Aktuelle Forschungsprojekte

  • Literarische Formen europäischer Rechtskultur in Polen, Russland und der Ukraine. Forschungen zu Recht und Literatur zentral- und osteuropäischer Gesellschaften in vergleichender Perspektive

    Zugeordnete Einrichtungen: SFB 1385 Recht und Literatur

    Projektleitung: Prof. Dr. Alfred Sproede, Prof. Dr.  Sebastian Lohsse

    Bearbeitung: Tetyana Dagovych, Melanie Foik, Fryderyk S. Zoll

    Zeitraum: Seit 07/2019

     

    Die Frage nach einem „Europa des Rechts“, ja einer „europäischen Rechtsidentität“, betrifft auch die Osthälfte des Kontinents. Vor diesem Hintergrund beabsichtigen die Teilprojektleitenden, Texte aus West- und Osteuropa, die für das Forschungsparadigma von Recht und Literatur relevant sind, in komparatistischer Sicht zu untersuchen. Der zeitliche Schwerpunkt der Untersuchungen liegt im 19. und 20. Jahrhundert; einige der folgenden Fragestellungen sollen bis in die Gegenwart fortgeschrieben werden:

    1) Recht als Literatur. Zur literarischen Formengeschichte von Rechtsquellen: (a) In welchem Sinne ist Recht „wie Literatur“? Gründungsnarrative europäischer Verfassungen; (b) Geschichtsschreibung als Rechtsquelle.

    2) Literarische Kommunikation über Recht: (a) Literatur als Medium und Abwehr von Verrechtlichung (Polen, Russland, Ukraine); (b) Der frühe Kriminalroman in Westeuropa und im Russischen Reich.

    Ronald Dworkins Studie How Law is Like Literature provoziert die Frage, wie die Parallelen zwischen literarischen und Rechtstexten außerhalb des Common Law-Rechtskreises produktiv werden können, und zwar juristisch wie literaturwissenschaftlich. Verfassungstexte enthalten oft implizite (1/a) Gründungserzäh-lungen, die zwischen der neuen und der alten Ära Grenzen ziehen. Neuland wird das Projekt insofern betreten, als die einschlägige Erforschung osteuropäischer Verfassungen noch in den Anfängen steht. Neben den „Geschichten ‚hinter‘ Verfassungstexten“ ist auch der umgekehrte Konnex von Interesse, den wir (1/b) in den Versuchen einer Durchsetzung von Anspruchsrechten über Texte mit vordergründig historiographischer Intention beobachten können. Die Behauptung „althergebrachter Rechte“ rückt hier ebenso in den Blick wie romantische Geschichtsmythen. Der Ansatz soll an Texten aus der Ukraine erprobt werden. Hier entsteht zwischen Frühneuzeit und ausgehendem 18. Jahrhundert eine Reihe von Geschichtsdarstellungen mit normenvermittelnden, ‚quasi-konstitutionellen‘ Subtexten.
    Im Bereich der „literarischen Kommunikation über Recht“ behandelt das Projekt (2/a) das Problem der Rechts-Akkulturation. Dabei interessiert die Rolle, die hier – speziell in Ländern mit schwacher oder staatlich eingeschränkter Öffentlichkeit – der ‚schönen Literatur‘ zufällt. Gefragt wird, wie die Literaten Russlands, der Ukraine und Polens im 19. und 20. Jahrhundert Phänomene der Verrechtlichung narrativ inszenieren oder – etwa im Namen ethischer Maximalismen – abwehren. Während sich die russischen Literaten v.a. für spektakuläre Strafprozesse interessieren, nähern sich ukrainische Literaten dem Begriff des Rechts und den Fragen der Justiz vorzugsweise über die zivilgesellschaftliche Rechtspraxis und die Figur des Rechtsanwalts. Wie das ukrainische Rechtsbewusstsein sich im weiteren 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart literarisch manifestiert, wird anhand von Texten auch aus der sozialistischen Zeit und der Dissidenten-Kultur der 1960er Jahre sowie bis in die jüngste Zeit verfolgt. Eine Studie zu diesem breiten Zeitrahmen ist auch für Polen ein Desiderat. Während man in Russland seit der Gerichtsreform von 1864 intensiv, aber vielfach in krass rechtsnihilistischen Formen, über die Bewertung der Verrechtlichungsprozesse streitet, betrachten die polni-schen Autoren der Zeit das Recht als Hebel der gesellschaftlichen Modernisierung und als Instrument für die Wiederherstellung einer unabhängigen Nation. Gegenstand der letzten Unterabteilung (2/b) des Projekts sind – erneut im ost- und westeuropäischen Vergleich (wie in Sektion 1/a) – Parallelen zwischen Formen der Verrechtlichung im 19. Jahrhundert und der Genese des Kriminalromans. Die Gattung kann in vielen frühen Manifestationen als Element der Rechtskommunikation betrachtet werden. Dies gilt, wie im Falle der „romans judiciaires“ von Émile Gaboriau, vor allem dann, wenn die Aufklärung des Verbrechens unter explizitem Be-zug auf juristische Begriffe ‚ausbuchstabiert‘ wird. Der Vergleich west- und osteuropäischer Romane wird auch weniger bekannte (darunter z.B. polnische) Texte einbeziehen, in denen komplexe Rechtsbegriffe wie „vorgetäuschte Straftaten“, „Strafvereitelung“ etc. illustriert werden. Der Kriminalroman, so die Arbeitshypothese, avanciert hier zum populären Medium von Rechtsbewusstsein.

