• Dissertationsprojekt

    Arbeitstitel: Literarische Formen der Geopolitik. Raum-Modellierung und Ordnungskonstruktionen in der russischen und ukrainischen Gegenwartsliteratur


    In den Ländern Osteuropas korreliert die Raumthematik in vielerlei Hinsicht mit der Bewältigung der post-sowjetischen Identitätskrise, die zu einem zentralen Motiv in der Literatur und Publizistik geworden ist. In Anlehnung an Modelle des spatial turn der Kultur-und Sozialwissenschaften soll die geplante Untersuchung zeigen, wie die literarische Raumkonstruktion für die Verarbeitung und gedankliche Einordnung der politischen Transformationsprozesse sowie für die Erprobung neuer Identitätsmodelle in der Ukraine und in Russland instrumentalisiert wird. Die Arbeit untersucht literarische Konstrukte wie „die russische Welt [russkij mir]", „das heilige Russland [svjataja Rus’]“, „Neurussland [Novorossija]“ und „Eurasien", die den politischen Diskurs der Ära Putin dominieren, und kontrastiert diese mit den Raum-Modellen von „Ostmitteleuropa“ sowie der „Europäisierung“ der Ukraine in den Schriften ukrainischer Literaten. Die in dieser Weise semantisierten Kulturräume determinieren maßgeblich die politische und kulturelle Selbstverortung der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken.
    Die Arbeit soll im Weiteren zeigen, wie diese Selbstverortung in den Werken gegenwärtiger russischer und ukrainischer Prosa-Autoren wiederum auf die Nations- und Gemeinschaftsbilder, die Gesellschafts-Ideale sowie die Rechts- und Gerechtigkeitskonzepte einwirkt. Es soll also die Politisierung der literarischen Raumentwürfe und das in ihnen verhandelte Verhältnis zum politisch strukturierten nationalen Raum untersucht werden. Die vergleichende Analyse, die sich auf die Darstellung dieser Prozesse in den jeweiligen nationalen Literaturen fokussiert, verspricht interessante Erkenntnisse über den gedanklichen und künstlerischen Umgang mit den großen sozialen Umwälzungen und Transformationen, welche die beiden Länder seit dem Zerfall der Sowjetunion erlebt haben. Da die Raum- und Ordnungsentwürfe russischer und ukrainischer Literaten sich zudem in einem seit 2014 längst nicht mehr latenten, sondern offenen militärischen Konflikt befinden, stellt die Arbeit zugleich einen Versuch literarischer Konfliktforschung dar.
    Den theoretischen Ausgangspunkt für die geplante Untersuchung bilden die Arbeiten von Jurij Lotman, der den künstlerischen Text als eine sekundäre Modellierung kultureller Formen definierte. In Anlehnung an Lotmans semiotische Theorie werden diskursprägende russische und ukrainische Werke der letzten zwei Jahrzehnte als politische Raum- und Ordnungsmodelle untersucht.
    Die in der post-sowjetischen Prosa modellierten Raum- und Ordnungskonzepte haben in der Regel einen unmittelbaren Bezug zu den jeweiligen theoretischen Ausführungen philoso-phischer, geopolitischer oder historiographischer Natur („Ideologien“) und können nicht getrennt von diesen analysiert werden. Die Besonderheit der theoretischen Raumkonzepte – hier etwa der hochgradig literarisierten Konzeptionen der sog. „Eurasier“ (z.B. Lev Gumilev) oder des Modells der „zwei Ukrainen“ – besteht gerade in einem hohen Grad der Literarizität. Als Konzepte, die in einem Spannungsfeld zwischen literarischer Produktion und Wissen¬schaftlichkeit entstehen und eine geschichts- oder naturwissenschaftliche Rhetorik mit einer dynamischen Metaphorik und fiktionalen Erzählstrukturen verbinden, bieten sie ein interessantes Beispiel für Modellierung faktualer Wissensfelder mit literarischen Mitteln. Es soll im Weiteren gezeigt werden, wie in den untersuchten literarischen Werken (v.a. Romanen) diese Raumkonzepte weiterentwickelt und künstlerisch erprobt werden.


