"Päpste rechtfertigten Gewalt"

Prof. Dr. Gerd Althoff über die Wiederentdeckung des "zornigen Gottes" im Mittelalter

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Prof. Dr. Gerd Althoff

Wichtige Päpste des Mittelalters haben laut Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff die Kreuzzüge und Gewalt gegen ihre Gegner mit Bibelzitaten gerechtfertigt. Texte aus dem Alten Testament, die einen zornigen und gewalttätigen Gott darstellen, hätten im 11. Jahrhundert eine Renaissance erlebt und die kirchliche Lehre geprägt. "Die damit verbundene Rhetorik öffnete der realen Gewaltanwendung alle Türen", sagte Prof. Althoff am Dienstagabend in der Ringvorlesung "Religion und Gewalt" des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster. So habe Papst Urban II. sich auf den zornigen Gott des Alten Testaments bezogen, als er zum ersten Kreuzzug aufrief. "Die Kreuzritter richteten daraufhin 1099 in Jerusalem ein schreckliches Massaker an."

Verantwortlich für diese Entwicklung waren dem Mittelalter-Historiker zufolge die Reformpäpste, die gegen Missstände wie den Verkauf kirchlicher Ämter, den Zölibatsbruch und die Einsetzung von Bischöfen durch die Könige kämpften. Sie strebten laut Prof. Althoff die Unterordnung der Welt unter die Kirche an. Alle Menschen, Könige und Kaiser, sollten demnach dem Papst gehorsam sein. "Daraus erwuchs aber ein Problem: Was sollte mit denen geschehen, die den Gehorsam verweigerten?"

Die Anhänger der Reformpäpste behaupteten nach den Worten des Experten, Gewalt gegen Ungehorsame sei "im Dienste, im Auftrag und zum Nutzen der Kirche erlaubt". Dabei argumentierten sie vor allem mit dem Alten Testament. So zitierte allein Papst Gregor VII. in seinen Briefen 22 Mal einen Bericht über den Propheten Samuel, wie der Mediävist ausführte: "Gott hatte dem israelitischen König Saul befohlen, den Stamm der Amalekiter zu vernichten. Doch Saul verschonte deren König Agag. Samuel stellte ihn im Auftrag des zornigen Gottes zur Rede, warf ihm Ungehorsam vor und schlug Agag eigenhändig mit dem Schwert in Stücke."

Gewalttätige Frauen als Vorbilder

Auch Berichte über die Frauen des Alten Testaments dienten nach den Worten von Prof. Althoff zur Rechtfertigung von Gewalt. Kardinal Petrus Damiani, ein Anhänger Gregors VII., habe der Markgräfin Adelheid von Turin empfohlen, im Kampf gegen unkeusche Priester wie Jahel zu handeln. Diese hatte dem Alten Testament zufolge dem feindlichen Feldherrn Sisara einen Zeltpflock in die Schläfe geschlagen. "Der Kardinal nannte noch einige weitere Frauen, die Gott wohlgefällige Gewalt ausgeübt hatten: Judith, Esther, Abimelech, Abigail und andere", berichtete der Historiker. Die Parteigänger der Reformpäpste hätten sich außerdem auf Kirchenväter wie Augustin berufen können. Der habe geschrieben, dass man "die Bösen zum Guten zwingen" und dabei Gewalt anwenden dürfe.

Schon im Mittelalter gab es laut Prof. Althoff aber auch Kritiker, die sich strikt gegen die kirchliche Rechtfertigung von Gewalt wandten. "Sie brachten mit Nachdruck die Botschaften des Neuen Testaments gegen die Gewalttheorien in Stellung und forderten Tugenden wie Demut, Freundlichkeit, Sanftmut, Friedensliebe und Güte." Doch letztlich sei es akzeptiert worden, dass im Dienste und Auftrage der Kirche Gewalt angewendet werden dürfe. "Das beweisen neben den Kreuzzügen auch die Einrichtung der Inquisition und die Ketzerkriege, die in dieser Tradition mithilfe von Texten aus dem Alten Testament gerechtfertigt wurden."

Gerd Althoff ist Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und Leiter des Cluster-Projekts B3 "Inszenierte Freiwilligkeit. Zur Errichtung politischer Konsensfassaden im 9. und 10. Jahrhundert".

In der Ringvorlesung "Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus" sprechen Vertreter unterschiedlicher Disziplinen wie Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler. Die öffentlichen Vorträge mit anschließender Diskussion finden dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 statt. Die Reihe ist Teil der "Dialoge zum Frieden", für die der Exzellenzcluster in der "Allianz für Wissenschaft" mit der Stadt Münster kooperiert. In der nächsten Woche spricht der katholische Theologe Privatdozent Dr. Johannes Schnocks aus Münster über "Helden und Heilige. Das Vorbild der Makkabäer und die Legitimation von Gewalt im Mittelalter". Er leitet im Exzellenzcluster das Forschungsprojekt "Göttliche Gewalt. Religionsgeschichtliche und rezeptionshermeneutische Analysen zu den Gottesbildern der Hebräischen Bibel" (D1). (arn)