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Sechs Fragen an... Prof. Dr. Antje Dammel

Seit dem Beginn des Sommersemesters 2017 hat Prof. Dr. Antje Dammel die Professur für Sprachwissenschaft des Deutschen am Germanistischen Institut inne
Prof. Dr. Antje Dammel
Prof. Dr. Antje Dammel
© Johanna Leicht

Willkommen am Fachbereich Philologie der WWU Münster!

Herzlichen Dank, ich fühle mich hier tatsächlich sehr willkommen.

Wie sind Ihre ersten Eindrücke von Stadt und Universität?

Münster ist schön grün und hat genau die richtige Größe, um von der ganzen Stadt etwas zu haben. Universität, Germanistisches Institut und Verwaltung erscheinen mir offen, integrativ und studierendenorientiert. Woran ich mich noch gewöhnen muss: der viele rote Klinker und leider keine richtigen Berge in der Nähe…

Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?

Ich untersuche, wie Sprache sich verändern kann und was diese Veränderungen steuert. Das gilt für alle Ebenen von der Grammatik bis hin zu Text und Diskurs. Weil auch gesellschaftliche Normen und persönliche Einstellungen Einfluss haben, beziehe ich auch kulturelle und soziale Faktoren ein.
Gerade schaue ich mir zum Beispiel zusammen mit Kolleginnen an, wie Paare in privaten Liebesbriefen über das 20. Jahrhundert hinweg kommunizieren. 
Gerne untersuche ich aber auch kerngrammatische Themen wie zum Beispiel Ellipsen (Auslassungen) oder Morphologie. Hier gehe ich teilweise diachron und sprachvergleichend vor, weil so die oft außergewöhnlichen Wege, die die deutsche Standardsprache eingeschlagen hat, klarer hervortreten. Germanische Kleinsprachen wie Luxemburgisch und Friesisch, aber auch Dialekte des Deutschen, zeigen hier interessante Alternativen auf.
Ein weiterer Schwerpunkt ist Namenforschung: Hier interessiert mich zum Beispiel die Sondergrammatik, die sich Namen in vielen Sprachen leisten. Außerdem sind Namen aus sozialer Perspektive interessant, was sich etwa in der Benennung von Haus- und Nutztieren oder in Kosenamen zeigt.

Wann haben Sie begonnen, sich für Ihr Fach beziehungsweise Ihre Forschungsrichtung zu interessieren?

Im Rückblick bildet man ja oft ein Narrativ – meines geht in Grundschulzeiten zurück, als mir aufging, dass wir zuhause ein anderes Deutsch reden, als man in der Schule lernt, und als ich unter den Kinderbüchern die sprachspielerischen immer am schönsten fand. Dann als ich angefangen habe, Latein zu lernen und mir das einen analytischen Blick auf Sprachstrukturen eröffnet hat.
Durch fehlende Konfrontation mit linguistischen Themen in der Schulzeit blieb das alles aber erst einmal unbewusst. Erst im Germanistikstudium kam das Aha-Erlebnis, dass man da ja mehr studiert als nur Literaturwissenschaft ab 1850, dass Linguistik eine interessante Mischung aus empirisch-analytischen Problemen und Kreativität bietet und dass hier grammatische und soziale Strukturen ineinandergreifen.

Was verbinden Sie mit dem Begriff "Forschendes Lernen"?

