WECHSELWIRKUNGEN

  • Theoretische Beschreibung

    Studien zeigen, dass Lernende einen höheren Lernerfolg erzielen können, wenn sie von Lehrpersonen kognitiv aktiviert werden und die Lehrpersonen gleichzeitig eine effektive Klassenführung umsetzen (Klieme et al., 2001; Kunter & Voss, 2011). Ausgehend von solchen Studien, die auf ein enges Zusammenspiel zwischen der Klassenführung und der Lernunterstützung hindeuten, wurde das konkrete Ineinandergreifen beider Dimensionen im Rahmen des Projekts ProdiviS analysiert.

    Im Folgenden wird dieses Zusammenspiel zwischen der Klassenführung und der Lernunterstützung als Wechselwirkung aufgefasst und darunter verstanden, dass sich beide Dimensionen gegenseitig beeinflussen können. In einer spezifischen Lehr-Lern-Situation wird dann die Wirkung einer Maßnahme auf eine andere deutlich (s. hier die einzelnen Maßnahmen der Klassenführung bzw. Lernunterstützung). So kann beispielsweise eine bereits etablierte Regel wie die Melderegel (Klassenführung) in einem Unterrichtsgespräch dazu führen, dass vorhandene Vorstellungen effizienter erschlossen werden können (Lernunterstützung). Umgekehrt kann beispielsweise die Schaffung von Zielklarheit zu Beginn einer Stunde (Lernunterstützung) zu einer höheren Gruppenmobilisierung führen.

    Mögliche Wechselwirkungen zwischen der Klassenführung und Lernunterstützung wurden im Rahmen des Projekts ProdiviS in einem Modell zusammengeführt. Die konkreten Wechselwirkungen wurden dabei auf der Grundlage theoretisch angenommener Zusammenhänge der Klassenführung und Lernunterstützung vom Projektteam entwickelt und anhand von konkreten Videoanalysen mit Hilfe von Unterrichtsvideos aus den Portalen  ViU: Early Science sowie ProVision spezifiziert.

    Abbildung 1: Ausschnitt des Modells zur Abbildung relevanter Wechselwirkungen zwischen der Klassenführung und der Lernunterstützung im naturwissenschaftlichen Sachunterricht
    © Lehmkuhl, Janeczko et al. (2022)

    Das vollständige Modell kann hier eingesehen werden. Die Wechselwirkungen basieren auf den Übersichten zentraler Maßnahmen der Klassenführung und Lernunterstützung.

  • Übersicht zentraler Kategorien von Wechselwirkungen

    Grundlage der Analyse von Wechselwirkungen bilden die Übersichten zentraler Maßnahmen der Klassenführung und Lernunterstützung. Die konkrete Wirkung einer Maßnahme auf eine andere kann nach drei Aspekten (Wertigkeit, Zeitlichkeit, Mediation) kategorisiert werden.

    (1) Wertigkeit

    Maßnahmen der Klassenführung und der Lernunterstützung können sowohl eine positive als auch eine negative Wirkung aufeinander haben. Ist die Wirkung positiv (z.B. wenn die Mobilisierung der Gruppe durch Zielklarheit erhöht werden konnte), kann der gegenseitige Einfluss verstärkt werden. Ist die Wirkung dagegen negativ (z.B. wenn Vorstellungen aufgrund fehlender Gesprächsregeln nur umständlich erschlossen werden können) kann dies Wirkung einzelner Maßnahmen erschweren bzw. behindern.

    (2) Zeitlichkeit

    Wirkungen können zeitnah oder zeitverzögernd erfolgen. Bei einer zeitnahen Wirkung besteht ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Facette der Klassenführung und einer Maßnahme der Lernunterstützung (z.B. wenn durch das direkte Durchsetzen von Regeln der Austausch über Vorstellungen zwischen den Kindern erleichtert wird, s. schwarze Pfeile in Abb. 1). Bei zeitverzögerten Wirkungen tritt die entsprechende Wirkung einer Maßnahme zeitlich versetzt auf, sodass sich die Wirkung erst im weiteren Unterrichtsverlauf ergibt (z.B. wenn vor dem Unterricht passende Materialien für die Veranschaulichung im Unterricht bereitgelegt wurden, s. gelbe Pfeile in Abb. 1).

    (3) Mediation

    Die Wirkung einer Maßnahme kann direkt oder mediiert über die Lernenden erfolgen. Bei einer mediierten Wirkung wird dabei eine Nutzung der ersten Maßnahme durch die Lernenden vorausgesetzt. Ohne diese Nutzung kann die volle Wirksamkeit der zweiten Maßnahme nicht erfolgen (z.B. wenn die Lehrperson im Sinne der Gruppenmobilisierung mehr Kinder zur Beteiligung bittet, um möglichst viele Vorstellungen erschließen zu können). Bei einer direkten Wirkung bedarf die erste Maßnahme keiner konkreten Nutzung durch die Lernenden (z.B. wenn durch die gute Vorbereitung der Lehrperson vor der Stunde bereitgelegte Materialien direkt von ihr genutzt werden können).

  • Literatur

    Klieme, E., Schümer, G., & Knoll, S. (2001). Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I: "Aufgabenkultur" und Unterrichtsgestaltung. In E. Klieme, & J. Baumert (Eds.), TIMSS - Impulse für Schule und Unterricht (S. 43-57). Bundesministerium für Bildung und Forschung.

    Kunter, M. & Voss, T. (2011). Das Modell der Unterrichtsqualität in COACTIV: Eine multikriteriale Analyse. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften - Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 85–114). Waxmann.