Paderborn
© Merian, Topographia Westphaliae, Sammlung IStG

Stadtreformation Paderborn

Stadtherr: Fürstbischof von Paderborn
Reformator: /
Beginn der Reformation: 1532
Kirchenordnung: /

Die Versuche, ein neues Bekenntnis und Kirchenwesen einzuführen, waren nicht in allen westfälischen Städten erfolgreich. In Paderborn konnte sich das Luthertum nicht durchsetzen, weil der Druck von außen zu stark war und weil die Vorstellungen von Rat der Stadt und der reformationswilligen Partei der Bürgerschaft zu weit auseinandergingen. Zudem hingen Erfolg und Misserfolg auch von weiteren Faktoren ab, z.B. charismatischen Predigern, wie das Beispiel Paderborn ebenfalls zeigt.

  • Der Aufruhr von 1528

    Bereits 1528 war es zu einem Aufruhr in der Stadt gekommen, der aus dem traditionellen Gegensatz zwischen der Bürgerschaft und dem Domkapitel gespeist wurde. Der amtierende Bischof Erich von Braunschweig-Grubenhagen (1478–1532) hatte daraufhin den Stadtrat verpflichtet, dass zukünftig kirchenfeindliche und lutherische Handlungen nach Mandat und Edikt von Kaiser und Papst geahndet werden sollten. Allerdings waren die Gründe für die antiklerikale Stimmung in der Bevölkerung dadurch nicht behoben und schwelten unter der Oberfläche weiter.

  • Versammlung, Ausschussbildung und Zustimmung des Rates

    Nach dem Tod Bischof Erichs am 14. Mai 1532 sahen die Anhänger Luthers in Paderborn die Chance, das Machtvakuum für die neue Lehre zu nutzen. Am 1. Juni kam es erneut zu einem „großen Aufruhr“ unter den gemeinen Bürgern. 300 Männer, vermutlich ein Viertel der Bürgerschaft, versammelten sich im Stadthof des Klosters Hardehausen und wählten einen Zwölferausschuss, der die Forderungen nach einem neuen Prädikanten und deutsche Psalmen an den Rat herantragen sollte.
    Aufgrund der Versammlung entsandte zunächst der Rat zwei Ratsdiener zum Klosterhof, die aber nicht eingelassen wurden, so dass sich die Kämmerer selbst auf den Weg machten. Ihnen wurde bedeutet, dass die „Dreihundert“ einen Prädikanten haben wollten, so wie es in Soest, Lippstadt, Lemgo und Minden bereits geschehen sei. Doch der Rat spielte auf Zeit. Er antwortete, er habe mit den Städten des Stifts und der Ritterschaft, also den Ständen, gesprochen und sei mit diesen übereingekommen, zunächst die Wahl eines neuen Bischofs abzuwarten. Bis dahin, so bat sich der Rat aus, sollten sich die 300 Bürger ruhig verhalten. Diese Bitte wurde einen Tag später dem 12er-Ausschuss nochmals angetragen; sie sollten die Sache zunächst „abstellen“. Doch die Ruhe währte nur kurz. Acht Tage später stellten die „Dreihundert“ erneut ihre Forderung, und zwar ohne „middel“, also ohne Kompromiss, sodass der Rat unter Entscheidungsdruck geriet.
    Die Wahl des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied am 13. Juni 1532 zum Paderborner Administrator zwang dann die lutherisch gesonnenen Bürger zum Handeln, denn noch vor dem üblichen bischöflichen Einritt in die Stadt und der mit der Huldigung verbundenen Erneuerung der Privilegien mussten Fakten geschaffen werden. Deshalb nahmen die „Dreihundert“ den Ratsherren die Stadtschlüssel ab, schlossen die Stadttore und zogen zum Weinkeller. Die Bürger stellten den Rat vor die Entscheidung, ob er sie weiterhin vertreten wolle oder nicht. Der Rat spielte aber weiterhin auf Zeit, worauf erneut die Frage gestellt wurde, ob er die Vertretung der Bürger behalten wolle, auch wenn sie die neue Lehre einführen würde. Dermaßen unter Druck gesetzt, betonte der Rat, er wolle bei den Bürgern bleiben bei „Leben und Sterben“, wozu er ja verpflichtet sei. Er wolle sie vertreten, sofern es in seiner Macht stehe. Dieses Versprechen wurde auch verschriftlicht; am 1. Juli 1532 versicherten sich Rat und „Gemeinheit“ in einer Eidverbrüderung gegenseitig, einträchtig beim Wort Gottes innerhalb der Stadt zu bleiben. Das Kirchenregiment übernahm der Rat allerdings nicht. Spätestens jetzt war also das Anliegen der „Dreihundert“ zur Angelegenheit der Gemeinheit und damit der gesamten Bürgerschaft geworden.