    Fach: Slavistik
    Betreuer: Prof. Alfred Sproede

  • Vita

    seit Oktober 2016 Promotionsstipendiat am DFG-Graduiertenkolleg „Literarische Form. Geschichte und Kultur ästhetischer Modellbildung“ (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
    2011 – 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Slavisch-Baltischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
    10/2004 - 11/2010 Universität Duisburg-Essen.
    Hauptfach: Anglistik; Nebenfächer: Germanistik, Slavistik (als Zweithörer an der Ruhr-Universität Bochum) Abschluss: Magister
    05/2006 - 12/2007 wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Dortmund, Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie
    09/2000 - 05/2005 Taras Schewtschenko Pädagogische Universität Luhansk (Ukraine).
    Studienrichtung: Romano-Germanische Philologie
    Studienschwerpunkte: Fremdsprachdidaktik, Literaturdidaktik, Übersetzungswissenschaft Abschluss: Diplom-Übersetzer, Lehrer

  • Vorträge

    2016 26.06. – 28.06. 2016, Lemberg (Ukraine): Association for Slavic, East European, and Eurasian Studies (ASEEES) Summer Convention.
    Vortragstitel: “Aesthetics of Conflict. An Attempt to Conceptualize ‘Ukrainian Crisis’.”
    30.05. – 01.06. 2016, Calgary (Canada): Congress of the Humanities and Social Sciences, University of Calgary.
    Vortragstitel: “Revolution and Reconstruction: Narrative Strategies of Identity-Formation in Ukraine after the Euromaidan”
    12.02. – 13.02. 2016, Essen: Workshop des interdisziplinären Netzwerks
    „Ukraine: Postsowjetische Gesellschaft im Wandel“, veranstaltet von dem Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen.
    Vortragstitel: „Die Vergangenheit in der Zukunft: Retro-Moderne als Trend Post-Sowjetischer Massenliteratur“
    2015 22.11 – 24.11. 2015, Berlin: Internationale Fachtagung „Europa vor einer Epochenwende? Der Kampf um die Ukraine und die Folgen für die Friedensordnung in Europa“ veranstaltet von der Deutschen Gesell. f. Osteuropakunde. Vortragstitel: „Russkij Mir und Novorossija. Theologische und nationalistische Konzepte russischer (Außen-)Politik“
    03.11. 2015, Köln: Teilnahme an Podiumsdiskussion „Großmachtträume: Russland zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ mit Prof. Hans-Henning Schröder, Dr. Irina Scherbakowa und Prof. Michael Albus
    23.10. 2015, Berlin: Tagung des Kompetenznetzwerks „Institutionen und institutioneller Wandel im Postsozialismus (KomPost)“. Vortragstitel: „The Past in the Future: Retro-Modernity as a Trend in Post-Soviet Mass Literature”.
    24.06. 2015: Öffentliche Vorlesung an der TU Clausthal. Thema: „Russkij Mir – Russische Welt“.
    30.05.2015, Vlotho: Teilnahme am Seminar „Europa – Einheit oder neue Spaltung“ mit Dr. Zbiegniew Wilkiewicz (GESW, Vlotho) und Elmar Brok (CDU). Vortragsthema: „Die Ukraine und die EU in der Zerreißprobe“. Veranstaltet von Gesamteuropäischen Studienwerk e.V. in Vlotho.
    12.05.2015: Öffentlicher Vortrag an der Universität Erlangen: "Separatismus in der Ostukraine als einheimisches und externes Phänomen" (mit Prof. Petra Stykow, LMU)
    05.03.2015, Madrid: Teilnahme an Podiumsdiskussion „The hybrid war and the challenge of peace in Ukraine”, veranstaltet von Real Instituto Elcano, Madrid. Vortragstitel: “The Narratives of Conflict. How We Conceptualize the War in Ukraine“.
    2014 27.11. 2014, Regensburg: Teilnahme an der Kulturveranstaltung „SHARE – Too Much History, MORE Future“, veranstaltet vom Institut für Ost- und Sudosteuropastudien (Regensburg) und donumenta e.V. Vortragstitel: „Das wilde Feld der Ostukraine. Neubeginn oder frozen conflict?“

