Tagungsbericht Autumn School 2025 "Modern Stained Glass – Metadata – AI"

© ACHRIBI

 

Vom 16. bis 18. September 2025 richtete die Arbeitsstelle für Christliche Bildtheorie, theologische Ästhetik und Bilddidaktik (ACHRIBI) einen mehrtägigen, interdisziplinären Workshop zu den Themenbereichen der modernen Glasmalerei, der automatisierten Metadatenerkennung und -auswertung sowie den Einsatzmöglichkeiten von KI aus.

Ausgangspunkt war das vom Bistum Münster geförderte Projekt „Digitalisierung des christlichen Kulturerbes im Bistum Münster“ (DCK). Dieses mehrjährige Forschungsprojekt hat sich zum Ziel gesetzt, die circa 700 Kirchen und Kapellen des NRW-Teils des Bistums Münster sukzessive und systematisch digital zu inventarisieren und über die Forschungsdatenveröffentlichung und digitale Ausstellung der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In diesem Projekt sind nun wichtige Meilensteine erarbeitet, wie zum Beispiel die Entwicklung des Datenmodells in der Datenbank fylr (ehemals: EasyDB). Das Hauptaugenmerk des DCK-Teams liegt auf der Neuverzeichnung von Kirchen, da die Mehrheit der Bauwerke keine oder unvollständige Bestandsdaten, zum Teil in analoger Form, vorweisen.

Als Tagungsort wurde das Hotel SeeZeit am Aasee gewählt. Den Beginn mit der Einführung in die Tagungsidee machten Norbert Köster und Maximilian Berkel. Reinhard Köpf präsentierte danach die „Situation of Modern Stained Glass in Germany“. Reinhard Köpf ist zurzeit Leiter der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Mönchengladbach und war zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie in der Inventarisierung und Erstellung von Expertisen im Büro Ivo Rauch. Köpf berichtete, dass durch Kriegszerstörungen die Anzahl moderner Kirchenfenster enorm ist und diese nur in wenigen Gebieten erschlossen wurde. Somit weist dieser Bestand große Lücken auf. Zugleich sind genau diese Fenster nun stark bedroht von Profanierungen und/oder Kirchenschließungen. Während andere Ausstattungsgegenstände aus geschlossenen oder abgerissenen Kirchen in andere sakrale Räume oder Museumsausstellungen gebracht werden können, ist die Glasmalerei – insbesondere Betonverglasung – fast immer derart mit dem Gebäude verbunden, dass in einem Großteil der Fälle die Entsorgung im Rahmen von einem Abriss beschlossen wird. Auch sind diese Fenster, die explizit für diesen Ort gefertigt wurden, ohnehin in ihrem Kontext zerstört, wenn sie nicht mit dem ursprünglichen Raum zusammen präsentiert werden.

Die zweite Sektion befasste sich mit „Databases, inventory and recording in the various countries“. Den Anfang machte Jasmine Allen, Kuratorin und Leiterin des Stained Glass Museums in Ely (GB) mit dem Vortrag „Stained Glass in Danger“. Allen berichtete von verschiedenen privaten Initiativen, die Datenbanken für gefährdete oder abgerissene Kirchen aufgebaut haben. Die Gründungsidee des Museums und der Ursprungsbestand rekurriert ebenfalls auf Fenster, die aus profanierten oder abgerissenen Kirchen entnommen wurden. Diese Forschungsergebnisse aus dem Bereich citizien science sind nun erneut in Gefahr, da die Betreibenden größtenteils im fortgeschrittenen Alter sind, und die Zukunft der Datenbanken unklar ist. Allen initiierte ein Treffen im Stained Glass Museum und schlug vor, eine gemeinsame Plattform zu etablieren, wo diese Ergebnisse gesammelt und der Öffentlichkeit langfristig zur Verfügung gestellt werden können.