  • Einzug des neuen Administrators

    Die zweite Phase der Reformation in der Stadt Paderborn begann mit der Übernahme der Herrschaft durch den neuen Administrator Hermann von Wied (1477–1552), seit 1515 Erzbischof von Köln. Dieser wollte zu seinem Amtsantritt feierlich in Paderborn einziehen und die Huldigung der Stadt entgegennehmen. Dieses Vorhaben war nichts Ungebührliches, weil der Erzbischof als gleichzeitiger Bischof von Paderborn auch der Stadtherr war. Nachdem der Bevollmächtigte des Erzbischofs die Städte des Hochstifts Paderborn und des Herzogtums Westfalen zur Vermittlung aufgefordert hatte, weil Hermann von Wied in dieser Situation Einzug und Huldigung nicht vornehmen wollte, bedrängten die anderen Städte den Paderborner Rat, dass er die „Teufelei“ abstellen sollte. Die Anhänger der Reformation aber waren erzürnt, dass die anderen Städte dieses verlangten. Ihren religiösen Protest brachten sie durch das Singen lutherischer Lieder und Predigten zum Ausdruck. Zudem wiesen sie diejenigen Personen aus, die sie nicht unterstützten.
    Auch der Erzbischof versuchte, Rat und Bürgerschaft zu überzeugen. Er befahl, die „neuen Dinge“ abzustellen, bevor er seinen Einzug halte – er werde dann den Paderbornern eine neue Kirchenordnung erlassen. Doch dieses Angebot wurde abgelehnt. Wohl unter Verweis auf den Wahlspruch der Reformation „Gottes Wort bleibt in Ewigkeit“ betonte die reformationswillige Gemeinde, sie wollte bei dem Wort Gottes bleiben. Diese Losung gab sie den Boten auch schriftlich mit und hielt nun den Zeitpunkt für gekommen, einen Prädikanten einzusetzen.

    Als allerdings am 10. August 1532 Hermann von Wied mit seinem Gefolge nach Schloss Neuhaus bei Paderborn kam, wollte der Rat auf einmal von seiner früheren Zusage gegenüber der Gemeinde und der Eidverbrüderung nichts mehr wissen und betonte stattdessen, er wolle alles tun, was der Erzbischof fordere. Um Loyalität zu demonstrieren, sandte der Rat dem Erzbischof Wein auf das Schloss, den dieser jedoch abwies. Er ließ dem Landtag mitteilen, dass für ihn der Tatbestand des Ungehorsams der Stadt Paderborn erfüllt sei. Auf Bitten der Stände wurde ein nochmaliger Schlichtungsversuch gestartet, doch den ständischen Gesandten konnte der Rat nur mitteilen, dass die Gemeinde bis zum Michaelstag (29. September), aber nicht länger, auf das Singen der neuen Lieder verzichten werde. Pünktlich am Michaelstag fingen die Anhänger der Reformation in der Franziskanerkirche erneut zu singen an. Dies war eine Provokation gegenüber dem Erzbischof und stellte den Anlass für einen innerstädtischen Konflikt mit den altgläubigen Bürgern dar. Diese boten in Gestalt der „Schützen“ dem Rat ihre Vermittlerdienste an und sandten ihren Vorsteher in die Franziskanerkirche. Doch dieser wurde von den dort anwesenden Frauen und Männern mit Steinen beworfen und verjagt. Die in der Kirche versammelten 250 reformatorisch gesonnenen Bürger traten zu einer Schwureinung zusammen. Sie wollten zusammenbleiben und lieber sterben als die neuen Gebräuche abzustellen. Es kreisten Gerüchte in der Stadt, die Aufständischen wollten Ratsmänner und katholische Geistliche erschlagen. Der Bischof ließ seinen Einritt verkünden; Rat und die „Gemeinheit“ (die 40er) sagten zu. Am 8. Oktober 1532 ritt der Erzbischof ein. Jetzt wurde der Ungehorsam erst recht deutlich, da die Lutheraner ihm faktisch die Huldigung verweigerten bzw. sich verstellten, denn zahlreiche Bürger ließen sich nach der Huldigung, also dem Treueid gegenüber dem Stadtherrn, so vernehmen, dass sie diesem zwar „treu und hold“ sein wollten, dass sie dies aber nicht daran hindere, das Evangelium zu verkünden und die Psalmen zu singen. Deshalb haben sie zum Schwur die ganze Hand aufgerichtet und nicht die zwei Finger der Hand wie üblich. Der Erzbischof, der mit starker Mannschaft in die Stadt eingeritten war, ließ die Bürgerschaft im geschlossenen Hof des Abdinghofklosters vor sich antreten, schloss die Tore und beschuldigte die Bürger, ohne seine Zustimmung eigene Prediger einzustellen und deutsche Psalmen singen zu wollen. Dieses sei Ungehorsam. Er ließ 16 Bürger ausrufen, diese verhaften und schickte die anderen nach Hause. Der Erzbischof war formal im Recht, und die Stadt zu schwach, sich mit einer gespaltenen Bürgerschaft zur Wehr zu setzen.

