
Die Fußwaschung am Gründonnerstag
An den Herrscherhöfen wurden armen und alten Frauen und Männern, zum Beispiel durch Kaiser Franz Joseph I. (gest. 1916) und Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (ermordet 1898), die Füße gewaschen. Die an der Fußwaschung beteiligten erhielten zu dieser Feier eine spezielle Kleidung und wurden anschließend reich beschenkt nach Hause gebracht. Die Fußwaschungen am Hof fanden vor großem Publikum statt und wurden in der Presse kommentiert. Beim Nachdenken über die Bedeutung und bei der Planung der Gestaltung von Fußwaschungen im Rahmen kirchlicher Feiern lohnt es sich, diesen Teil der Geschichte des Rituals einzublenden. Man kann die Fußwaschungshandlungen am österreichischen Kaiserhof als Beispiel dafür sehen, dass man vieles richtig machen und doch die Botschaft verfehlen kann: zum Beispiel die Zwölfzahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, einen überragenden Menschen, der sich herablässt, armen, alten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen die Füße zu waschen usw.
Die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner (gest. 1914) beschreibt in ihrem Roman Die Waffen nieder die Gedanken einer scharfsinnigen jungen Frau, die im Wien des 19. Jahrhunderts der Fußwaschung am Kaiserhof zusieht: „Mit Kaiser und Kaiserin zugleich waren auch mehrere Erzherzoge und Erzherzoginnen hereingekommen und jetzt konnte die Feier beginnen. Truchsessen und Edelknaben trugen die gefüllten Schüsseln herbei, und der Monarch und die Monarchin stellten dieselben vor die sitzenden Alten hin. […] Kaum aber waren die Gerichte aufgestellt, so wurde die Tafel wieder abgeräumt, eine Arbeit, welche – gleichfalls als Zeichen der Demut – die Erzherzoge verrichteten. Hiernach ward die Tafel hinausgetragen, die eigentliche Effektscene des Stückes […] – die Fußwaschung – begann. Freilich nur eine Scheinwaschung, wie das Mahl nur ein Scheinmahl gewesen. Auf dem Boden knieend, streifte der Kaiser mit einem Tuch über die Füße der Greise hinweg, nachdem der ihm assistierende Priester aus einer Kanne scheinbar Wasser darüber gegossen, und so rutschte er vom ersten bis zum zwölften Pfründner, während die Kaiserin – die man sonst nur so majestätisch hochaufgerichtet zu sehen bekommt – in derselben demütigen Stellung, in welcher sie ihre gewohnte Anmut übrigens nicht verließ, die gleiche Prozedur an den zwölf Pfründnerinnen vornahm. Die begleitende Musik, oder, wenn man will, den erklärenden Chor, bildete das gleichzeitig vom Hofburgpfarrer vorgelesene Evangelium des Tages. Gern hätte ich auf einige Augenblicke mitempfinden mögen, was in dem Geiste dieser Alten vorging, während sie so dasaßen, in der seltsamen Tracht, von einer glänzenden Menge angegafft, den Landesvater, die Landesmutter – Ihre Majestäten – zu ihren Füßen […]“
Die Romanfigur konnte in der Zeremonie keine echte Handlung der Nachfolge Jesu, der seinen Jüngern die Füße wäscht (Johannesevangelium 13), sehen. Könnten Katholikinnen und Katholiken des heutigen Gründonnerstags die Romanfigur der 19. Jahrhunderts trösten und sagen: wir machen es besser?
Klaus Beitl hat aus der gedruckten Hofordnung des frühen 19. Jahrhunderts die Regeln zur Fußwaschung abgedruckt. Sie entsprechen der Beschreibung der Romanfigur im Buch von Bertha von Suttner. Ihre Sprache bildet den inneren Widerspruch der Darstellung von Demut und höfischem Zeremoniell ab:
„Den alten Männern werden von Hausofficiren die Schuhe und Strümpfe ausgezogen und wird dann ein langes Linnentuch über deren Kniee gebreitet. Ein Hofkaplan fängt nun an, das Evangelium des Tages abzusingen. Seine Majestät geruhen jetzt dem Oberstkämmerer den Hut zu übergeben, welcher denselben dem Kämmerer vom Dienste zum Halten darreicht. Bei den Worten des Evangeliums: ‚Et coepit lavare pedes discipulorum‘ [und er, nämlich Jesus, begann die Füße der Jünger zu waschen, Johannesevangelium 13,5] knieen Seine Majestät nieder und verrichten, von einem alten Manne zum anderen rückend, die Waschung und Abtrocknung der Füsse. Hiebei giesst der älterer der beiden zur Feierlichkeit geladenen Prälaten das Wasser auf, der jüngere Prälat hält das Becken unter. Sobald die Fußwaschung an den zwölf Männern verrichtet ist, waschen Seine Majestät Sich am unteren Ende der Estrade die Hände, wobei ein Truchsess als Mundschenken-Stellvertreter das Wasser aufgiesst, ein Edelknabe das Becken hält, und der Erste Obersthofmeister das von einem Edelknaben auf einer Silbertasse bereit gehaltenen Handtuch zum Abtrocknen reicht.“
Clemens Leonhard, 16.04.2025
Quellen:
Berta von Suttner, Die Waffen nieder, Dresden 1889, Online aufrufbar: https://www.projekt-gutenberg.org/suttner/waffenni/chap002.html [16.04.2025].
Klaus Beitl, Die österliche Fußwaschung am Kaiserhofe zu Wien. Öffentlicher Brauch zwischen Hofzeremoniell und Armenfürsorge, in: Klaus Beitl (Hg.), Volkskunde. Fakten und Analysen. Festgabe für Leopold Schmidt zum 60. Geburtstag (Sonderschriften des Vereines für Volkskunde in Wien, Bd. 2), Wien 1972, 275—287.