation der kantschen Postulatenlehre (Dimension der Hoffnung) und als Weiterführung einer Phänomenologie und transzendentalen Analytik der Freiheit unter Berücksichtigung ihrer geschichtlich-sozialen Verfasstheit.

2) Theologische Kritik der Religion und Theorie der Ambivalenz des Heiligen: Gerade angesichts des Verlangens nach einer Realisierung von Sinn – auch als Verwirklichung geschichtlicher Freiheit jenseits ihrer Selbstverfehlungen und externen Verhinderungen, sowie als Überwindung und Reparatur des real Sinnwidrigen – kann dieser Sinn nicht ohne Weiteres angenommen werden. Es besteht Anlass, ein Letztes (das Heilige) als potentiell Widersinniges zu deuten – als das Widersinnige rechtfertigend oder als Instanz, die zur Preisgabe des Anspruchs auf Sinn menschlicher Freiheit auffordert – und damit in ein Verhältnis autoritärer Unterwerfung versetzt.

Vor diesem Hintergrund ist eine Klärung der Beschaffenheit eines möglichen Letzten als Sinnverbürgenden notwendig, wenn der Akt des Sich-darauf-Beziehens human tragbar sein soll.

3) Diese Klärung – dass das Letzte unbedingt für die Menschen und ihr Leben ist – muss sich als reales, rettendes Verhalten des Sinnverbürgenden zur menschlichen geschichtlichen Freiheit in den Diensten ihrer Realisierung und zur Überwindung des Sinnwidrigen inmitten menschlicher Geschichte vollziehen. Diese Klärung – als eschatologisch-antizipatorische Realisierung von Sinn in der Geschichte der Menschen – ist die Offenbarung Gottes in der Geschichte Israels und Jesu Christi, Erweis der Glaubwürdigkeit und Treue des für die Menschen entschiedenen Gottes gegenüber dem Menschen. Diese Offenbarung hat ihre (symbolische) Evidenz in der Weise, wie sie sich in der menschlichen Freiheit Jesu einschreibt, Geschichte und Körper annimmt – insbesondere im österlichen Ereignis von Tod und Auferstehung als Aussetzung dem Sinnwidrigen und dessen antizipatorische Überwindung.

Glaube ist die Haltung, in der diese Vertrauenswürdigkeit gewusst wird („Gott ist ho pistos“) und zum Prinzip der Synthese der eigenen Freiheit gemacht wird – Glaube als Teilhabe an der Weise Jesu Christi, seine Freiheit ausgehend von seinem Gottesbezug (in der Differenz des Sohnes zum Vater) zu leben.

Die Effektualität des Glaubens besteht jedoch primär in der Freisetzung des menschlichen Lebens auf sich hin, in Entsprechung zur Menschgerichtetheit Gottes (kenotische Exzentrik).
Damit ist das Kriterium des Glaubens nicht das explizite Gottesbekenntnis, sondern das befreite und befreiende Verhältnis zum eigenen Leben und zum Leben anderer.

Vor diesem Hintergrund ist die biblische Rede von einem Glauben, den Jesus bereits wirksam und anwesend erkennt – und als den „Glauben, der rettet“ identifiziert – aufzuwerten. Auffällig ist dabei, dass er diesen Glauben nicht mit der Forderung nach einem expliziten Bekenntnis oder einer expliziten Nachfolge verbindet.

Als Glaube an den Gott, der das (freie) Leben der Menschen will, kann dieser Glaube überall dort wirksam sein, wo die Suche nach einem menschengerechten Leben stattfindet – ohne diese Suche überzubestimmen.

4) Weil einerseits der reale Grund des Urteils über die Sinnhaftigkeit von Geschichte und Wirklichkeit nur die Verwirklichung von Heil in seiner Umfassendheit sein kann (welche im österlichen Ereignis antizipatorisch gegeben ist und in der menschlichen Freiheit Jesu Christi auf einzigartige Weise zum Prinzip eines Lebens wird), und andererseits ein solches Urteil ohne Bezug auf die Realisierung von Sinn im Heilsgeschehen nicht möglich ist (sich damit auch die Ambivalenz des Heils immer wieder durchsetzen kann), ist eine Form von Glaube, die explizit diesen Grund im Dienst des eigentlichen, auch impliziten „Glaubens, der rettet“ bekennt und bezeugt, unumgänglich. Fundamentaltheologisch wird Kirche aus dieser Perspektive ausgelegt: im Dienst des (impliziten) Glaubens, der rettet – den sie in Bezug auf dessen christologischen Grund erkennt und würdigt (gerade in dessen Eigenwürde) und als öffentliche Tradentin der gefährlichen memoria Jesu im Dienst der Welt.