    Nach dem Verhör unter Folter, unter der die 16 Angeklagten die Schwureinung bestätigten, wurden sie zum Tode verurteilt. Daraufhin ließ der Bischof eine Hinrichtungsstätte auf dem Marktplatz errichten. Die Verurteilten sollten die Beichte ablegen und sich auf den Tod vorbereiten. In der Urteilsbegründung heißt es, dass sie gegen das Gebot kaiserlicher Majestät gehandelt und auf „Zwietracht und Unfriede“ hingearbeitet haben. Zudem seien sie ihrem Rat ungehorsam gewesen und haben ihren Bürgereid gebrochen. Als die Verurteilten das Todesurteil vernahmen, fielen sie auf die Knie und baten um ihr Leben. Sie sollen dabei angegeben haben, durch falsche Prediger betrogen und verleitet worden zu sein.
    Der Bischof zeigte sich nun milder gestimmt, wohl auch, weil er als Landesherr Gerechtigkeit und Gnade immer zu verbinden hatte. Zudem setzte in der Stadt ein „jämmerliches Schreien“ ein. 400 Frauen und Jungfrauen baten beim Bischof um das Leben der Männer. Diese wurden begnadigt, mussten aber nichtlutherische Bürgen stellen.

  • Der Rezess von 1532

    Wenngleich der Erzbischof die Ungehorsamen und Unruhestifter begnadigt hatte, so war er gänzlich ungnädig gegenüber der neuen Lehre: Er befahl, dass alle lutherischen Schriften bei Androhung von Todesstrafe dem Offizial überreicht werden sollten; die drei Prädikanten, die sich versteckt hatten, wurden verhaftet. In dem der Stadt aufgezwungenen Rezess vom 16. Oktober 1532 wurde dem Bischof Konsensrecht bei der Ratswahl zugestanden; die Bürger mussten dem neuen Bekenntnis abschwören; selbst Dienstboten aus protestantischen Städten durften nicht eingestellt werden. Der Bürgereid sah zudem vor, dass jeder Bürger die antilutherischen Rezesse von 1528 und 1532 beschwören musste. Das Luthertum hatte somit keine Chance, zukünftig offiziell anerkannt zu werden.
    Außerdem griff der Bischof in die Stadtverfassung ein: Die Zahl der Gemeinheitsherren wurde von 40 auf 24 reduziert, die Kompetenzen dieses Gremiums eingeschränkt und die Schützengesellschaft aufgelöst. All dies aber stärkte den Rat als beauftragte Obrigkeit. Eine Aufhebung der Rezesse erfolgte bezeichnenderweise erst Anfang 1545, als Erzbischof Hermann von Wied in seinen Bistümern und im Herzogtum Westfalen die Reformation einführen wollte. Doch Wieds landesherrliche Reformation scheiterte, und zwar auch am Widerstand des Paderborner Domkapitels und der Stände einschließlich der Stadt.