Im Anschluss trug Martin Crampin von der University of Wales, Centre for Advanced Welsh and Celtic Studies, Aberystwyth (GB) vor. Sein Vortrag mit dem Titel „Stained Glass in Wales” berichtete über verschiedene Plattformen mit guter Metadatenstruktur, die er in zahlreichen Projekten nach und nach etablieren konnte. Der dabei geborgene Schatz ist enorm, zumal unter anderem auch die Bestände des Art College in Swansea darunter zählen, an welchem deutsche moderne Glasmaler, wie zum Beispiel Johannes Schreiter, britische Glasmaler unterrichtet haben. Insbesondere die schwierige Finanzierungslage für solche Forschungsgegenstände mache es sehr komplex, eine flächendeckende und systematische Erschließung der Bestände langfristig verlässlich zu planen und aufzubauen.

Ein dem DCK-Projekt sehr ähnlich gelagertes Projekt, nur im weitaus größeren Rahmen, hat seit den späten 1990er Jahren in den Niederlanden stattgefunden. Anique des Kruijf vom Museum Catharijneconvent, Leiterin der Abteilung Erfgoed in Kerken en Kloosters (Erbgut in Kirchen und Klöstern), berichtete über das „Project of digital inventories of all church and convent buildings in the Netherlands“. Diese Abteilung hat ein Langzeitprojekt mit sämtlichen Religionsgemeinschaften in den gesamten Niederlanden, im Rahmen dessen die sakralen Räume digital inventarisiert und erschlossen werden. Das Projekt ist abgeschlossen, und nun werden die Bestände den modernen Datenstandards angepasst, in ein neues Datenbanksystem überführt und revisioniert. Die so entstandene Datenbank weist über 300.000 Datensätze auf, mit der Besonderheit, dass jede Gemeinde ihre eigenen Daten jederzeit online einsehen und Änderungen dem Inventarteam über die Plattform übermitteln kann. So bleiben die Verzeichnisse durch den Einsatz von Freiwilligen vor Ort jederzeit aktuell.

Den Abschluss dieser Sektion machte Karin von Wartburg vom Vitrocente Romont in der Schweiz, die in ihrem Vortrag über „Vitrosearch“ berichtete. Vitrosearch ist eine mehrsprachige Plattform (deutsch, englisch, französisch), auf welcher das Museum sowohl die eigenen als auch die Bestände publiziert, die es im Rahmen des Corpus Vitrearum Schweiz erforscht und inventarisiert. Da diese Datenbank als besonders guter Standard für die Aufbereitung wissenschaftlicher Daten im Bereich Glasmalerei gilt, übernahm Karin von Wartburg auch die Erläuterung und Vorstellung der FAIR-Prinzipien für Forschungsdaten (Findable (auffindbar), Accessible (zugänglich), Interoperable (interoperabel) und Reusable (wiederverwendbar). Das DCK-Projekt und andere Projekte bereiten die Daten ebenfalls nach dem FAIR-Standard auf.

Zum Ende des ersten Tages präsentierte Anja Gerber, Klassikstiftung Weimar, als Vertreterin des NFDI4Objects-Konsortiums ihren Vortrag „Object Biography of a Stained Glass Window“. Gerber präsentierte die Möglichkeiten, die LIDO-Modelle und/oder RDF-Modelle (Resource Description Framework) für eine Tiefenerschließung und eine vollständige Objektbiographie bieten. Ein Fokus lag dabei auf CIDOC CRM und dem vom NFDI angebotenen Knowledge-Graph.

Während der erste Tagungstag sich vor allem mit den Themenfeld der modernen Glasmalerei und dem derzeitigen Ist-Zustand beschäftigte, lag der Fokus beim zweiten Tagungstag vor allem auf der Frage: Welcher Einsatz von modernen Technologien ist wünschenswert bzw. heute schon möglich?