5) Diese Bestimmung und Auslegung von Glaube muss kompatibel mit einem Begriff autonomer Freiheit sein – und vollständig durch freie Vernunft denkbar sein (als Selbstreflexion des Humanen, um das es geht, und Ausdruck seines Anspruchs).
Sie ergibt sich damit auch als Deutung von Leben unter den Kategorien der Freiheit. Gleichzeitig ist der Glaube – in seiner Verfasstheit als Totalisierung menschlicher Freiheit auf jene nicht voraussetzbare und die menschlichen Möglichkeiten transzendierende, unverfügbare Realisierung von Sinn und in Bezug auf das Einmalige des Christusereignisses – als Gabe und Grund des Glaubens zu betrachten.

6) Die Möglichkeit dieser Gleichzeitigkeiten – zwischen anonymer und gar säkularer Effektualität des Glaubens und christologisch-österlicher Begründung; zwischen allgemeinem anthropologischen Ort und anthropologischer Zugänglichkeit des Glaubensaktes und seiner christologischen Gestalt; zwischen der Bestimmung von Glaube als selbstreflexive Deutung von Leben und dem Glaubensgrund – muss abschließend theologisch-anthropologisch eingeholt werden:

  • in einer Anthropologie der Freiheit, die das Menschliche in seinem autonomen Vollzug (damit auch in seinen Suchbewegungen und Zweifeln) konsequent als gottgewollten Ort der theologalen Beziehung begreift;
  • in einer Auslegung des Motivs der Vorbestimmung des Menschen zur Kindschaft Gottes im Sohn – durch die Teilhabe an der geschichtlich bestimmten Freiheit Jesu. Dafür ist eine freiheitsbestimmte Interpretation der Motive der direkten Proportionalität und Stellvertretung zu leisten.

Dabei sollen die Debatten um Kompatibilismus-Libertarismus berücksichtigt und fortgeführt werden.

Geplante Publikation:

„Ho pistos“(?) –Eine Skizze der Fundamentaltheologie als Frage nach der Glaub-Würdigkeit des bezeugten Gottes und als kritische Theorie des Glaubensvollzugs

Themenbezogene Publikationen

  • Opferlose Nichtidentität in einem anderen Ganzen. Rückfragen zu einem nicht-sakrifikalen Heils- und Glaubensverständnis im Anschluss an Adorno, Verlag Friedrich Pustet: Regensburg, 2024 (ratio fidei 87), 35-65. 366-457.
  • Libertà come capacità d'esperienza. Mediazione antropologica e cristologica nell'orizzonte della teoria dialogica dell'esperienza di R. Schaeffler, Cittadella Editrice: Assisi 2017 (Studi e ricerche. Sezione teologica)
  • Begegnung aus Kontingenz? Sprachspiele, Transzendentalität und Humanität. In: B. Nitsche (Hg.), Menschliche Zugangsformen zu großer Transzendenz,  Ferdinand Schöningh: Paderborn 2017, 343-367.
  • Considerations on the Freedom of Jesus as Anthropological Mediation for Theology, in: Dominic Nnaemeka Ekweariri (Hg)., An Authentic Witness To The Catholic Priesthood, Memoiyke Publishing: Owerri 2023, 65-83.

Lehre

Modulkurs: Fundamentaltheologie als kritische Theorie des Glaubensvollzugs [028147]

Vorlesung: Vermittlungen und Verkörperungen des Glaubens: Text, Ritus, Beziehung aus fundamentaltheologischer Perspektive zwischen Zeugnis, Erinnerung und Symbol [028148]

Modulkurs: Vorlesung: Fundamentaltheologie [024154]

Hauptseminar (Systematische Theologie): Begehren - Gesetz - Glaube. Philosophische, psychoanalytische und sozialtheoretische Theorien des Begehrens im Dialog mit der Theologie. [022117]

Hauptseminar (Systematische Theologie): Problemfall Offenbarung. Grund - Konzepte - Erkennbarkeit [026150]

Hauptseminar (Systematische Theologie): Christologie und Soteriologie [020199]

Proseminar (Systematische Theologie): Theologisch argumentieren: Glaube, Wahrheit, Kritik [022178]

Proseminar mit Tutorium: Theologie treiben in Treue zum Menschen. Theologisch-philosophische Begegnungen mit "scharfen" Denkern [021786]

Vorlesung: Glaube - eine Frage der Vernunft? Über Anspruch, Wege und Grenzen der Fundamentaltheologie [028153]

Proseminar mit Tutorium: Vom Zentrum anfangen: Gottes Selbstoffenbarung in der Geschichte Jesu als Grundwahrheit des christlichen Glaubens [022617]

Proseminar: Darf man das hoffen? Vom Erlösergott zur Theodizee-Frage und zurück [024535]