Lemgo
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Stadtreformation Lemgo

Stadtherr: Grafen zur Lippe
Reformator: Liborius Rudolphi
Beginn der Reformation: 1527/28
Kirchenordnung: 1533 bzw. 1537

Die Stadt Lemgo bildete das Zentrum der Reformation in der Grafschaft Lippe, obwohl oder, weil die Stadt im 16. Jahrhundert weitgehend autonom handeln konnte. Offiziell war Lemgo Teil der Grafschaft Lippe, die Landesherren ließen der Stadt aber weitestgehend freie Hand in der Ausgestaltung ihrer Politik. Kirchlich gehörte Lemgo dem Bistum Paderborn an, das Patronatsrecht über die drei städtischen Kirchen, St. Nicolai in der Alt- und St. Maria in der Neustadt, sowie St. Johann extra muros, hatte das Frauenkloster St. Marien inne.

  • Auftakt zur Reformation

    Den Auftakt zur Reformation in Lemgo bildete ein Ereignis, das sich um 1527/28 zutrug. Damals war es zu Auseinandersetzungen gekommen, weil ein altgläubiger Priester „wortgewaltig und frech“ an der Nikolaikirche predigte, was aufgebrachte Bürger veranlasste, vor und nach der katholischen Messe Lieder Luthers (wohl auf niederdeutsch) zu singen: „Nun bitten wir den heiligen Geist“, „Es soll uns Gott gnädig sein“, „Wir glauben alle an einen Gott“, „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘“. So berichtet es der Chronist der Reformation in Westfalen, Hermann Hamelmann, im Jahr 1567. Dies zeigt, dass bereits damals lutherisches Gedankengut und Schriften Eingang bei der Lemgoer Bevölkerung gefunden hatten. Einige Bürger gingen daraufhin nach Herford und warben den Herforder Minoriten Liborius Rudolphi als Prediger an. Dieser besorgte dann die Nachmittagspredigt an der Lemgoer Nikolaikirche. Allerdings bleiben die genauen Mechanismen der Anstellung unklar.
    1528 oder 1529 forderte Rudolphi, vom Lemgoer Rat geduldet, den Pfarrer Piderit zur Disputation heraus. Beide Geistliche setzten sich im Rathaus in Anwesenheit von Rat und Bürgern über Rechtfertigung und Eucharistie auseinander. Rudolphi verwies dabei auf die einschlägigen Stellen des Römer- und des Hebräerbriefes sowie bezüglich der Eucharistie auf den Brief an die Korinther. Piderit rekurrierte, so der protestantische Berichterstatter Hamelmann 1567, auf die Kirchenväter und auf eine Verteidigungsschrift des katholischen Theologen und Widersacher Luthers, Johannes Eck, die kurz zuvor erschienen war.
    Da die Disputation also unentschieden ausgegangen war und die lutherische Position sich nicht eindeutig durchgesetzt hatte, schloss sich der Rat der Linie des Bürgermeisters Conrad Flörken an, der vor den Gefahren für den Stadtfrieden warnte und zum Schutz der kirchlichen Einrichtungen aufrief. Daraufhin kehrte ein Jahr Ruhe in der Stadt ein. Doch dann geriet der Rat wieder unter Druck: Zu Ostern 1530 kam es zu Tumulten an St. Nikolai – hier war inzwischen der Prädikant Gläseker tätig –, und zudem wurden nun auch in der Marienkirche deutsche Lieder vom Schullehrer mit seinen Schülern angestimmt. Mehrfach musste sich der Rat gegenüber dem lippischen Grafen und auf den Landtagen dafür rechtfertigen.