  • Publikationen

    2016 Mitherausgeber (In Zusammenarbeit mit Jakob Mischke):
    Aufbruch und Resignation in Russland und der Ukraine: Protestbewegungen im langen Schatten des Kreml. Stuttgart: ibidem-Verlag (Soviet and Post-Soviet Politics and Society), 2016. [in Arbeit]
    Mitherausgeber (In Zusammenarbeit mit Mirja Lecke):
    Verflechtungsgeschichten. Konflikt und Kontakt i osteuropäischen Kulturen (Festschrift für Prof. Alfred Sproede). Münster: LitVerlag, 2016.
    Die Kriegerheiligen in der russischen Geschichte bis heute. In: Haustein-Bartsch, Eva (Hrsg.): Von Drachenkämpfern und anderen Helden: Kriegerheilige auf Ikonen (Katalog zur Ausstellung im Ikonen-Museum Recklinghausen). Eikon, 2016, S. 33 – 50.
    Michail Bulgakovs „ukrainisches Lehrstück“. Eine Geschichte mit offenem Ende. In: Lecke, M.; Zabirko, O. (Hrsg.): Verflechtungsgeschichten. Konflikt und Kontakt in osteuropäischen Kulturen. Münster: LitVerlag, 2016, S. 134 – 177.
    2015 Mitherausgeber (In Zusammenarbeit mit Alfred Sproede und Georg Schomacher):
    Osteuropäische Rechtskultur. Studien zu Literatur und Recht in Russland und der Ukraine von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Paderborn: Fink, 2015.
    Mitautor (mit Alfred Sproede): „Cynics, Loyalist and Rebels in Recent Russian Fiction: Literary Scenarios of Legitimation and the Pursuit of ‘Sovereign Democracy’. In Brusis, M., Schulze-Wessel, M., Ahrens, J. (eds.): Politics and Legitimacy in Post-Soviet Eurasia. London: Palgrave Macmillan, 2015, pp. 193 – 223.
    Neue Gründungserzählungen? Zur Topik und Rhetorik der jüngsten ukrainischen Rechtsgeschichtsschreibung (eine vergleichende Studie an rechtsgeschichtlichen Lehrbüchern nach 2000). In: Sproede, A. et al. (Hrsg.): Osteuropäische Rechtskultur. Studien zu Literatur und Recht in Russland und der Ukraine von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Paderborn: Fink, 2015.
    Rhetorik und Recht in der ukrainischen Erinnerungspolitik der letzten Jahre. In: Sproede, A. et al. (Hrsg.): Osteuropäische Rechtskultur. Studien zu Literatur und Recht in Russland und der Ukraine von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Paderborn: Fink, 2015.
    Literatur und nachholende Nationsbildung in der Ukraine. Der Kasus Žadan. In: Sproede, A. (Hrsg.): Langer Abschied vom Imperium: Die «kleinrussische» und die europäische Ukraine seit 1850. Beiträge einer Forschergruppe. Paderborn: Fink, 2015.
    "Russkij Mir". Literarische Genealogie eines folgenreichen Konzepts. In Russland-Analysen, Nr. 289, 30.01.2015, S. 2 - 6.
    „Russkij mir und der Krieg in der Ukraine.“ In OST-WEST. Europäische Perspektiven, Ausgabe 3/2015, S. 183 – 191.
    Нарративы конфликта и концептуализация войны в Украине: между Шмиттом и Кельзеном. [Konfliktnarrative und Konzeptualisierung des Krieges in der Ukraine: Zwischen Schmitt und Kelsen.] In Forum für osteuropäische Ideen und Zeitgeschichte (russischsprachige Ausgabe), Nr. 1/2015, S. 25 – 35.
    Русский мир: литературная генеалогия концепции от «Бедной Лизы» до полковника Гиркина [Russische Welt: Literarische Genealogie der Konzeption von der „Armen Lisa“ bis Oberst Girkin]. In Forum für osteuropäische Ideen und Zeitgeschichte (russischsprachige Ausgabe), Nr. 2/2015, S. 114 – 137.
    2014 Ža laštunkamy moralnoji kryzy: ukrajins’ke mynule v svitli jevropejs’koho majbutn’oho [Hinter den Kulissen einer moralischen Krise: Die ukrainische Vergangenheit im Lichte europäischer Zukunft] In historians.in.ua, 13.08.2014