  • Lernen, wie man eigenständig forscht, indem man es tut, also eigenständig ein kleines Forschungsprojekt bearbeitet.
  • Bei Fragen und an neuralgischen Stellen für den Projekterfolg AnsprechpartnerInnen haben, die unterstützen, ohne Wege vorzugeben.
  • In geeigneter Dosierung (Vorentlastung) auf allen Qualifikationsstufen möglich.
  • Zu forschendem Lernen gehört aber auch, dass Studierende ihre Projekte aus der Auseinandersetzung mit bestehender Forschung entwickeln, an ihrem Fall empirische Methoden anwenden lernen und ihre Ergebnisse in die Forschungsdiskussion einordnen.
  • Ein Beispiel: In diesem Semester baut mein BA-Seminar "Analyse historischer Texte" arbeitsteilig ein kleines elektronisches Korpus "Newer Zeitungen" auf. Das sind Flugblätter aus dem 16./17. Jh., die als einer der Vorläufer von Zeitungsreportagen gelten. Etappe 1 haben wir gerade geschafft, das Korpus steht und die Studierenden haben sich nebenbei angeeignet, wie man historische Texte transkribiert und wie linguistische Korpora aufgebaut sind. Im zweiten Schritt untersuchen sie an diesem Korpus sprachliche Phänomene ihrer Wahl, die ihnen in Phase 1 als interessant aufgefallen sind.
  • Für Studierende wie Lehrende also eine große Herausforderung und ein großer Gewinn. Für Studierende eine wichtige Quelle für intrinsische Motivation, Wahlfreiheit und Spaß am Fach. Für Lehrende die große Verantwortung, Aufgaben vorzuentlasten und Studierende konstruktiv zu begleiten ohne Denk- und Lösungswege vorzugeben. Viel Koordinationsaufwand. Größte Schwierigkeit: analytische Distanz zu wahren bei der Bewertung von Arbeiten, die man so eng begleitet hat
  • Also: Abenteuer, weil man nie weiß, wie es endet. Bisher aber immer mit interessanten und "echten" Forschungsergebnissen…

Was sind Ihre Tipps für ein erfolgreiches Studium?

In der LehrerInnenausbildung im Fach Deutsch verinnerlichen, dass ein differenziertes Nachdenken über sprachliche Strukturen, über Normen und ihre Aushandlung – und damit auch über Sprachwandel und -variation – eine wichtige Grundlage für die spätere Unterrichtspraxis bildet. Auch wenn man die Inhalte nicht 1:1 anwenden wird, bilden Sie im Fachstudium das Fundament, ohne das alle didaktischen Überlegungen ins Leere greifen.

Außer beim Lehramtsstudium münden Studiengänge in den Geisteswissenschaften ja selten in ein klares Berufsbild. Deshalb würde ich empfehlen, einerseits nach Neigung zu studieren und sich andererseits kontinuierlich über Praktika Einblicke in mögliche Berufsfelder zu verschaffen. Mit ‚nach Neigung’ meine ich nicht, dass das Studium nur bestehende Interessen bedienen soll. Viel wichtiger finde ich, neugierig und offen zu sein für das, was einen erwartet, auch und besonders für das, was man nicht erwartet hätte: Hingehen, lesen, in Eigeninitiative vertiefen, Querverbindungen ziehen, Mitdiskutieren, die Zeit zur Vor- und Nachbereitung effektiv nutzen, Selbstdisziplin üben, sich von Lücken (die alltäglich sind) nicht entmutigen lassen, sondern sie in produktive Neugier umsetzen.

Auch wenn Sie sich manchmal gestresst und fremdgesteuert vorkommen: Sie haben vor und nach dem Studium nie wieder so viel Muße, sich zu so einem hohen Grad selbstbestimmt neue Interessen und Einsichten zu erschließen.

Und zu guter Letzt: Haben Sie schon ein Fahrrad?

Aber ja. Ich habe vorerst mein altes Rennrad hierher überführt, merke aber schon, dass man sich mit dem vielen Kopfsteinpflaster schnell einen Achter einhandelt. Da muss wohl längerfristig etwas Breitreifigeres her.

Homepage Prof. Dr. Antje Dammel

Die "Sechs Fragen an..." werden neuberufenen Professorinnen und Professoren des Fachbereichs Philologie gestellt. Den Anfang macht Prof. Dr. Antje Dammel, die seit Beginn des Sommersemesters 2017 am Germanistischen Institut lehrt und forscht.