Den Auftakt machte Maximilian Berkel mit dem Vortrag „Concept studies: new ways of digital inventory“. Als Projektmanager und Datenkurator des DCK-Projektes war die Frage der Learnings aus einem solchen Projekt von besonderer Relevanz, welche Stellschrauben man bei künftigen Projekten anders austesten könnte. Für das Spannungsfeld der großen Masse an Fenstern und des starken zeitlichen Drucks wurde die Idee aufgeworfen, wie der Einsatz moderner Technologie es ermöglichen soll oder kann, zumindest die ‚digitale Konservierung‘ dieser Fenster zu gewährleisten. Mit digitaler Konservierung ist nicht nur eine Fotografie gemeint, sondern beispielsweise auch eine Raumaufnahme, eine Videozeitrafferaufnahme, da sich die Wahrnehmung von Kirchenfenstern im Tages- und Jahreszeitenwechsel verändert oder die Frage nach Drohnenaufnahmen, um Details und gute Ergebnisse in kurzer Zeit von hochangebrachten Fenstern zu erzeugen. KI kann immer dann zum Einsatz kommen, wenn es um Massenarbeit geht, die dem menschlichen Bearbeiter Vorschläge unterbreitet. So muss am Beginn und am Ende des Prozesses der Erfassung nach wie vor ein menschlicher Bearbeiter zugegen sein, aber die zeitaufwändige Massenbearbeitung kann nach und nach mit KI-Einsatz getestet werden.

Über Probleme, die sich dadurch, aber auch durch andere Fragestellungen ergeben, berichtete Folke Obermark-Stiller. Als Mitarbeiterin im Inventarprojekt gewährte sie der Gruppe mit der Präsentation „Reports from everyday inventory work“ einen Werkstattbericht über die Gegebenheiten vor Ort sowie der Problematiken, die sich ergeben, wenn der Arbeitsplatz ein genutzter und intakter sakraler Raum ist. Viele Fragestellungen würden im Archiv- und Museumsbestand deutlich anders geklärt werden können, während die Arbeit in einem aktiv genutzten Raum einer ‚Operation am offenen Herzen‘ gleiche.

Als Abschluss der dritten Section „Presentation of the data model and the project idea at ARCHIBI” wurde auch noch detailliert das Datenmodell des DCK-Projektes erörtert, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den am ersten Tagungstag dargestellten Datenmodellen zur Sprache kamen.

Die vierte und abschließende Sektion trug den Titel „Possibilities of machine learning, automated metadata recognition and AI“. Den Auftakt machte Christopher Pollin, Digital Humanities Craft (Kainbach bei Graz), mit seiner Präsentation „Promptotyping a Stained-Glass-Metadata-Annotation-Tool with Frontier-LLM“. Neben den Möglichkeiten des Einsatzes von LLMs, beispielsweise im Metadatenmapping oder ihrer Anreicherung, stellte Pollin auch vor, wie Prozesse und Abläufe in viele verschiedene Einzelaufgaben zerlegt werden könnten und müssen, um zum einen Fehlerquellen wie KI-Halluzinationen einzugrenzen, aber auch Zeichenlimits von LLM-Chats einzuhalten.

Dominic Eickhoff vom LWL-Archivamt schloss an mit dem Vortrag zum Thema „Integrating Digitization and AI-Supported Collection Workflows: A Critical Reflection“. Eickhoff berichtete sowohl von Use-Chases, in welchem bereits KI-gestützte Arbeitsintegrationen angewandt wurden, als auch von Möglichkeiten, einen KI-Workflow sinnvoll aufzubauen und schon bei der Digitalisierung der Objekte Metadaten anzulegen, und diese im Anschluss dann auswerten zu lassen.

KI use in practise“ wurde von Sebastian Klarmann von der Programmfabrik vorgestellt. Die Programmfabrik ist der Entwickler der Software fylr, die bereits im DCK-Projekt zum Einsatz kommt. Klarmann präsentierte in einer Live-Demonstration verschiedene Module, die in vergangenen oder zukünftigen Projekten eine direkte Abfrage von Sprachmodellen in fylr ermöglicht.

