Dortmund
© Merian, Topographia Westphaliae, Sammlung IStG

Stadtreformation Dortmund

Stadtherr: Freie Reichstadt
Reformator: /
Beginn der Reformation: 1562
Kirchenordnung: /

Obwohl Dortmund die einzige Reichsstadt in Westfalen war und somit hinsichtlich reformatorischer Bestrebungen theoretisch frei von territorialherrlicher Einwirkung hätte agieren können, ist der Einfluss der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg und ihrer humanistischen Reform als reformatorischer „Mittelweg“ (Via media) im Dortmunder Reformationsgeschehen nicht zu übersehen. Seit 1513 übte der Klever Herzog zudem die Schirmherrschaft, eine Schutzaufgabe, im Auftrag des Reiches über Dortmund aus und konnte dadurch auch die Eliten der Reichstadt (Rat und Klerus) im Sinne seines humanistischen Reformkonzepts beeinflussen. Dieser Einflussnahme ist es wohl auch geschuldet, dass sich der Dortmunder Reformationsprozess bis zur Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert hinzog.

  • Konflikte zwischen Klerus, Rat und Bürgerschaft

    Konflikte zwischen Klerus und Laien lassen sich in Dortmund im Reformationszeitalter bereits früh nachweisen. Bereits 1518 kam es zu einer Kontroverse zwischen Klerus und Rat wegen der öffentlichen Bekanntmachung einer päpstlichen Bulle. In diesem Zusammenhang scheint der Rat dem Klerus Handel und Gewerbe verboten zu haben, worauf der Klerus den Eingriff in seine Freiheiten mit der Exkommunikation der Stadt beantwortete. Erst 1519 wurde die Stadt wieder von dieser befreit.

    Ebenfalls noch ganz in spätmittelalterlichen Bahnen hinsichtlich der Forderungen und des Konfliktablaufes verliefen die Geschehnisse in Dortmund 1523. Damals kam es wegen zu hoher Stolgebühren bei Beerdigungen zu einem Tumult zwischen Bürgern und Klerus. Im Anschluss wurden Artikel seitens der Bürgerschaft aufgestellt. Darin hieß es, dass den Mägden des Klerus der Getreideverkauf und den Geistlichen der Besuch öffentlicher Gasthäuser und von Hochzeits- und Tauffeiern verboten werden sollte. Die wirtschaftlichen Privilegien und das alltägliche Verhalten der Geistlichen scheinen hier Stein des Anstoßes gewesen zu sein. Auch genereller Antiklerikalismus lässt sich vermuten, da es hieß, dass es viele gebe, die die Kleriker hassten und ihnen feindlich gesonnen waren. Ob diese Abneigung gegen die Geistlichkeit allerdings von der Kritik Luthers beeinflusst war, muss offenbleiben.
    Wie bei den spätmittelalterlichen Stadtkonflikten üblich, kam es zu einem Vergleich, der jedoch erst am 17. Oktober 1525 geschlossen wurde: Der Klerus verzichtete auf bürgerliches Gewerbe und Handel sowie auf das Vorkaufsrecht an Markttagen. Die von Geistlichen bewohnten Bürgerhäuser, die aber nicht zur kirchlichen Vermögensmasse gehörten, wurden steuer- und dienstpflichtig. Abschließend hatte der Klerus anzuerkennen, dass jeder Priester, der gegen den Vergleich verstieß, seine geistlichen Freiheiten in Dortmund verlor. Ein Verbot religiöser Neuerungen enthielt der Vergleich aber nicht. Außerdem kam es auch nicht – wie andernorts im Zuge derartiger Unruhen – zur Bildung eines Ausschusses.

