Rückblick auf den ersten “Tag der Digital Humanities an der Universität Münster”

Wegweiser zum Tagungsort
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Wer geisteswissenschaftlich arbeitet, kommt an digitalen Werkzeugen kaum noch vorbei. Aber welche konkreten Methoden und Technologien gibt es und wie können sie bei der Forschungsarbeit helfen? Der erstmals am 27. Mai 2019 vom Center for Digital Humanities (CDH) ausgerichtete „Tag der Digital Humanities an der Universität Münster“ (DH@WWU2019) lud dazu ein, das breite Angebot und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten kennenzulernen. Zugleich war es ein wichtiges Anliegen der Veranstalter, ein Forum für den fachübergreifenden Austausch zu bieten, um so die Vernetzungspotentiale am Wissenschaftsstandort Münster auszuschöpfen. Und so lockte das umfangreiche Programm am sommerlichen Montagnachmittag zahlreiche Mitarbeiter*innen, Forscher*innen und Studierende der verschiedenen Institute und Fachbereiche der Universität Münster in das Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters.

Den Anfang machten zwei bis auf den letzten Platz ausgebuchte Schnupperworkshops. Hier konnten die Teilnehmenden in kurzweiligen 45 Minuten entweder eine anwendungsbezogene Einführung in die Bereinigung und Anreicherung “schmutziger” tabellarischer Daten mit Tools wie OpenRefine [en] (Torsten Hiltmann, Historisches Seminar/SCDH Münster) oder in die Erstellung und Annotation von Sprachkorpora mit Pacx [en] (Ulrike Gut, Englisches Seminar) erhalten. Anhand von Palladio [en] bot sich die Gelegenheit für erste kleinere Visualisierungen der zuvor georeferenzierten Daten und mit WebMAUS [en] wurde die Zusammenführung von Audio- und Textdaten sowie ihre Recherchierbarkeit getestet.

Im Rahmen der sehr gut besuchten Methodenparade wurden in 8- bis 10-minütigen Kurzvorträgen weitere typische Aufgaben des Forschungsalltags aufgegriffen und in die digitale Welt transferiert. So leistete Diego Siqueira (SCDH Münster) Orientierungshilfe in der Technologie-„Buchstabensuppe“ der automatischen Texterkennung. Hinter Kürzeln wie „OCR“ (Optical Character Recognition) stehen Verfahren, mit denen Texte beispielsweise in Retrodigitalisaten historischer Quellen erschlossen werden können. Wozu man die so gewonnenen Textdaten weiterverarbeiten kann, illustrierte Immanuel Normann (SCDH Münster) am Beispiel Digitaler Editionen. Von der DFG geförderte Projekte wie die Faust-Edition oder Teileditionen wie Walter Benjamin Digital offenbaren die Potentiale der kritischen Online-Editionen.

Foto der Veranstaltung
Torsten Hiltmann begrüßt zur Methodenparade
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Welche digitalen Analysemethoden künftig zum Standardrepertoire des Werkzeugkastens der Historiker*innen zählen können, stellte Torsten Hiltmann am Beispiel von Text Mining und Philipp Schneider (IStG Münster) anhand der Sozialen Netzwerkanalyse (SNA) vor. Mit diesen Verfahren können nicht nur große Datenmengen effizient erschlossen, sondern auch potentiell unbekannte Muster und Zusammenhänge aufgedeckt werden. Die Potentiale, die sich bieten, wenn solche Forschungsdaten „sauber“, eindeutig referenziert und vernetzt vorliegen, zeichnete Torsten Hiltmann anschließend in seinem Vortrag zu den Themen Semantic Web und Linked (Open) Data nach. Ziel hierbei ist es, aus der kaum zu überblickenden Informationsmenge im Internet Sinn zu generieren. Das ebnet für die Aggregation und Vermittlung von Wissen neue Wege.