  • Einen Tag erzählen. Narrative Verdichtungen in Literatur, Film und Computerspiel (anhand polnischer, russischer und ukrainischer Beispiele mit komparatistischen Ausblicken)

    Zugeordnete Einrichtungen: Institut für Slavistik

    Bearbeitung: Dr. Valentin Peschanskyi

    Habitilationsprojekt

     

    Der Tag ist in seiner Überschaubarkeit und Abgeschlossenheit die zeitliche Grundeinheit der menschlichen Existenz. Als solche verbindet er wie nur wenig Phänomene (beinahe) alle kulturellen Formationen, die in ihn ihre zyklisch-mythischen oder linear-eschatologischen Zeit- und Weltbilder hineinprojizieren. Darüber hinaus ist er der gemeinsame (Zeit-)Nenner, der die ansonsten kontingente und unkontrollierbare Natur mit den kulturellen Bedürfnissen nach Sinn, Rahmung und Ordnung verbindet. Schließlich hat der Tag auch Modellcharakter: In seinem regelmäßigen Verlauf von den frühen Morgenstunden bis zur Finsternis der Nacht ist er auch eine Miniatur größerer Zeitabschnitte, etwa des Jahres (vom Frühling bis zum Winter), eines Menschenlebens (von der Geburt bis zum Tod) oder gar der gesamten Kultur- und Weltgeschichte, sowohl in ihren religiösen als auch in ihren naturwissenschaftlichen Ausdeutungen. Kurzum: Im Tag verdichten sich unüberschaubare Zeitabschnitte zu greifbaren Einheiten; in ihm wird das Alltägliche repräsentativ.

    Blickt man einmal auf diese Eigenschaften, die den Tag als kulturelle Zeitwährung besonders machen, so wird schnell deutlich, dass es just die Eigenschaften sind, die für gewöhnlich als Qualitätsmerkmale erzählender Künste gelten. Solche Kunstwerke konstruieren erstens zumeist eine Routine, die im Verlauf der Handlung durch ein Ereignis durchbrochen wird, versuchen zweitens die von ihnen symbolisch angeeigneten Phänomene auf eine repräsentative bzw. universelle Weise zu verdichten, stellen sie drittens in das Spannungsfeld von Natur und Kultur bzw. Immanenz und Transzendenz, und changieren viertens zwischen dem linear-historischen Weltbild und demjenigen des Mythos, das alles in der erzählten Welt in einen symbolischen Zusammenhang stellt. Die Dauer eines „Sonnenumflaufs“, die schon Aristoteles (Poetik, 1449b) so wirkmächtig als ideale Zeitform der Tragödie bestimmte, bringt diese vier in der Kunst ohnehin präsenten Spannungsfelder verstärkt zum Vorschein.

