Außereuropäische Geschichte
Die außereuropäische Geschichte umfasst den weitaus größeren Teil der Welt gegenüber Europa. An deutschen Universitäten wird sie allerdings angesichts der zunehmenden Globalisierung noch nicht im wünschenswerten Umfang gelehrt. Dies dürfte mit der Herausforderung der deutschen Geschichtswissenschaft durch die Shoah zusammenhängen, aber auch mit der vergleichsweise kurzen Zeit kolonialer deutscher Kolonialherrschaft sowie der Selbstwahrnehmung der Bundesrepublik als Nicht-Einwanderungsland. So liegen die Schwerpunkte der historischen Forschung in Deutschland stärker als in anderen Ländern auf der deutschen Geschichte. In den letzten Jahren beginnt sich dies allerdings u.a. mit den Herausforderungen der „Globalgeschichte“ zu ändern.

Die Professur „Außereuropäische Geschichte“ am Historischen Seminar gehört zu den vergleichsweise wenigen Professuren an deutschen Universitäten, deren Arbeitsschwerpunkt in Afrika, Asien, Australien, Lateinamerika, Nordamerika oder Ozeanien liegt. In den seltensten Fällen lautet die Bezeichnung „außereuropäische Geschichte“, meistens steht ein Kontinent/eine Region im Vordergrund. Um sich einen Überblick über die Universitätsstandorte mit entsprechenden Professuren zu verschaffen, vgl. die Webseite des Verbandes der Historikerinnen und Historiker Deutschlands für den Bereich „Außereuropa“ ( www.außereuropa.de).

Die Fachbezeichnung „Außereuropäische Geschichte“ stellt eine deutsche Besonderheit dar. Dieses Konzept behauptet, es ließe sich von einer Person/einer Professur die Geschichte der gesamten Welt außerhalb Europas erforschen und darüber lehren. Damit vereinheitlicht der Begriff unterschiedlichste Kulturen mit einer eigenen jahrtausendealten Geschichte auf sechs Kontinenten in einer Negativ-Definition. Alles, was nicht zu Europa gehört, wird hier zusammengefasst. Möglich ist eine ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit den zahlreichen Kulturen und Bevölkerungen schon allein wegen der Vielzahl von dafür notwendigen Sprachenkenntnissen nicht. Darüber hinaus wäre eine für regionale Differenzen sensible und nicht auf die europäische Perspektive fixierte Geschichtsschreibung derjenigen Weltteile, die Stuart Hall in seinem Aufsatz so treffend mit dem „Rest“ bezeichnet hat (The West and the Rest, 1992), um damit die Problematik des Diskurses über die Welt seit Beginn der europäischen Kolonisierung auf den Punkt zu bringen, kaum möglich.

Auch wenn ein solches „Gesamtprojekt“ einer Geschichtsschreibung über den außereuropäischen Raum kaum sinnvoll möglich ist, so lohnt es sich gerade in der aktuellen Zeit, die von zunehmenden globalen Verflechtungen u.a. durch Migration, ökonomische Verbindungen und Medien geprägt ist, sich mit der Geschichte der Gesellschaften anderer Weltregionen zu befassen. Die heutige Welt ist das Ergebnis der Interaktion verschiedenster Gesellschaften und Kulturen. Auch Europa und die Position Europas in der Welt sind ohne eine Kenntnis der Einflüsse aus anderen Regionen nicht zu verstehen. Die heutige Welt ist aus Imperien hervorgegangen, die ihr Zentrum nicht ausschließlich in Europa hatten, seit dem 15. Jahrhundert aber verstärkt von europäischen Mächten gebildet wurden. Die europäischen Kolonialherren haben dabei nicht nur die von ihnen beherrschten Gesellschaften verändert, sondern waren durch diese Beziehungen selbst einem Wandel unterworfen. Wegen der großen Bedeutung von Kolonialismus und europäischer Expansion für das Verständnis der heutigen Zeit, bilden diese Themen Schwerpunkte in der Lehre. Dabei wird immer der Versuch unternommen, von einer eurozentristischen Sichtweise abzusehen und die Perspektive der Kolonisierten einzubeziehen. In einer Zeit, die als globalisiert gilt, gibt die Beschäftigung mit anderen Weltregionen und deren historischer Entwicklung unabdingbares Orientierungswissen.

Lateinamerikanische Geschichte
In Münster liegt der Schwerpunkt der Professur für außereuropäische Geschichte auf Lateinamerika. Der Kontinent ist seit Beginn des 16. Jahrhunderts konstitutiver Teil der aufsteigenden europäischen Moderne, die ohne den gleichzeitigen Blick auf die Kolonialherrschaft europäischer Mächte zunächst in den Amerikas, später auch in anderen Kontinenten, nur unvollständig verstanden werden kann.