  • Bürgerversammlung und Ausschussbildung

    Im Frühjahr 1531 nahmen die innerstädtischen Spannungen zu. Die reformationswilligen
    Bürger schlossen sich zusammen; ein Ausschuss – die 24er – wurde gebildet. Dies geschah im Rahmen einer Bürgerversammlung, zu der wohl die Stadttore geschlossen worden waren. Der Ausschuss übergab dem Rat zwölf Artikel, die sich wesentlich auf die Reformation bezogen: Messen sollten in den Klöstern verboten werden; die Bürger durften an keinen katholischen Gottesdiensten in den Pfarrkirchen teilnehmen; der in der Stadt bereits wirkende Prädikant Gläseker sollte unterstützt werden. Im Juni 1531 kam es zu einem Klostersturm, der gegen die Augustinerinnen des Süsternhauses gerichtet war. Wohl gleichzeitig eskalierte der Streit zwischen den Prädikanten und den Franziskaner-Observanten, den der Rat nur noch durch das Verbot des katholischen Gottesdienstes in der Klosterkirche zu beenden wusste. Auf dem Landtag zu Bentrup musste sich der Rat am 14. Juli 1531 wegen dieser Unruhen und der reformatorischen Aktivitäten in Gegenwart des Grafen verantworten. Graf Simon V. beklagte die Übergriffe auf die kirchlichen Einrichtungen. Die 24er, die die Lemgoer neben ihren Rat gesetzt hatten, sollten entlassen werden. Die Lemgoer sollten dem Rat wieder Gehorsam leisten. Der Rat wurde verpflichtet, zukünftig in der Stadt „aufrührerische Versammlungen“ zu unterbinden und eine Strafzahlung von 1.000 Gulden zu entrichten. Kirchliche Einrichtungen seien zu schützen.
    Daraufhin rechtfertigten sich die reformationswilligen Bürger gegenüber dem Rat dahingehend, dass derjenige, der sich gegen den alten Glauben einsetze, nicht unrechtmäßig handele, wie es der Landesherr und der Rat sahen, sondern im Einklang mit dem Wort Gottes. Die Bürger betrachteten die Stadt als evangelisches Gemeinwesen. Sie forderten, dass der Rat sich als christliche Obrigkeit verhalten und die Gebote der Hl. Schrift befolgen müsse. Nur daraus könne „Eintracht“ erwachsen. Dies sei dem Römerbrief des Paulus, den Petrusbriefen und dem alttestamentarischen Buch der Könige zu entnehmen. Eine christliche Obrigkeit könne deshalb die Forderung nach lutherischer Predigt nicht als „aufrührerisch“ bezeichnen. Möglicherweise kam es in diesem Kontext, also im Sommer 1531, zu einem Bildersturm: Bilder und Leuchter wurden aus der Nikolaikirche entfernt, das Minoritenkloster erneut angegriffen. Zu Anfang des Jahres 1532 erzwangen die 24er die Umbildung des Rates im Hinblick auf eine lutherische Mehrheit, nachdem schon im Juli 1531 die beiden altgläubigen Bürgermeister die Stadt verlassen hatten.

  • Pfarrerfrage

    Damit war in Lemgo der Weg für die Reformation frei; der neue Rat, der von den beiden lutherischen Bürgermeistern Ludolf Meier und Ernst von der Wipper angeführt wurde, und die 24er begannen die Pfarrerfrage zu lösen. Graf Simon V. beklagte sich diesbezüglich: Man habe die Geistlichen belästigt und die letzte katholische Kirche geräumt. 80 katholische Bürger haben die Stadt verlassen und seien nach Detmold geflüchtet. Der Rat unternahm den nächsten Schritt, indem er im Frühjahr 1533 auf Empfehlung von Johann Westermann Gerdt Oemeken, den Reformator von Lippstadt und Soest, als ersten Prediger an St. Nikolai und als „Kircheninspektor“ berief. Mit diesem Amt, das dem des Superintendenten entsprach, war eine neue Kirchenhierarchie installiert; der Rat hatte die Patronatsrechte nun auch formal übernommen. Oemekens wichtigste Aufgabe bestand darin, eine Kirchenordnung einzuführen. Er übernahm hierfür die Braunschweiger Kirchenordnung; eine eigene Kirchenordnung wurde erst 1537 erstellt. Vorweggegangen war eine Reise des Prädikanten an der Nikolaikirche, Moritz Piderit, und des Bürgermeisters Johann Detering nach Braunschweig. Im weiteren Verlauf des Jahres 1533 berief der Rat für die beiden anderen Kirchen, St. Marien und St. Johann, lutherische Prädikanten, darunter den aus Ahlen vertriebenen Gerhard Cotius.

  • Festigung der Reformation

    Graf Simon V. versuchte, nach der Kapitulation Lippstadts im August 1535, auch Lemgo zu unterwerfen. Er forderte die Öffnung der Stadt. Rat und „Gemeinde“ (= Bürgerschaft) antworteten ihm am 12. September 1535, man werde die geschlossenen Verträge halten, jedoch nur insoweit, als sie mit dem Evangelium und der Kirchenordnung übereinstimmten. Auf Vermittlung des von den Lemgoern angerufenen hessischen Landgrafen ließ Graf Simon von diesem Vorhaben zunächst ab; es sollte verhandelt werden. Doch mit dem Tode Simons V. 1536 änderte sich die Lage: 1537 erkannten die lippische Vormundschaftsregierung für den noch unmündigen Erben und die lippischen Stände unter maßgeblicher Vermittlung des hessischen Landgrafen die Lemgoer Reformation an. In dem Vergleich war die formale Oberaufsicht des Landesherrn festgeschrieben worden. Auf der Basis der Braunschweiger Kirchenordnung wurde im Anschluss eine eigene Kirchenordnung erstellt, die allerdings nicht gedruckt wurde. Die Reformation in Lemgo war damit abgeschlossen; der Rat übte das Kirchenregiment aus.

Literatur

Roland Linde, Wer waren die Akteure der Reformation in Lemgo? Eine prosopographische und genealogische Spurensuche, in: Glaube, Recht und Freiheit. Lutheraner und Reformierte in Lippe, hrsg. v. Andreas Lange, Lena Krull u. Jürgen Scheffler, Bielefeld 2017, S. 77 – 89.

Lena Krull, St. Johann und die "Freiheit". Zur Koexistenz von Lutheranern und Reformierten in Lemgo, in: Glaube, Recht und Freiheit. Lutheraner und Reformierte in Lippe, hrsg. v. Andreas Lange, Lena Krull u. Jürgen Scheffler, Bielefeld 2017, S. 187 – 199.

Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 93 – 94, 104 – 105.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/lemgo/index.html