Nachruf auf em. Papst Benedikt XVI.
Am 31. Dezember 2022 verstarb der emeritierte Papst Benedikt XVI., der von 1963 bis 1966 Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster war.
Als Joseph Ratzinger zum Nachfolger von Hermann Volk berufen wurde, kam er nicht als Unbekannter nach Westfalen. Bereits von Bonn aus zog der junge Gelehrte mit seinem Wirken als Konzilsberater des Kölner Erzbischofs weltweite Beachtung auf sich. Ab der zweiten Sitzungsperiode des Konzils, die im September 1963 begann, war der Münsteraner Professor auch formal als Peritus des Zweiten Vaticanums tätig, auf dessen Dokumente er großen Einfluss ausübte.
Mit Joseph Ratzingers Ankunft in Münster war für ihn ein Fachwechsel verbunden. Während er zuvor in Freising und Bonn als Fundamentaltheologe gewirkt hatte, wurde ihm in Münster der Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte übertragen. Joseph Ratzinger schrieb dazu rückblickend in seinen Memoiren: „Bischof Volk drängte, und Freunde redeten mir mit großem Nachdruck zu, daß für mich doch die Dogmatik das Richtige sei und mir ein viel weiteres Wirkungsfeld eröffne als die Fundamentaltheologie; meine Vorbildung von Schrift und Vätern her könne dort viel besser zur Wirkung kommen. […] So begann ich im Sommer 1963 meine Vorlesungstätigkeit in Münster mit einer großzügigen personellen und sachlichen Ausstattung. Die Aufnahme durch das Kollegium war überaus herzlich, die Bedingungen hätten kaum günstiger sein können.“
Die Themen, welche sich das Zweite Vatikanische Konzil im Kontext der Offenbarungs- und Überlieferungstheorie setzte, prägten auch die Forschungen Joseph Ratzingers während seiner Zeit in Münster. Exemplarisch wird dies an dem Vortrag „Das Problem der Dogmengeschichte in der Sicht der katholischen Theologie“ deutlich, den Ratzinger 1965 vor der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalten hielt. Er vertrat darin die These, dass stets „Identität und Verwandlung“ die Geschichte des christlichen Glaubens geprägt haben. „Nur, wo wirkliches Voranschreiten und Sich-Entwickeln stattfindet, darf von Geschichte geredet werden, die bloße Identität des Sich-Gleichbleibenden ergibt wiederum keine Geschichte“, so Ratzinger.
Dass Joseph Ratzinger, der 1966 nach Tübingen und 1969 an die Universität Regensburg wechselte, immer vehementer auf der in Münster von ihm noch problematisierten Vorstellung einer „Identität des Sich-Gleichbleibenden“ bestand, hat manche seiner frühen Wegbegleiter irritiert und sorgt bis in die Gegenwart für Kontroversen. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster gedenkt anlässlich seines Todes jedoch eines ehemaligen Kollegen, der auch auf dem Stuhl Petri geblieben ist, was er bereits als akademischer Lehrer war: ein scharfsinniger und streitbarer Intellektueller, ohne dessen Wirken die Theologiegeschichte der vergangenen Jahrzehnte anders verlaufen wäre.
Möge er ruhen in Frieden.
Michael Seewald, Direktor des Seminars für Dogmatik und Dogmengeschichte
1. Januar 2023