Forschungsaufenthalt am Missionsarchiv Basel

Antragstellerin: Lisa Kerl
Fachbereich, Studienrichtung: FB 09, Master Sinologie

Im Rahmen meiner Masterarbeit, die sich mit der Basler Mission in Südchina zur Zeit der Jahrhundertwende beschäftigt, war es für mich notwendig, in das Archiv ebendieser Basler Mission (heute Mission 21) zu reisen, um dort diverse Dokumente und vor allem Berichte einzusehen, die auch heute kaum bis gar nicht ediert sind. Ich habe eine Woche in Basel verbracht, vom 20. − 26. März 2022, und bin sehr froh sagen zu können, dass der Aufenthalt ein voller Erfolg war!

Am ersten Tag im Archiv wurde ich von den Archivaren in das Material und vor allem in die Hilfsmittel eingeführt, die mir im späteren Verlauf die Arbeit besonders erleichtern sollten. Da die Basler Mission hauptsächlich in Indien und Afrika gewirkt hat, beschränkt sich das China-Material auf einen verhältnismäßig geringen Teil des Bestandes, der aber immer noch groß genug ist, dass manche Bereiche noch vollständig unerschlossen sind. Zu meinem Glück ist aber eine erhebliche Anzahl an China-Material bereits digitalisiert worden, sodass ich viel mehr des Bestandes in viel kürzerer Zeit sichten konnte. Dennoch blieb ein großer Teil übrig, den ich sozusagen „analog“ sichten musste; eine Arbeit, die sowohl sehr spannend war, als auch sehr mühsam.

Nach einer ersten Bestandsaufnahme unter der großartigen Anleitung der Archivarin Frau Rhyn, konnte ich auch meine Fragestellung für die Arbeit genauer eingrenzen und bin zu dem Schluss gekommen, mich hauptsächlich auf die Rolle der klassischen chinesischen Literatur im Rahmen des Sprachunterrichtes der Basler Missionare zu konzentrieren, exemplarisch anhand eines bestimmten Missionars namens Julius Velte. Von den 136 Missionaren, die insgesamt nach China geschickt wurden, stellte sich dieser spezielle Bruder im Laufe der Arbeit als der Geeignetste heraus: Missionar Velte gelangte 1924 nach China, zu einer Zeit als sich die Mission bereits über 50 Jahre in China etabliert und eine gewisse Routine eingesetzt hatte. Ebenfalls war Bruder Velte einer der ersten Brüder, der an dem neu eingeführten, systematischen Sprachunterricht teilnehmen konnte und offenbar stark vom Unterricht und den neuen Lehrbüchern profitiert hatte. Im Laufe seiner Zeit in China bis 1930 verfasste Velte eine große Anzahl von Berichten, die einen gründlichen Einblick in sein Leben und sein Umfeld in der Mission bieten und außerdem allesamt erhalten sind. Auch persönliche Briefe und Dokumente zu ihm konnte ich einsehen, die ebenfalls sehr hilfreich waren. Besonders das Umfeld Veltes qualifiziert ihn zum Gewährsmann meiner Arbeit, denn unter seinen Vorgesetzten und seinen Mitbrüdern finden sich viele Köpfe, die sich sowohl zu der spezifischen Frage der klassischen Literatur in China äußerten, als auch rege Debatten über die Struktur der Mission und ihre einzelnen Teilbereiche führten.

Innerhalb dieses speziellen Zeitfensters und diesem ausgewählten Personenkreis habe ich viel nützliches Material gefunden; zu den wichtigsten Quellen für meine Fragestellung gehören zum einen die diversen Missionsverordnungen, welche die Formalia in China bis in das allerkleinste Detail regelten und deshalb unverzichtbar für ein vollständiges Bild der Lebensumstände und Organisation der Missionare in China sind. Des Weiteren offizielle Berichte verschiedener Missionare, die ihr Leben in China und (für mich besonders interessant) den Weg ihres Spracherwerbs schildern. Unter diesen Berichten habe ich die meisten, aussagekräftigsten Zeugnisse für meine Fragestellung gefunden, stellenweise sogar angefügte Übersetzungen klassischer chinesischer Texte, die besonders wertvoll für mich sind. Zuletzt habe ich noch eine Menge inoffizieller Korrespondenz gefunden, die einen Blick hinter die Kulissen der Mission bietet und Details verrät, die von offizieller Seite nur zu erahnen sind. Schwierigkeiten haben mir allerdings die früheren Briefe aus dem 19. Jahrhundert bereitet: Zu meinem Glück wurde in meinem gewählten Zeitfenster um 1900 herum die meiste Korrespondenz auf der Schreibmaschine getippt. Handschriftliche Briefe sind aus dieser Zeit auch meist sehr gut zu entziffern, da sie oftmals schon in der Sütterlinschrift abgefasst worden sind, die ich ganz gut beherrsche. Davor allerdings, sobald es an die Anfänge der Mission in China geht, hat mir die deutsche Kurrentschrift wirklich viel Ärgernis bereitet. Briefe aus dieser Zeit sind kaum zu entziffern und leider war die Schreibmaschine dort auch kaum eingesetzt worden, bzw. stand noch gar nicht zur Verfügung. Nicht zuletzt deswegen habe ich meinen Zeitrahmen auch mehr auf das 20. als auf das 19. Jahrhundert verlegt!

Insgesamt bin ich aber mit meinen Funden wirklich sehr zufrieden, auch wenn eine Woche zwar ausreichend für meine Masterarbeit ist, insgesamt aber natürlich viel, viel zu wenig für den vollständigen, spannenden Bestand des Missionsarchivs. Neben der Arbeit im Archiv, welche natürlich die meisten Stunden des Tages in Anspruch genommen hat, durfte ich mir auch die wunderschöne Stadt Basel anschauen, die mir wirklich sehr gut gefallen hat. Ich freue mich sehr, dass ich durch die Santander Mobilitätsförderung die Möglichkeit hatte, meinen Forschungsaufenthalt im pittoresken Basel als vollen Erfolg zu verbuchen!