Lateinamerikanische Geschichte

Der Lehrstuhl für Lateinamerikanische Geschichte, bis 2024 Lehrstuhl für Außereuropäische Geschichte, befasst sich mit denjenigen Regionen des amerikanischen Doppelkontinents, die von Spanien und Portugal kolonisiert wurden (Iberoamerika) und bis heute eine romanische Amtssprache besitzen. In der Folge entstanden im 19. Jahrhundert unabhängige Staaten, deren Kulturen sich aus vier verschiedenen Kontinenten speisen: Unter die Sprachen und Traditionen der indigenen Bevölkerung mischten sich diejenigen der jeweiligen europäischen Kolonialmacht sowie in vielen Fällen auch der nach Amerika verschleppten und versklavten Afrikaner*innen. Auch nach Asien gab es Verbindungen, in der Kolonialzeit insbesondere über die Manila-Galeone, die die spanischen Kolonien Neuspanien und die Philippinen verband. Die Philippinen, die bis zu deren Unabhängigkeit von Neuspanien aus verwaltet wurden und bis 1898 spanische Kolonie blieben, bilden einen kleineren Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhls.

Nach der Unabhängigkeit von Spanien und Portugal im 19. Jahrhundert entwickelte sich Lateinamerika schnell zu einem wichtigen Spielfeld der allmählich entstehenden internationalen Wirtschaft sowie zu einem Auswanderungsziel für oft verarmte Europäer*innen. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts nahm neben der europäischen auch die asiatische Migration zahlenmäßig stark zu und die Migration aus Afrika dauerte noch über die Unabhängigkeiten hinweg fort.

Erst im 19. Jahrhundert entstand der Begriff Lateinamerika. Geografisch umfasst Lateinamerika Teile Nord-, Mittel- und Südamerikas sowie der Karibik. Der Begriff ist jedoch kein geografischer, sondern verweist auf eine sprachliche und kulturelle Verbindung, die im 19. Jahrhundert als „Latinität“ bezeichnet wurde. Das Gebiet ist aber keine historische oder kulturelle Einheit, sondern äußerst vielfältig in seiner Geschichte, seiner Kultur und seinen geopolitischen Verflechtungen. Bereits in vorkolonialer Zeit gab es in den verschiedenen Zonen des späteren Lateinamerikas sehr unterschiedlich organisierte Gesellschaften sowie eine große Sprachenvielfalt. Dementsprechend unterschiedlich verlief auch die Kolonialzeit in den einzelnen Regionen. Während besonders in der Karibik und dem südamerikanischen Tiefland große Teile der Bevölkerung durch Gewalt und eingeschleppte Krankheiten ausstarben, wurden sie in den Anden oder in Mexiko unter sklavereiartigen Bedingungen in den Kolonialstaat integriert.

Zudem wurden Millionen von Menschen aus Afrika verschleppt, um in Amerika als Versklavte zu dienen. Diese Zwangsmigration stellte die erste massenhafte interkontinentale Wanderungsbewegung der modernen Globalgeschichte dar. Durch die hieraus resultierende einzigartige Verbindung kultureller Elemente und großer Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft kann die Entstehung des heutigen Lateinamerikas als Vorreiter der Globalisierung bezeichnet werden.

Die Herrschaftsstrukturen, Widerstände und sozialen Kategorisierungen sowie Migration und Mobilität in der Kolonialzeit bilden einige der Schwerpunkte am Lehrstuhl für Lateinamerikanische Geschichte. Dabei werden am Lehrstuhl insbesondere sozial-, kultur- und rechtsgeschichtliche Ansätze verfolgt, ebenso wie Visual History. Die Veränderung der Gesellschaften nach der Unabhängigkeit sowie das Fortdauern kolonialer Strukturen bis in die Gegenwart bilden weitere Schwerpunkte.

Ein Großteil der Länder Lateinamerikas erlangte seine Unabhängigkeit bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als in Afrika und Asien die Formalisierung europäischer Kolonialherrschaft häufig noch gar nicht begonnen hatte. Postkoloniale Ansätze haben daher in Lateinamerika eine große Tradition, und schon aufgrund ihrer politischen Vergangenheit, vielfältigen Einflüsse und der heterogenen Gesellschaften steht der lateinamerikanische Postkolonialismus bzw. Dekolonialität in Münster mit im Fokus.

Kolonialismus stellt demnach in Lehre und Forschung ein Kerngebiet am Lehrstuhl für Lateinamerikanische Geschichte der Uni Münster dar, wobei global vergleichende und transimperiale Ansätze Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang hat sich auch ein weiterer, kleiner Schwerpunkt entwickelt, der vor allem in der Lehre verfolgt wird: die (post)koloniale Geschichte Münsters.


Schwerpunkte in Forschung und Lehre

  • Kolonialismus/Imperialismus
  • Soziale Kategorisierungen (Ethnizität, Gender und sozialer Stand) und Intersektionalität
  • Migration und Mobilität, inklusive Reiseberichte
  • Steuerkategorien und Petitionsforschung
  • Geschichte des Rassismus
  • Fotografiegeschichte; inbesondere sogenannte „Volkstypen“
  • vorspanische Imperien, insbesondere das der Tarasken in Westmexiko
  • Vergleiche und Verflechtungsgeschichte