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Armut als Gesundheitsrisiko

Bewegungsmangel bei Jugendlichen: Bundesweite repräsentative Studie liefert alarmierende Ergebnisse

Sport hält gesund – diese Binse ist so banal wie wahr. Aber wie viel Bewegung ist nötig, gerade für Heranwachsende? Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt für Kinder und Jugendliche rund eine Stunde pro Tag. Vor diesem Hintergrund liefert nun eine Studie unter Federführung der Universität Münster zum Teil besorgniserregende Zahlen: Die vom Bund geförderte Untersuchung zum Potenzial von Bewegung, Spiel und Sport für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen ergab, dass immer weniger Jugendliche (60 Prozent) in ihrer Freizeit regelmäßig Sport treiben. „Diese Zahl ist nicht nur überraschend, sondern alarmierend“, betont Projektleiter Dr. Dennis Dreiskämper vom Institut für Sportwissenschaft.
Die Studie ist Teil des Projekts „Move for Health“ der Deutschen Sportjugend (dsj) und wird durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit 300.000 Euro gefördert. Im Juli und August wurden über 4.000 Haushalte befragt: 2.112 Eltern schätzten dafür das Bewegungsverhalten und die Fitness ihrer Kinder (fünf bis zwölf Jahre) ein, außerdem Eltern von 1.978 Jugendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren und die Jugendlichen selbst. Zuletzt hatte eine vom Deutschen Sportbund in Auftrag gegebene Studie 2003 und 2006 den Schulsport in Deutschland untersucht. Seither gab es in diesem Bereich kaum repräsentative Zahlen. Nun legt das Forschungsteam aktuelle Zahlen vor, die vollständige Studie wird im Frühjahr 2024 veröffentlicht und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Praxis vorgestellt. Aus den frischen Daten leiten die Wissenschaftler besonders bei den Jugendlichen einige Auffälligkeiten ab.

Ihren Gesundheitszustand schätzen die meisten befragten Jugendlichen positiv ein: Über 95 Prozent bezeichnen ihre körperliche Fitness als „ausgezeichnet“ bis „gut“. „Sport treiben“ ist nach wie vor eines der beliebtesten Hobbys der 13- bis 17-Jährigen. Es belegt hinter „Spielkonsole/PC/Smartphone spielen“ (41,4 Prozent) und „mit Freunden treffen“ (35,5 Prozent) jedoch nur Rang drei (32 Prozent) – knapp vor der Kategorie „Internet und Soziale Netzwerke“ (30 Prozent). Rund 57,5 Prozent aller Jugendlichen sind Mitglied in einem Sportverein.

Vor diesem Hintergrund sind vor allem die Werte einzelner, negativer Empfindungen beachtlich: Rund 30 Prozent der Jugendlichen gaben an, sich oft gestresst zu fühlen. Knapp 30 Prozent machen sich außerdem oft Sorgen, über fünf Prozent sehr oft. Ähnliche Werte ergaben auch die Befragungen nach Ermüdungs- und Erschöpfungsgefühlen. „Eine signifikante Anzahl empfindet also psychosoziale Belastungen“, erklärt Dennis Dreiskämper. „Außerdem weisen unsere Fragen nach der Lebenszufriedenheit einen hohen Anteil unzufriedener Jugendlicher aus.“ Zum Beispiel gaben zwölf Prozent an, sich in der vergangenen Woche „selten/nie“ fröhlich gefühlt zu haben. „Jugendliche, die sportlich aktiv sind, weisen seltener einen schlechten Gesundheitszustand auf“, erläutert der Sportpsychologe. „Ähnliche Ergebnisse haben wir für die Sportvereinsmitgliedschaft gefunden.“
Zudem habe die finanzielle Situation einen starken Einfluss auf das Bewegungsverhalten: Jugendliche aus Familien, die Unterstützungsleistungen erhalten, sind nur zu 43,3 Prozent aktiv, bei den anderen Jugendlichen liegt der Wert bei knapp 63 Prozent. „Armut ist ein Gesundheitsrisiko“, betont der Projektleiter. „Daher müssen wir gerade für sozial schwache Familien Angebote schaffen, damit sie sportlich aktiver werden und so ihre Gesundheit fördern.“ Das Projekt „Gesunde Kommune Altenberge“ ist ein Beispiel: Hier arbeiten die Sportwissenschaftler eng mit der dortigen Grundschule und Gemeinde zusammen.

Derzeit führt das Team der Universität Münster Gespräche mit dem BMFSFJ und der dsj, in denen es um eine Weiterführung des Projekts geht: Die aktuelle Befragung soll zur Längsschnittstudie werden, indem die gleiche Studie zu unterschiedlichen Zeitpunkten erneut durchgeführt wird. So könnten die Ergebnisse in Zukunft miteinander verglichen werden. „Es gab in den vergangenen zehn Jahren kaum belastbare Zahlen – insbesondere die Sichtweise der jungen Menschen selbst fehlte. Das wollen wir ändern“, betont Dennis Dreiskämper.

Autorin: Hanna Dieckmann
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 4. Oktober 2023.