Als Disziplin befasst sich die lateinamerikanische Geschichte mit denjenigen Regionen Amerikas, die von Spanien, Portugal oder Frankreich kolonisiert wurden und wo deshalb heute eine dieser Sprachen die einzige oder eine der offiziellen Landessprachen darstellt (deshalb „Latein“-Amerika) und die kulturelle Prägung neben den indigenen entsprechende südwesteuropäische Einflüsse aufweist. Schließlich gehören zu Lateinamerika nur diejenigen ehemaligen spanischen, portugiesischen und französischen Gebiete, die in einen unabhängigen Nationalstaat übergegangen sind. Geographisch umfasst Lateinamerika damit Teile Nordamerikas, Mittelamerikas und Südamerikas sowie der Karibik. Der Begriff „Lateinamerika“ hat selbst eine Geschichte und ist erst Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden.

Lateinamerika stellt also keine gewissermaßen selbstevidente Einheit dar, sondern eine historisch gewachsene Region. Aufgrund seiner Geschichte der fast drei Jahrhunderte andauernden Kolonialzeit nimmt Lateinamerika eine Sonderstellung in der globalhistorischen Entwicklung ein. Die frühe Zugehörigkeit zu einem Imperium, das sich über mehrere Kontinente erstreckte und die Formalisierung imperialer Herrschaft seit dem 16. Jahrhundert, die mit der Gründung von Siedlungskolonien einherging, brachte Gesellschaften ganz eigener Prägung hervor. Der Einfluss der europäischen Eroberer, Missionare, Kronbeamten und Siedler und Siedlerinnen hinterließ tiefe Eindrücke. Die Europäer blieben in Amerika allerdings selbst nicht unberührt von den indigenen Gesellschaften und Kulturen. Hinzu kamen die vielfältigen Folgen der Verschleppung von Sklaven und Sklavinnen aus Afrika. Diese Zwangsmigration stellte die erste massenhafte interkontinentale Wanderungsbewegung der modernen Globalgeschichte dar. Die afroamerikanischen Bevölkerungen nahmen ebenfalls erheblichen Einfluss auf die sich neu formierenden Kolonialgesellschaften, sodass Lateinamerika in der globalen Geschichte die erste Region war, in der umfangreiche Transkulturationsprozesse (Fernando Ortiz) stattfanden; eine Entwicklung, die wir heute in fast allen Weltregionen beobachten können. Die politischen Folgen der Kolonialherrschaft vor Ort ebenso wie die ethnische Differenzierung der kolonialen Gesellschaften mit den Folgen für die jeweiligen Bevölkerungsteile stellen Schwerpunkte in Forschung und Lehre in Münster dar.

Im Hinblick auf die postkoloniale Geschichte stellt Lateinamerika ebenfalls einen Sonderfall dar, weil die meisten Länder hier schon im frühen 19. Jahrhundert unabhängig wurden, also zu einer Zeit, als in Afrika und Asien die Formalisierung europäischer Kolonialherrschaft häufig noch gar nicht begonnen hatte. Die Unabhängigkeit in Lateinamerika war Teil des sogenannten „Zeitalters der atlantischen Revolution“, etablierten sich die neuen Staaten doch fast alle als nationalstaatlich verfasste Republiken, als Europa noch bzw. wieder überwiegend monarchisch war. Die Unabhängigkeitsbewegungen und die Nationalstaatsbildung stellen für die lateinamerikanischen Länder in gewisser Weise einen zweiten Gründungsmythos dar. Ihre Ursachen und vor allem die Probleme der postkolonialen Staats- und Nationsbildung werden in Münster in Forschung und Lehre intensiv behandelt.

Seit der Unabhängigkeit verlief die Geschichte der zwanzig Länder Lateinamerikas in eigenen historischen Bahnen. Es gibt aber auch einige regionale Phänomene. So ließe sich das 20. Jahrhundert in Lateinamerika auch als ein Jahrhundert der Gewalt beschreiben. Militärdiktaturen, autoritäre Regime, Gewalt gegen die indigene Bevölkerung bis hin zum Genozid, Guerillabewegungen, Revolutionen und damit teilweise verbundene Interventionen oder Einmischungen der USA prägten die jüngste Geschichte in vielen lateinamerikanischen Ländern. Dies ist nur eine Möglichkeit, die Geschichte des Kontinents im 20. Jahrhundert zu betrachten, es gibt andere, weniger pessimistische Möglichkeiten. Da die politische Gewalt, ihre Ursachen und Folgen für die Gesellschaften einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre in Münster bilden, ist sie hier hervorgehoben.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre
-    Kolonialismus/Imperialismus
-    Staats- und Nationsbildung in Lateinamerika
-    Rassismus; Ethnizität; Migration
-    Politische Gewalt vor allem im 20. Jahrhundert
-    Kirche und Militärdiktaturen