    1527 lassen sich dann erstmals reformatorische Forderungen feststellen. Damals verlangten die Gilden vom Rat neue Prädikanten, da sie der neuen Lehre anhingen. Der 24er-Ausschuss, ein schon bestehendes Organ der sechs Gilden, wurde in das Rathaus zitiert, wo er vor dem Rat die Forderung wiederholte, andere Prediger haben zu wollen. Nur vier der 24 Mitglieder des Gremiums blieben altgläubig. Doch der Rat konnte mit Verweis auf (nicht näher zu bestimmende) Reichstagsabschiede die Lage beruhigen. Die Gilden nahmen daher zunächst von ihrem Vorhaben Abstand.
    Wohl beeinflusst durch die Erfolge der Reformation in anderen westfälischen Städten wie etwa Münster und möglicherweise auch durch die Außerkraftsetzung der Edikte von Worms und Speyer im Nürnberger Anstand (24. Juli 1532) erneuerten die Bürger 1532 ihre religiösen Bedürfnisse in Gestalt eines Kataloges, der um den 25. Juli 1532 entstand. Das Evangelium sollte derart in allen vier Pfarrkirchen und in den beiden Männerklöstern der Stadt gepredigt werden, wie es die Heilige Schrift vorgebe. Die Forderungen der Bürgerschaft scheinen allerdings recht unspektakulär gestellt worden zu sein. Weder antikatholische Polemik noch Protestrituale, Aufläufe oder Rufe nach Ablösung des Rates sind überliefert. Der Forderungskatalog war gemäßigt, da die Einführung der Deutschen Messe ebenso darin fehlte wie der Wunsch nach dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Der Rat stimmte zusammen mit den beiden anderen Verfassungsorganen, dem 24er-Auschuss der Gilden und dem 12er-Auschuss des Patriziats, der Forderung nach Predigt des „heiligen Evangeliums“ zu. Da der Rat im Besitz des Patronatsrechts der Kaplanei an der Reinoldikirche war, beabsichtigte er, den katholischen Kaplan Johann von Berchem zu entlassen, und berief als potentiellen Nachfolger den Lippstädter Reformator Hermann Koiten, der zu dieser Zeit in Münster wirkte. Dieser aber sagte dem Rat ab, weil er in Münster weiterhin Bernhard Rothmann in der Lambertipfarrei unterstützen wollte. Weitere Maßnahmen erfolgten nicht; der altgläubige Kaplan behielt sein Amt. Möglicherweise lag diesem Rückzieher des Rates religiöse Überzeugung zugrunde. Allerdings könnte auch Rücksichtnahme gegenüber Kaiser und Herzog zu vermuten sein. Doch auch von Seiten der Bürgerschaft kam es nicht zu weiteren Versuchen, den Rat unter Druck zu setzen. Das Luthertum wurde also nicht offiziell eingeführt.

  • Humanistische Reform

    Mit der Gründung des städtischen Gymnasiums 1543 wird ersichtlich, dass der Dortmunder Rat den Weg der humanistischen Reform Jülich-Kleve-Bergs eingeschlagen hatte. Die Lehranstalt war eine humanistische, von Gelehrten geleitete Schule, die auf die Universität vorbereitete. Geistliche Pfründen wurden für den Unterhalt der Lehrer umgewidmet. Neben dem Rektor Johannes Lambach ragte der als Lehrer tätige, mit einer Klerikerstelle an St. Marien versehene Jakob Schöpper hervor. Der Sohn eines Dortmunder Priesters verfasste 1548 einen Katechismus, der bis 1571 vierzehn Auflagen erreichte; zwei davon wurden in Dortmund gedruckt. Dieser Katechismus wollte Katecheten und Kinder im humanistisch-katholischen Sinne anleiten. Gleiches ist für die Predigten Schöppers festzuhalten, die dieser zum Zwecke der Unterweisung hielt. Hier wollte er u.a. angehenden Geistlichen eine Handreichung für liturgische und seelsorgliche Fragen geben. Auch diese Predigten wurden gedruckt, und zwar auf lateinisch und deutsch (letztere 1558–60). Dortmund war einer der Druckorte; der Katechismus Schöppers fand auch überörtliche Verbreitung in Westfalen, nachweislich im Paderborner Land.

    In seinen Predigten ging es Schöpper um die Rechtfertigung aus dem Glauben und aus den Werken. Das Priestertum als ein von den Laien geschiedener Stand wurde von ihm ebenso bejaht wie die Transsubstantiationslehre und der Opfercharakter der Messe. Die Kommunion unter beiderlei Gestalt lehnte er ab. Auch die Fürbittfunktion der Heiligen wird von Schöpper bestätigt, doch deren Vorbild ist für ihn mindestens genauso wichtig.
    Neben ihrer Vermittlung in der Schule fanden die Ideen Schöppers auch in der Dortmunder Bevölkerung über die von ihm verfassten Theaterstücke mit biblischen und moralisierenden Themen Verbreitung, die regelmäßig aufgeführt wurden. Insgesamt wird ersichtlich, dass in der Schule der humanistische Bildungsimpetus stark war: Aus einer fundierten Bildung sollte eine Beseitigung kirchlicher Missstände erwachsen. Der patrizisch dominierte Rat unterstützte die Idee der Via media, da sich doch der Konfessionskonflikt vermeiden und der Stadtfriede aufrechterhalten ließ. Auch die Gildevertreter befürworteten diesen Reformweg.

