Mitten drin  im anderen Schicksal

(WN, 13.Juli 2011)

Ausstellung im Vom-Stein-Gymnasium beschäftigt sich mit dem Aufwachsen im Westfalen der Nachkriegszeit


Ausstellung
Das Ausstellungsteam mit den Zitaten der Zeitzeugen: Die FH-Studenten Svetlana Assmann, Benedikt Weischer und Wiebke Hagenauer sowie Dr. Petra Lütke (untere Reihe, v.l.) und Prof. Hermann Dornhege, Dr. Veronika Jüttemann und Prof. Claudia Grönebaum vom FH-Fachbereich Kommunikationsdesign (obere Reihe, v.r.).Fotos:
(Jürgen Peperhowe)

Es wird keine plüschigen Samtsofas geben, keine Stehlampen und keine von innen beleuchteten Vitrinen. „Wir historisieren nicht“, stellt Prof. Hermann Dornhege von der Fachhochschule Münster klar. Trotzdem ist jeder, der diese Ausstellung besucht, sofort mittendrin. In jener anderen Zeit. Im jeweiligen Kinder-Schicksal.
„Aufwachsen in Westfalen 1945-65“ - so lautete das Thema, das zu erforschen sich ei­ne zehnköpfige Gruppe älterer Studenten im Sommersemester 2009 vorgenommen hatte. „Die sind in ihre Heimatdörfer gefahren und haben Zeitzeugen befragt“, beschreibt Dr. Veronika Jüttemann vom Fachbereich „Studium im Alter“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Was herauskam, war pro Nase ein etwa 60-seitiger Text, mit dem die Professoren vier - junge - Design-Studenten der Fachhochschule Münster und drei des Fachbereichs „Allgemeine Studien/Geowissenschaften“ der Uni konfrontierten. Interessant waren die Perspektiven: „Wenn Alt und Jung und dazu noch zwei Hochschulen aufeinandertreffen, ergibt das schon ganz von selbst verschiedene Blickwinkel auf die Geschichte“, ist Dr. Petra Lütke von den Geowissenschaftlern überzeugt.

Das Ergebnis darf ab Freitag, 16 Uhr, im münsterischen Freiherr-vom-Stein-Gymnasium bestaunt werden. „Die Aula wird zur Blackbox“, formuliert es Mediendesign-Experte Dornhege drastisch. Am Eingang erhält jeder Gast eine Schicksalskarte: Sie wird entscheiden, ob er sich als Flüchtlings-, Besatzungs-, als Heim- oder in der Rolle des evakuierten Kindes durch die Exponate bewegt. Zur Orientierung dient die jeweilige Karten-Farbe: Sie weist den Weg durch eine stilisierte Wohnung, die mitten in der Aula aufgebaut ist. „Wir haben dort verschiedene Räume, die für bestimmte Bereiche stehen“, erläutert Design-Studentin Wiebke Hagenauer. Das Wohnzimmer et­wa symbolisiert die Familie, die Küche die Ernährung, das Bad die hygienischen Bedingungen der jeweiligen Zeit.

Wie sahen die Verhältnisse damals aus, wie unterscheiden sie sich von den heutigen? Das kann anhand von einleitenden Texten an den Türen, von Zeitzeugen-Zitaten, Fotos und Zeitleisten erkundet werden. Außerdem gibt es ein Erzähl-Café auf der Bühne, wo Zeitzeugen im In­terview befragt werden - Besucher aber auch in den Dialog eintreten können. „Wie man all das letztlich einordnet, ob es damals besser war oder heute - das muss der Besucher selbst reflektieren“, sagt Geowissenschaftlerin Lütke. Zwar hat wohl jeder während seiner Schulzeit Geschichtsunterricht gehabt, und fast jeder hat Eltern, Groß- oder Ur­großeltern zu Hause, die von früher erzählen. Vom Krieg, den Entbehrungen, der Flucht - oder wie es womöglich war, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Allein, „jeder hat seine persönliche Version vor Augen, das, was die eigene Familie erlebt hat“, betont Veronika Jüttemann. Ein Anliegen sei es daher gewesen, ganz verschiedene Perspektiven zu erarbeiten. Und vor allem die Nachkriegszeit zu beleuchten. „Es heißt ja immer: Plötzlich stand der VW-Käfer vor der Tür“, lacht Petra Lütke, „aber so schnell gab es das Wirtschaftswunder ja nicht.“

Ein Thema, ein Ort: Das ist, was die Reihe „Ex­­pedition Mün­­sterland“, unter der auch diese Ausstellung läuft, für gewöhnlich miteinander in Beziehung setzt. Globale Phänomene örtlich erfahrbar zu machen also. „Welcher Ort“, so Hermann Dornhege, „wäre besser geeignet, über das Aufwachsen in Westfalen nachzudenken, als eine Schule?“

» Die Ausstellung begann Freitag, 15.07.2011, 16 Uhr, und lief Samstag und Sonntag, je 10 bis 18 Uhr, im Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, Dieckmannstraße 141, Münster.