Rumänien in Europa 1939
© Bayerischer Schulbuchverlag

Teilprojekt: „Getaufte Juden in Rumänien“

Die Bittschreiben, die Forschende im Projekt „Asking the Pope for Help“ an der Universität Münster aufarbeiten, stammen sowohl von getauften als auch nichtgetauften Menschen jüdischer Herkunft aus zahlreichen Ländern Europas. Einen Schutz vor Verfolgung bot das Sakrament der Taufe während der Shoah jedoch nicht – außer in Rumänien. Mithilfe bislang unbekannter vatikanischer Quellen wird die Theologin Lorena König in ihrer Dissertation die Sonderstellung Rumäniens untersuchen und analysieren, welche Vorgänge zahlreiche zum katholischen Glauben konvertierte Jüdinnen und Juden vor der Deportation in ein Vernichtungslager schützte. Finanziert wird die zunächst auf drei Jahre angelegte Stelle vom Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster.

Lorena König beschäftigte sich bereits in ihrer Magisterarbeit mit der Taufe rumänischer Jüdinnen und Juden während der Shoah. Sie zeigt auf, dass  es in Rumänien zur Zeit der Shoah die gleichen Rassegesetze wie in vielen anderen, von den Nationalsozialisten okkupierten Ländern galten, es aber Andrea Cassulo, dem  apostolischen Nuntius vor Ort gelang, durch geschickte Argumentation getaufte Juden in den Schutz der katholischen Kirche zu stellen. In den neu zugänglichen Akten des Apostolischen Vatikanischen Archives befinden sich neben den Akten zu dieser Thematik auch zahlreiche Bittschreiben von Jüdinnen und Juden an den Nuntius, Korrespondenzen mit staatlichen und kirchlichen Autoritäten und einige Nuntiaturberichte an den Vatikan.

In dem aktuellen Forschungsvorhaben wird sie zunächst die einschlägigen Bittschreiben verzeichnen und das weitere Schicksal der Verfasserinnen und Verfasser recherchieren, um die Handlungsspielräume, Netzwerke und Möglichkeiten des Nuntius zu erforschen. Diese Bittschreiben werden ebenfalls in der Online-Edition des Projekts „Asking the Pope for Help“ veröffentlicht. Auch mögliche Unterschiede, die in Rumänien oder im Vatikan selbst zwischen getauften und nichtgetauften Menschen jüdischer Herkunft gemacht wurden, werden so erkennbar. Darüber hinaus wird sie bisher unbekanntes Material zur lehramtlichen Grundsatzdebatte über die Vorschrift einer einjährigen Vorbereitungszeit auf die Taufe aufarbeiten, die angesichts der Umstände im Heiligen Offizium – der obersten römischen Glaubensbehörde – entbrannte.

Weitere Informationen

Zufluchtsort Brasilien 1939
© Bayerischer Schulbuchverlag

Teilprojekt "Brasilienaktion"

Hunderttausende als jüdisch verfolgte Menschen waren zur Zeit des NS-Regimes auf der Flucht aus Europa, um der Verfolgung und Deportation durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Viele von ihnen baten Papst Pius XII. und den Vatikan um Unterstützung bei der Ausreise. Für einige bot sich ab 1940 die Hoffnung auf eine Zuflucht in Brasilien, denn das Land hatte dem Heiligen Stuhl 3.000 Visa für getaufte Menschen jüdischer Herkunft zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Teilprojekts „Asking the Pope for Help. Papst Pius XII. und getaufte Juden in Rumänien und Brasilien“ wird Dr. Alessandro Grazi jetzt den genauen Ablauf der Visavergabe rekonstruieren und die Möglichkeiten sowie Grenzen dieser sogenannten Brasilienaktion erforschen. Finanziert wird die zunächst auf zwei Jahre angelegte Forschungsstelle vom Exzellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster.

Der in Cento, Italien, geborene Historiker promovierte 2012 mit einer Arbeit zum Thema „Patria ed Affetti. Jewish Identity and Risorgimento Nationalism in the Oeuvres of Samuel Luzzatto, Isaac Reggio, and David Levi“. Nach mehreren Forschungsaufenthalten unter anderem in Jerusalem und Amsterdam war er von 2018 bis 2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter für digitale Jüdische Studien am Leibniz Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die moderne jüdische Kultur- und Geistesgeschichte, insbesondere die Geschichte jüdischer Intellektueller im Italien des 19. und 20. Jahrhunderts.

Im Brasilien-Teilprojekt wird sich Alessandro Grazi in den nächsten beiden Jahren mithilfe der seit März 2020 zugänglichen Akten zum Pontifikat Pius’ XII. in den vatikanischen Archiven mit einer Gruppe beschäftigen, die als „Getaufte Juden“, „jüdische Katholiken“, „katholische Juden“ oder „nichtarische Katholiken“ nicht nur aus der Sicht von Zeitgenossen nirgendwo richtig einzuordnen war. Bis heute ist die Gruppe der Katholiken jüdischer Herkunft und die Problematik ihrer Zugehörigkeit in der Forschung massiv unterrepräsentiert. Auf Basis der neuen Quellen ist erstmals eine differenzierte Rekonstruktion möglich, die nicht nur die Einzelschicksale der Bittsteller in den Fokus rückt, sondern auch Aussagen über den Umgang Pius’ XII. und der Römischen Kurie mit jüdisch-stämmigen Katholiken zulässt.