Solidarität in Europa.

Der Einfluss von medialen Identitätskonstruktionen auf europäische Solidarität in drei EU-Mitgliedsstaaten.

Person Starke, Christopher
Zeitraum Januar 2013 bis Januar 2017
Institution

Institut für Kommunikationswissenschaft

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Bispinghof 9 – 14

48143 Münster

Schlagworte Europäische Solidarität, Solidarnormen, mediale Identitätskonstruktionen, Identitätsframes
Methode International vergleichende Befragung

Abstract


In den aktuellen öffentlichen Debatten um den Austritt Griechenlands aus der EU („Grexit“) oder der Verteilung von Flüchtlingen auf die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten wird von Politikern, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten gleichermaßen der Mangel an Solidarität innerhalb der EU bemängelt. Solidarität gilt als zentraler Mechanismus um europäische Sozial- und Systemintegration zu fördern (Preuß, 1998), indem sie zur Lösung „kritischer Transfersituationen“ beiträgt (Lindenberg, 1998, S. 13).

In Anlehnung an Tranow (2012) kann man Solidarität auf Akteursebene als intrinsisch motivierte Solidarnormbefolgung von Individuen verstehen. Auf europäischer Ebene solidarisch zu handeln bedeutet für EU-Bürger also aufgrund einer intrinsischen Motivation private Ressourcen (z. B. Geld) kompensationslos anderen Individuen in Europa oder der EU als Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Tranow unterscheidet dabei vier verschiedene Solidarnormen zur Lösung verschiedener „kritischer Transfersituationen“: Bereitstellungsnormen, Verteilungsnormen, Unterstützungsnormen und Loyalitätsnormen. In allen Fällen gilt, dass die Bereitschaft zu solidarischem Handeln dann steigt, wenn es zur Ausbildung einer gemeinsamen kollektiven Identität kommt (Lilli & Luber, 2001; Risse, 2013). Europäische Solidarität hängt folglich vom Entstehen kollektiver europäischer Identität ab.

Zugehörigkeitsgefühle zur EU werden  wesentlich von medialen Darstellungen der EU beeinflusst. Die subjektiv gefühlte europäische Identität der Bürger ist eine Funktion der medial konstruierten europäischen Einheitsvorstellung. Wie vorliegende Untersuchungen zweifelsfrei beweisen, bieten aber die nationalen Medien nicht eine einheitliche Vorstellung der Europäischen Gemeinschaft, vielmehr variieren die Bilder Europäischer Identität (sog. „Identitätsframes“) recht deutlich von Land zu Land (Lichtenstein & Eilders, 2014). So dominiert beispielsweise in der britischen Öffentlichkeit die Sichtweise auf die EU als Wirtschaftsgemeinschaft, während die EU in der deutschen Öffentlichkeit vor allem als politische Wertegemeinschaft dargestellt wird (Lichtenstein, 2014).
Mit der geplanten Studie soll die Frage beantwortet werden, wie sich unterschiedliche medial vermittelte Vorstellungen von Europäischer Identität auf die Befolgungsbereitschaft der vier unterschiedlichen Solidarnormen auswirken. Fördert bspw. das Bild von der EU als politische Wertegemeinschaft tatsächlich solidarisches Handeln stärker als das konkurrierenden Bild der Zweckgemeinschaft?

Mittels einer Online-Befragung in den drei EU-Mitgliedsstaaten Deutschland, Großbritannien und Italien (Stichprobenumfang ca. 1.000 Befragte pro Land) soll der Einfluss medial konstruierter europäischer Identität auf die individuelle Solidaritätsbereitschaft untersucht werden. Dabei wird sowohl zwischen verschiedenen Identitätsframes als auch zwischen den vier oben genannten Solidaritätsnormen unterschieden. Das methodische Vorgehen erlaubt es europäische Solidarität empirisch zu untersuchen, ohne dabei auf ein konkretes medial aufgeladenes Thema einzugehen. Dies dient dazu, die Diskussion über Solidarität in der EU zu versachlichen. Gleichzeitig können die Ergebnisse Hinweise liefern, wie politische Entscheidungsträger Solidaritätspotentiale der europäischen Bevölkerung durch entsprechende Kommunikation effektiver aktivieren können.

Literatur


  • Lichtenstein, D. (2014). Europäische Identitäten. Eine vergleichende Untersuchung der Medienöffentlichkeiten ost- und westeuropäischer EU-Länder. Konstanz / München: UVK Verlagsgesellschaft mbH.
  • Lichtenstein, D., & Eilders, C. (2014). EU-bezogene Identitätsframes in der Verfassungsdebatte 2005: der Deutungswettbewerb zwischen politischen Akteuren, Zivilgesellschaft und Journalisten in vier EU-Mitgliedsstaaten. In F. Marcinkowski (Ed.), Framing als politischer Prozess (pp. 79–93). Baden-Baden: Nomos.
  • Lilli, W., & Luber, M. (2001). Solidarität aus sozialpsychologischer Sicht. In H.-W. Bierhoff & D. Fetchenhauer (Eds.), Solidarität. Konflikt, Umwelt und Dritte Welt (pp. 273–291). Opladen: Leske + Budrich.
  • Lindenberg, S. (1998). Solidarity: Its Microfoundation and Macrodependence. A Framig Approach. In P. Doreian & T. J. Fararo (Eds.), The Problem of Solidarity. Theories and Models (pp. 61–112). New York: Routledge.
  • Preuß, U. (1998). Nationale, supranationale und internationale Solidarität. In K. Bayertz (Ed.), Solidarität. Begriff und Problem (pp. 399–410). Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
  • Risse, T. (2013). Solidarität unter Fremden? Europäische Identität im Härtetest, (50). Tranow, U. (2012). Das Konzept der Solidarität. Handlungstheoretische Fundierung eines soziologischen Schlüsselbegriffs. Wiesbaden: VS Springer.