  • Entwicklung des Luthertums in der katholischen Stadt

    Der Reformationsprozess wurde in Paderborn also 1532 abgebrochen. Der Stadtrat hatte sich auf die Seite der Reformationsunwilligen gestellt. Die Auflagen, die die Stadt gegenüber ihrem Herrn zu erfüllen hatte, schlossen lutherischen Gottesdienst aus. Der Bürgereid war mit dem Bekenntnis zum Katholizismus verbunden worden und verpflichtete den Rat zur Bekenntnistreue. Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde das katholische Bekenntnis im Fürstbistum Paderborn dann zudem auch noch reichsrechtlich fixiert.
    Die Stadt Paderborn hatte bei diesen Voraussetzungen kaum eine Möglichkeit, eine lutherische Stadt zu werden. Trotzdem gewann das Luthertum in der Bürgerschaft nach 1560 wieder an Bedeutung, denn der Anteil der Lutheraner im zuvor katholisch beherrschten Rat stieg seit dieser Zeit an. Das gemischtkonfessionelle Gremium setzte auf das Nebeneinander der Konfessionen in der Stadt. Um diese Bekenntnispolitik durchzusetzen, diente dem Rat eine der vier Pfarren, nämlich die mit einem städtischen Patronat versehene Marktpfarre. Dort wurde seit 1566 im Sinne Luthers gepredigt und die Kommunion unter beiderlei Gestalt gespendet; die anderen beiden Pfarren und der Dom, dessen Kirchenschiff auch Pfarrkirche war, blieben katholisch.
    Bereits 1560 wurde von katholischer Seite beklagt, dass in der Stadt gegen die Artikel des Rezesses von 1532 verstoßen werde. Da es aber keinen lutherischen Gottesdienst gab, besuchten die Paderborner Lutheraner den Gottesdienst in Schlangen in der Grafschaft Lippe, in Höxter bei Corvey und auf der Wewelsburg der Edelherren von Büren. Mitte der 1560er Jahre kam es zu antiklerikalen Äußerungen und zur Verspottung des Dompredigers Roeteken. Zentrum war die Marktpfarrei, wo Pfarrer Martin Hoitbandt das Abendmahl unter beiderlei Gestalt spendete, im Sinne Luthers predigte und wohl die Deutsche Messe zelebrierte. Es seien 1567 von den ca. 4.000 Einwohnern 500 Paderborner in die Marktkirche zum Abendmahl gegangen. In diesen Jahren predigte Hoitbandt gegen Messopfer, Priesterweihe, Anrufung der Heiligen, Marienkult, Wallfahrten und Ablass. Zweimal musste er auf Geheiß des Bischofs die Stadt verlassen, kam aber jedes Mal zurück, bevor er Ende 1568 endgültig nach Soest wechselte, wo er eine Stelle als Prediger am Walburgisstift übernahm.

  • Unterstützung durch den Rat

    Dass der Rat das Luthertum stützte, obwohl zu dieser Zeit die Ratsherren noch mehrheitlich katholisch waren, zeigt sich auch daran, dass sich der Rat mehrmals für Hoitbandt einsetzte: Zwar ist unklar, ob Hoitbandt schon als dezidierter Lutheraner berufen worden war, doch als er in diesem Sinne wirkte, hielt der Rat an ihm fest und weigerte sich zunächst, die bischöfliche Entscheidung einer Absetzung mitzutragen. Nach seiner ersten Rückkehr legten sie Fürbitte bei Fürstbischof Rembert von Kerssenbrock ein. Mehr könnten sie hingegen nicht tun, da sie dem Fürsten unterworfen seien und dieser als Landesherr die Religion zu verwalten habe, gaben die Ratsherren am 26. September 1567 an, als Hoitbandts um weitere Unterstützung bat. Doch sein Wirken an der Marktkirche sei richtig gewesen. Trotzdem rieten sie dem Pfarrer, erneut die Stadt zu verlassen. Sie gaben aber ein Gutachten in Auftrag, ob es im Augsburger Religionsfrieden und in der sogenannten Declaratio Ferdinandea nicht doch einen Ausweg für eine landsässige Stadt gebe. Die beauftragten Juristen verneinten dies allerdings. Auch eine auf Bitten der Kirchspielseingesessenen der Marktkirche vorgenommene Intervention des hessischen Landgrafen Wilhelm beim Fürstbischof zeigte keine Wirkung. Die Maßnahmen verdeutlichen aber, dass der Rat das Luthertum als Teil der Stadtgesellschaft ansah, doch seine Befugnisse durch die Regelungen von 1532 und 1555 eingeschränkt waren. Immerhin nutzte der Rat dann den Tod des Bischofs im Februar 1568, um Hoitbandt umgehend aus seinem Exil zurückzuholen.
    Die schwache Rechtsposition des Rates wurde erneut deutlich, als der neue Bischof, Johann von Hoya, Hoitbandt wiederum auswies und sich vom Rat am 11. Februar 1569 nicht nur die Einhaltung aller Rezesse bestätigen ließ, sondern auch eine „christliche Verordnung“ für die Marktkirche ankündigte. Dort solle nämlich keine „Veränderung wider den Religionsfrieden“ mehr stattfinden. Deshalb werde der Bischof die Kirchendiener zu ihrem Amt „verordnen“. Damit setzte Bischof Johan das Patronatsrecht des Rates außer Kraft.