  • Die Langzeitreformation

    Somit wird deutlich, dass in Dortmund lateinische Messe, Bruderschaften und Prozessionen weiterbestanden. Erst nach dem Tod Jakob Schöppers (1554) kam es zu einer Reformation in langsamen Schritten. Zunächst gelangten an den Stadtkirchen lutherische Prädikanten ins Amt. Johannes Heidfeld, Schüler und Nachfolger Schöppers als Prediger an der Marienkirche, war es, der den Konflikt suchte und eine Anhängerschaft fand. Am Fronleichnamsfest 1556 predigte er gegen die Kommunion unter einer Gestalt, woran sich ein Aufruhr anschloss. Der Geistliche wurde daraufhin entlassen; die lutherischen Bürger besuchten nun die Kirchen im Umland. Im März 1562 kamen der Rat und die beiden dem Rat zugeordneten Ausschüsse der 12er und 24er dem Gesuch der Bürger aus dem Vorjahr nach, die Kommunion unter beiderlei Gestalt zuzulassen. Die Zeremonien und Gesänge der Kirche sollten aber erhalten bleiben. Auch die Prozession mit dem Altarsakrament, die andernorts ein wichtiger Angriffspunkt für Spott- und Protestrituale in der heißen Phase der Reformation war, durfte weiterhin stattfinden. Die Bürger konnten entscheiden, ob sie unter einer oder beiden Gestalten kommunizieren wollten. Für den Ablauf des Gottesdienstes hatte dies zur Folge, dass die Messe weiterhin als Opfermesse in lateinischer Sprache stattfand. Im Anschluss an diese fand eine deutsche „Vermahnung“ statt und, je nach Wunsch, die Kommunion unter beiderlei oder einer Gestalt. 1564 wurde vom Rat der Gesang der Psalmen auf Deutsch in den Pfarrkirchen zugelassen, und zwar vor und nach der Predigt sowie nach der „Vermahnung“ vor der Darreichung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt. Diese fand immer noch nach der Messe statt. Die Übereinkunft wurde Gilden, Ämtern und der gesamten Bürgerschaft gegenüber dem Rat gelobt. Eine neue Schwurgemeinschaft zwischen Rat und Bürgerschaft war somit entstanden, der das neue Bekenntnis, das agendarisch eine Mischliturgie war, zugrunde lag.
    Im Jahr 1566 wurde der nächste Schritt zur Reformation vollzogen, indem in St. Reinoldi und St. Marien die Elevation, d.h. das Emporheben der Hostie und wohl auch des Kelchs, abgeschafft wurde. Vermutlich fanden damit auch die katholische Gabenbereitung und der
    Kanon mit Wandlung ihr Ende. 1568 scheint dann die Deutsche Messe endgültig eingeführt worden zu sein. 1570 formulierten die Geistlichen der Stadtpfarreien ein Bekenntnis, das dem Augsburger Bekenntnis entsprach. Dies wurde vom Rat akzeptiert und offiziell eingeführt. Ferner erließ der Rat ein Edikt gegen Täufer, „Sacramentirer“ und „Winkelprediger“. Die 1556 begonnene Langzeitreformation fand ihren Abschluss. 1611 wurde bei der Visitation des päpstlichen Nuntius festgestellt, dass Rat und alle Bürger „häretisch“ seien. Nur einige Patrizier hingen noch der katholischen Lehre an.

  • Fazit

    Fasst man die überlieferten Ereignisse zusammen, so gelang es dem patrizischen Rat, die reformationswillige Handwerkerschaft 1527 bzw. 1532 von ihrem Anliegen abzubringen. Auffällig ist, dass in dieser Phase Prädikanten fehlten. Mit der humanistischen Reform, die aus den Nachbarterritorien bekannt war, konnte die städtische Eintracht (concordia) gesichert werden. Deshalb setzte der Rat auf diese Form der Bildungs- und Kirchenreform, die auch von der Bürgerschaft gestützt wurde. Erst um 1555 wurde von Seiten der Bürger der Konsens aufgekündigt und eine Langzeitreformation eingeläutet, die im Einvernehmen von Bürgerschaft und Rat durchgeführt wurde.

Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 211 – 219.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/dortmund/index.html