Über Hirntod und Organspende

Mediziner und Theologe diskutieren über Transplantationsmedizin

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Prof. Dr. Hartmut Schmidt und Prof. Dr. Traugott Roser (v.l.)

Über Organspende nach dem Lebensende haben der Direktor der Klinik für Transplantationsmedizin am Universitätsklinikum Münster (UKM), Prof. Dr. Hartmut Schmidt, und der evangelische Theologe Prof. Dr. Traugott Roser von der Universität Münster in der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“ diskutiert. Prof. Schmidt beschrieb in der öffentlichen Veranstaltung das System und die Abläufe von Organspende und Transplantation und verwies auf aktuelle Schwierigkeiten wie unzureichende gesetzliche Regelungen. Prof. Roser gab Einblicke in die praktischen Herausforderungen und ethischen Fragen im Alltag von Krankenhausseelsorgern. Die beiden Wissenschaftler gingen besonders auf den Hirntod als wichtiges Kriterium für die Organentnahme ein.

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Ton-Mitschnitt der Diskussion

Für die Entnahme von Organen sei die Frage nach dem Todeszeitpunkt eines Menschen von entscheidender Bedeutung, so Prof. Schmidt. In Deutschland habe die Bundesärztekammer im Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 den Hirntod – das unumkehrbare Ende aller Hirnfunktionen – als Kriterium festgelegt und die Entnahme von Organen wie Herz, Lunge und Leber nach strengen Richtlinien geregelt. Dennoch hinke die Gesetzgebung heute der medizinischen Entwicklungen hinterher, hier seien „Nachregulierungen“ nötig. „Es darf nicht sein, dass wir aus Rechtsunsicherheit ein Organ nicht akzeptieren und einem Patienten nicht einpflanzen können.“

Prof. Roser sagte, mit der Hirntod-Definition im TPG habe die Gesellschaft der Medizin die Deutungshoheit über den Tod des Menschen gegeben. Dieses „sehr biologische“ Todesverständnis werde nach Erkenntnissen einer hochrangigen amerikanischen Ethikkommission neuerdings wieder kritisiert. Unter namhaften Ethikern sei umstritten, ob der Tod des Menschen über den Hirntod festgestellt werden könne. „Die Medizin tut gut daran, sich die alleinige Deutungshoheit nicht zuschreiben zu lassen, sondern einen multiperspektivischen Zugang zu befördern“, so der Wissenschaftler.

Der praktische Theologe hob die Bedeutung von Krankenhausseelsorgern hervor. Die Beteiligung von Seelsorge und die Einbeziehung ihrer Deutung der Sterbevorgänge „als spiritueller Prozess“ trage „zu einer Stabilisierung der Transplantationsmedizin“ bei. „Die zentrale Kompetenz von Seelsorgern ist Kommunikation. Mit Gesprächen und Ritualen können sie die Angehörigen beim Abschiednehmen vor und nach der Organentnahme unterstützen.“ Durch ein Gebet oder einen Segen könnten sie zudem für das Gelingen der Transplantation bitten und so den „Geschenkcharakter des Lebens unter den Bedingungen der Hochleistungsmedizin“ würdigen.

Die Transplantation von Organen habe in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht und sei zu einer „etablierten Medizin“ geworden, so der Facharzt für Innere Medizin. Mittlerweile gebe es etwa die Möglichkeit, ein Organ mehrmals zu transplantieren und Organe von Erwachsenen wie Herz, Lunge und Dünndarm an die Körper kleiner Kindern regelrecht anzupassen. Schwierig sei weiterhin der Entscheidungsprozess für oder gegen eine Spende von Organen. „Liegt keine Aussage zur Organspende vor, muss der Angehörige im Sinne des Verstorbenen entscheiden. Gerade in der Trauerphase des Abschieds kann diese Verantwortung sehr belastend sein.“ Immer noch würden sich zu wenige Menschen zu Lebzeiten über Organspende Gedanken machen. Hier sei ein gesellschaftliches Umdenken nötig.

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Veranstaltungsreihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“

Die öffentliche Veranstaltung trug den Titel „Das Ende des Lebens“. Moderator des Abends war der evangelische Theologe Prof. Dr. Christian Grethlein von der Uni Münster. Das nächste Streitgespräch am Dienstag, 17. Juni, befasst sich mit Wirtschaftsethik unter dem Titel „Internationale Gerechtigkeit: Herausforderungen an die Wirtschaftsethik“. Es diskutieren der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Casper vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“, und der evangelische Theologe Prof. Dr. Traugott Jähnichen aus Bochum. Die Moderation übernimmt der Philosoph Prof. Dr. Ludwig Siep aus Münster.

In der Reihe „Streitgespräche über Gott und die Welt“ diskutieren im Sommersemester je ein Theologe und ein Nicht-Theologe aktuelle Themen wie Hirnforschung, Kosmologie, Wirtschaftsethik, Friedenspolitik oder das Miteinander der Religionen und ihr Verhältnis zum Atheismus. Veranstalter sind der Exzellenzcluster und die Evangelisch-Theologische Fakultät. Die Streitgespräche sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr in Hörsaal F1 im Fürstenberghaus am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Das Format trägt den Untertitel „Disputationen zwischen Theologie, Natur- und Gesellschaftswissenschaften“. (ska)