Steven Kensy

Betreuer: Prof. Oestmann


Titel der Dissertation:

Grund und Urteil – Die Verkehrsauffassung als Argument für die übliche Entscheidung


Kurzbeschreibung:

Das Bürgerliche Gesetzbuch erwähnt an sieben Stellen den Begriff „Verkehr“, in drei weiteren Normen die „Verkehrssitte“ und einmal den „Handelsverkehr“. Bemerkenswert oft entscheidet über den Erfolg eines Rechtsbehelfs im Gerichtsalltag aber die sogenannte Verkehrsauffassung. Ob es darum geht, zu beurteilen, wer für die Schönheitsreparaturen an einer Mietswohnung aufzukommen hat, wie Stimmenthaltungen bei Abstimmungen im Hinblick auf die nach § 32 Abs. 1 S. 3 BGB erforderliche Mehrheit zu werten sind oder schlicht, wer die tatsächliche Gewalt an einer Sache ausübt, stets soll es darauf ankommen, was die im Verkehr tatsächlich herrschende Übung meint. Wie diese Übung der beteiligten Kreise beschaffen ist, entscheiden Gerichte aber bisweilen aus eigener Sachkunde – selbst dann, wenn die Verkehrsauffassung nach den zur Entscheidung herangezogenen Rechtssätzen gar nicht zu berücksichtigen ist.
Die skizzierte Arbeit möchte einen Beitrag zur Rechtsquellenlehre und Dogmatik leisten, indem zunächst der Versuch einer subsumtionsfähigen Definition der Verkehrsauffassung und ihrer Einordnung in die Rechtsquellenlehre unternommen wird. Gegenstand der Untersuchung soll insoweit auch sein, wann Verkehrsauffassung gemeint, aber anders bezeichnet ist. Mit der gewonnenen begrifflichen Kontur geht die Bearbeitung in neueren Judikaten des Bundesgerichtshofes auf die Suche nach dem beschriebenen Phänomen. Hierbei soll von besonderem Interesse sein, ob bei der Berücksichtigung der Verkehrsauffassung eine lege artis iuridicae geforderte Ableitungsbeziehung zwischen dem Gesetz und dem richterlichen Rechtsfolgenausspruch identifizierbar ist. Es wird untersucht, wann die Verkehrsauffassung als Grundlage einer Entscheidung dient, ob sie Grundlage hätte sein dürfen und ob es sich bei dem tragenden Entscheidungsgrund wirklich um Verkehrsauffassung oder doch nur um eine verschleierte Rechtsauffassung des berufenen Spruchkörpers handelt. Insoweit geht es zugleich um Fragen der Richterbindung, Rechtsfortbildung und um Grenzen und Wertschätzung rechtswissenschaftlicher Dogmatik.