  • Wiederherstellung des konfessionellen Miteinanders

    Ab 1577 konnte der Rat die konfessionelle Koexistenz wiederherstellen, da der auf Bischof Johann und Bischof Salentin folgende Administrator Heinrich IV. von Sachsen-Lauenburg lutherisch orientiert war. Daran änderte zunächst auch die von Teilen des Domkapitels auf den Weg gebrachte Ansiedlung der Jesuiten 1580 in der Stadt nichts. In dem Brief der Bürgermeister und Ratsherren vom 17. März 1599 an den hessischen Landgrafen wird deutlich, dass wohl mit dem Amtsantritt Heinrichs erneut der lutherische Gottesdienst eingeführt worden war. Belegt ist, dass 1577 der 1570 wahrscheinlich vom Bischof benannte Pfarrer der Marktkirche, Georg Holthausen, im Sinne Luthers predigte und sich dann auch verheiratete. Sein Nachfolger Tünnecken, der vom Dompropst investiert wurde, folgte ihm in Predigt und Eheschließung nach. 1577 scheinen auch die Seelsorger der Gaukirche und der Busdorfkirche evangelisch gepredigt und unter beiderlei Gestalt das Abendmahl gereicht zu haben, Letzteres aber nicht in der Busdorfkirche, sondern in der nahen Laurentiuskapelle. In der Folgezeit gerieten diese beiden Pfarrstellen wieder in katholische Hände; die Marktkirche blieb aber Tünneckens Pfarrei, der über die Pfarrgrenzen hinweg die Protestanten der Stadt seelsorglich betreute. Er wurde vom Rat gestützt, denn die Bürgermeister erklärten dem Archidiakon, der Bischof (wohl Heinrich) habe der Stadt beide Konfessionen erlaubt. Gleiches betonte auch der Pfarrer. Noch 1604 wird die konfessionelle Zuordnung der Marktpfarrei daran deutlich, dass dort der Einführungsgottesdienst für den nun mehrheitlich von Lutheranern gestellten Rat stattfand.

  • Das Ende der konfessionellen Koexistenz

    1604 führten politisch-soziale Konflikte in der Stadt zum Ende des vom Rat austarierten Modus vivendi, wobei ab 1580 die Jesuiten als Speerspitze der Gegenreformation die konfessionellen Gegensätze zuspitzten und die Jugend der Stadt in ihrem Sinne beeinflussten. Die Ratsherrschaft nahm, so die Kritik der Bürgerschaft, immer mehr obrigkeitlich-oligarchische Züge an; Vorwürfe von Misswirtschaft standen im Raum. Die Konfessionsfrage wurde somit überlagert durch einen Partizipationskonflikt. Diese Situation führte 1604 zur Einnahme der Stadt durch Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg, die als „ Kampf um Paderborn“ bekannt geworden ist, der mit der grausamen Hinrichtung des Bürgermeisters Wichart 1604 seinen Abschluss fand. Das Resultat war, dass das Zeitalter der Konfessionalisierung endgültig anbrach.

Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 144 – 147, 331 – 334.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/paderborn/index.html