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Eine kleine "Geschichte der Daten": Mirko Westermeier erklärt die Vorteile der Versionsverwaltung von Git
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Den Abschluss des Methoden-Staffellaufs machte Mirko Westermeier (SCDH Münster) mit der Vorstellung von Git [en] als sicherem Hafen für den gesamten Forschungsprozess. Attraktiv ist vor allem die gut durchdachte Versionierungstechnik, wodurch Dateinamen wie „textfinal_lastfinal_FINAL.docx“ obsolet werden. Außerdem bietet die Git-Software eine praktische Umgebung für kollaboratives Arbeiten, bedarf allerdings auch einiges an Einarbeitungszeit. Das ZIV bietet mit GitLab einen eigenen Dienst für Angehörige der Universität Münster an, der beispielsweise auch vom SCDH für die alltäglichen Aufgaben genutzt wird.

Der späte Nachmittag war dem disziplinübergreifenden Networking gewidmet. Lars Linsen (Institut für Informatik) stellte die Münsteraner Informatik vor und zeigte auf, welche Kooperationsmöglichkeiten bestehen. Er betonte, dass eine intensive Zusammenarbeit zwischen den nur scheinbar grundverschiedenen Forschungsrichtungen fruchtbar sei. Die Fragestellungen der Geisteswissenschaften können die Entwicklung neuer und die Verbesserung bereits bestehender Methoden bzw. Technologien in der Informatik voranbringen. Umgekehrt profitieren Geisteswissenschaftler*innen von der technologischen Expertise der Informatiker*innen.

Gerade im digitalen Bereich ist Forschung vielfach Teamarbeit. Der Aufbau einer starken DH-Community an der Universität Münster ist daher ein zentrales Anliegen des CDH und SCDH. Ob beim gemeinsamen Kaffee zwischen den einzelnen Programmpunkten oder bei der nachmittäglichen Postersession – der Austausch der Forschenden und Expert*innen sowie die Knüpfung von nachhaltigen Verbindungen standen im Zentrum. Über 20 Forschungsprojekte nutzten die Postersession, um sich mit ihren Plakaten zu präsentieren. Im vorausgehenden Slam konnten die Kernthemen in kurzen (!) Wortbeiträgen vorgestellt werden, wobei das Zeitlimit von 2 Minuten erstaunlich gut eingehalten wurde.

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Den Vorteil interaktiver Visualisierungen gegenüber einer reinen Ergebnispräsentation hob Stefan Jänicke im Abendvortrag hervor
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Im abschließenden Abendvortrag von Stefan Jänicke (Fakultät für Informatik und Mathematik, Universität Leipzig) wurde nochmals der interdisziplinäre Schulterschluss betont. Er stellte die vielfältigen Möglichkeiten der Datenvisualisierung in den Digital Humanities vor und sensibilisierte für einen methodenkritischen Umgang. Insbesondere wegen der Besonderheiten historischer Daten – zu denken wäre an Unvollständigkeit, Unsicherheiten oder Mehrdeutigkeiten – müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, dass man nur einen Knopf zu drücken brauche, um eine schöne Visualisierung der Forschungsergebnisse zu erhalten. So praktisch die Ready-To-Use-Anwendungen seien, so ungeeignet sind sie doch oft für die heterogenen Quellenbestände. Vielmehr sollten Visualisierungen in enger Zusammenarbeit mit Expert*innen entwickelt und interaktiv in den Forschungsprozess eingebunden werden, um neue Perspektiven auf den Forschungsgegenstand zu ermöglichen.

Die Bilanz für den ersten „Tag der Digital Humanities“ fällt mehr als positiv aus. Das Programm stieß auf reges Interesse seitens der Angehörigen der Universität Münster. Insbesondere die Möglichkeit zum fachübergreifenden Austausch zwischen der Informatik und den Humanities erfuhr große Resonanz. Die digitalen Geisteswissenschaften in Münster rückten an diesem Nachmittag nicht nur räumlich merklich zusammen. Es offenbarten sich die Potentiale aber auch Bedarfe der einzelnen Projekte und Forschenden. Das CDH als Interessenverbund und insbesondere das SCDH als Dienstleister präsentierten sich als kompetente Ansprechpartner für alle Fragen rund um digitale Arbeitsweisen und Infrastrukturen. Man darf gespannt sein, auf welche Entwicklungen beim zweiten „Tag der Digital Humanities an der Universität Münster“ (DH@WWU2020) zurückgeblickt werden kann.

Posterslam

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