    In meinem Habilitationsprojekt untersuche ich Texte, Filme und Computerspiele, die einen Tag erzählen. Die komparatistisch ausgerichtete Untersuchung fokussiert sich auf die slavischen Länder, insbesondere Polen, Russland und die Ukraine, bezieht aber auch Artefakte aus ganz Europa und Amerika ein. Im Vordergrund steht die Frage danach, wie die Zeitform Tag als selbstauferlegte Einschränkung, deren Wurzeln im Regeldrama und den (vermeintlichen) drei Aristotelischen Einheiten liegen, den Inhalt und die Form der Werke prägt und sie umgekehrt spiegelt. Das Ziel ist, sowohl kultur-, epochen- und medienspezifische als auch universelle Eigenheiten der Tageserzählung herauszuarbeiten.

  • Exil, Nationalismus und Kalter Krieg: Ideen und Praktiken des (trans)nationalen Befreiungskampfs der ukrainischen Emigration (1945–1991)

    Zugeordnete Einrichtungen: Abteilung für Osteuropäische Geschichte

    Bearbeitung: Dr. Kateryna Kobchenko

    Habitilationsprojekt, gefördert durch ein Habitilationstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung

     

    Das Habilitationsprojekt ist der Entwicklung von Befreiungsideen der ukrainischen Exilanten sowie ihren praktischen internationalpolitischen Einsetzungen während der langen Nachkriegszeit im Kontext des Kalten Kriegs gewidmet. Die in den vorigen Jahrzenten misslungene Versuche einen Nationalstaat zu Gründen und zu erbauen führten ihre zahlreichen und unterschiedlichen Akteure in die Emigration, wo, im Unterschied zu der Ukrainischen Sowjetrepublik, sie eine Bühne für politisch pluralistische Tätigkeiten fanden. Ohne die Möglichkeit zu haben, die Situation in der Ukrainischen Sowjetrepublik spürbar direkt zu beeinflussen, konzentrierten sich die politischen Kreise der Exilanten auf die Ausarbeitung von Befreiungskonzepten sowie auf zukünftige Entwicklungsmodelle des ukrainischen Nationalstaates. Alle diese Gruppen teilten zwar ein deutliches gemeinsames Doppelziel – die Unabhängigkeit der Ukraine und ihre Befreiung vom kommunistischen Regime – entwickelten und verfolgten jedoch die unterschiedlichen Strategien, wie diese Ziele aus ihrer Sicht zu erreichen waren. Die genaue Untersuchung der politischen Konzepte der Exilukrainer offenbart die Entwicklungen und Transformationen wichtiger politischer Ideen und Ideologien, die im ukrainischen politischen Leben in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs entstanden und die ein weites politisches Spektrum von linken und sozialdemokratischen bis hin zu monarchistischen und rechtsradikalen Strömungen umfassten.

    Ihre Konzepte entwickelten die Exilukrainer in einer bipolaren Welt und mit der Orientierung auf die westlichen Demokratien als politischem Vorbild sowie auf die Verbündeten im antikommunistischen Widerstand, was ihre Aktivitäten zu einem wichtigen Bestandteil des Kalten Krieges und sie selber zu ihren transnationalen Akteuren machte.

  • Geschichte der nationalen Politik des Oberkommandos der russischen Armee in den Jahren 1914-1917 mit Fokus auf die Transformation der russischen Armee von der offiziell russischen Nationalarmee zur multinationalen Armee

    Zugeordnete Einrichtungen: Abteilung für Osteuropäische Geschichte

    Bearbeitung: Dr. Klimentii Fedevich

    Gefördert durch ein Stipendium der Universität Münster

     

    [Text folgt]

  • Die sozioökonomische, politische und kulturelle Entwicklung der westukrainischen Region Galizien im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Hinblick auf die Rolle der griechisch-katholischen Kirche, insbesondere die Aktivitäten des Metropoliten Andrej Šeptyc'kyj, des Mitraten Pater Titus Vojnarovskyj sowie anderer Geistlicher 

    Zugeordnete Einrichtungen: Abteilung für Osteuropäische Geschichte

    Bearbeitung: Dr. Oksana Pasitska

    Gefördert durch ein Stipendium des Historischen Seminars für geflüchtete Wissenschaftler aus der Ukraine

     

    [Text folgt]