Wenn über Metadatenerkennung und KI-Einsatz gesprochen wird, stellt sich freilich die Frage, welche Metadaten überhaupt erkannt werden sollen oder können. Dieser Fragestellung ging Etienne Posthumus von ICONCLASS nach. Die mehrsprachige Plattform dient vielen Projekten als Referenzwert für die konsistente und präzise Verzeichnung von ikonographischen Szenen und Darstellungen. Posthumus ging der Frage nach: „Now that we have Large Language Models, are metadata standards still necessary?”. Da KI-Aussagen und Werte eben selbst bei gleicher Abfrage nicht gleiche Ergebnisse erzielen, ist die Frage nach einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse nur dadurch gegeben, dass auf Modelle referenziert wird, die eine Vergleichbarkeit bieten, Normdaten also, wie etwas ICONCLASS. In frühen Stadien hat es einige Probleme mit der Abfrage solcher Modelle gegeben. Posthumus konnte auch von jüngeren Versuchen berichten, mittels Bilderkennung Abfragen aufzubauen, die durchaus valide Ergebnisse liefern konnten.

Gewissermaßen bildete dieser Vortrag nicht nur den Abschluss der letzten Sektion, sondern auch die Überleitung zur Diskussionsrunde. Diese stand unter der Fragestellung „How could we use machine learning and AI for digital inventories?“. Der Workshop hat neben dem Bedarf, welchen die Forschung hat, auch deutlich gemacht, welche Szenarien in verschiedenen Kontexten bereits ausgetestet wurden, und auch heute schon einsatzbereit sind. Eine Bildbeschreibung etwa mag zwar nicht kunsthistorische Kriterien vollumfänglich erfüllen, doch zum Bespiel für citizien-science-Projekte verlässliche Ergebnisse liefern, mit denen die meisten Nutzenden etwas anfangen können. Auch ist maschinelles Lernen in der Erkennung und Anreicherung von normierten Daten sehr gut ausgeprägt und einsatzfähig, da es wenig Handlungsspielräume für Fehler lässt. Solche Ideen können vor allem für Massenbearbeitungen hilfreich sein, die für menschliche Bearbeitende sehr anstrengend sind, diese konsistent fortzuführen. So könnte perspektivisch wichtige menschliche Arbeitskraft eher für präzise Qualitätssicherung und Einhaltung der Standards genutzt werden als für repetitive Arbeitsschritte.

Am letzten Tag besichtigte die Gruppe noch moderne Glasmalerei in situ in Kirchen und Kapellen, die sich in direkter und naher Umgebung befinden. Dabei wurde erneut deutlich, welchen reichen Kulturschatz die moderne Glasmalerei bietet. Amber Hiscott hat den Begriff der ‚magnificent seven‘ etabliert, die sieben großen deutschen Glasmaler (Georg Meistermann, Johannes Schreiter, Ludwig Schaffrath, Joachim Klos, Wilhelm Buschulte, Jochem Poensgen und Hubert Spierling) nach dem Zweiten Weltkrieg, deren Arbeiten radikal anders als alles Bisherige waren.

Den Auftakt machten die Fenster von Joachim Klos im Liudger-Haus, nahe der Liebfrauen-Überwasserkirche. In der Liebfrauen-Überwasserkirche konnten die Arbeiten von Valentin Feuerstein besichtigt werden, die ebenfalls starke Zeitbezüge haben, wie etwa die Darstellung eines Atompilzes.

Im St. Paulus-Dom fanden sich dann die Fenster in den Kapellen des Chorumganges von Georg Meistermann, die seine letzten Arbeiten darstellen, sowie Fenster von Wilhelm Buschulte im Turm. Den Abschluss machten die Arbeiten, die in jüngerer Zeit von Johannes Schreiter für die Kapelle im Priesterseminar Borromaeum geschaffen worden waren.

 

Tagungsorganisation: ACHRIBI. Für Fragen zur Veranstaltung steht  Maximilian Berkel zur Verfügung.

Den ausführlichen Tagungsbericht mit fotografischer Dokumentation finden Sie hier zum Download.

Plakat zur Tagung